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Sechs mutige Männer eroberten als Erste den Falkenstein

Ein Vorhaben in drei Anläufen, Gipfelglück und Champagner: Vor 160 Jahren gelang es sechs Schandauern den Felsen zu bezwingen. Waren sie wirklich die Ersten?

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Mystisch ragt der Falkenstein im Elbsandsteingebirge empor. Er ist das Sehnsuchtsziel vieler Kletterer.
Mystisch ragt der Falkenstein im Elbsandsteingebirge empor. Er ist das Sehnsuchtsziel vieler Kletterer. © privat/Johannes Bondzio

Von Matthias Schildbach

Diese Worte findet der bekannte Heimatforscher Alfred Meiche (1870-1947) für den Falkenstein in der Sächsischen Schweiz: "Völlig isoliert, wie ein Vorposten, lagert er vor der Schrammsteinkette; sein nackter, dicker Rundturm reckt sich, weithin sichtbar, so dass er geradezu ein Wahrzeichen der ganzen Gegend bildet, bis zu 378 Meter Seehöhe empor." Durch seine isolierte Stellung ist der Falkenstein von vielen Seiten sichtbar, vom Lilienstein, von den Anhöhen bei Altendorf wie auch von den gegenüberliegenden Elbtalanhöhen bei Reinhardtsdorf-Schöna.

Die Namen der sechs Wagemutigen, die es vor 160 Jahren, am 6. März 1864, tatsächlich schafften, die nahezu senkrechten Wände des Falkensteins zu bezwingen, sind jedenfalls in Bergsteigerkreisen bekannt. Der Tischlermeister Gustav Tröger, der Sattlermeister August Hering, der Expedient (kaufmännischer Angestellter) Ernst Fischer, der Maurer Johannes Wähnert und der Tischler Heinrich Frenzel. Sie alle zusammen hatten ihr Vorhaben gründlich vorbereitet. Nach zahllosen Erkundungen am Felsen begannen sie mitten im Winter, erstmalig am 31. Januar 1864, mit dem Einhauen von Sprossen und der Anbringung von Seilen.

Kein menschlicher Fuß betrat zuvor die Spitze des Felsens, schrieben die "Dresdner Nachrichten" 1864. Doch stimmte das?
Kein menschlicher Fuß betrat zuvor die Spitze des Felsens, schrieben die "Dresdner Nachrichten" 1864. Doch stimmte das? © Katarina Gust

Knapp 380 Meter ragt der Felsen empor

Erst der dritte Anlauf gelang und die Schandauer Kletterer erreichten den Gipfel. Sie hatten Fahnen im Gepäck, die sie oben hissten, heißt es in einem zeitgenössischen Zeitungsbericht. Unter einem Felsbock hinterließen sie in einer Champagnerflasche eine Urkunde über den Anstieg mit den Namen der Kletterer.

Die "Dresdner Nachrichten" berichteten in der Ausgabe des 3. April 1864: "Ein kühnes Wagestück wurde vor einiger Zeit von 6 Turnern aus Schandau vollführt, eine Besteigung des sogenannten Falkensteins bei Schandau, vis-à-vis der Ostrascheibe. Die sehr steilen Wände dieses Felsenkegels ließen bis jetzt jeden Versuch scheitern, die obere Höhe zu erreichen, kein menschlicher Fuß betrat bis jetzt dieselbe, da unternahmen es diese sechs, sie kletterten wie die Katzen, mußten aber zwei mal ihrem Vorhaben wieder abstehen bis endlich der dritte Versuch gelang. Die kecken Turner pflanzten oben drei Fahnen auf, die sächsische, die deutsche und die Turnerfahne und kehrten glücklich zum Fuße des Felsens zurück."

Der Weg, den die sechs Schandauer zum Aufstieg genutzt hatten, hieß fortan der Turnerweg. Weitere Besteigungen gab es 1868, 1871 und 1878. Die letzterwähnte hatte einen gar royalen Zweck: Zu Ehren der silbernen Hochzeit König Alberts und Königin Carola am 18. Juni wurde vom Falkenstein wie auch von anderen felsigen Höhen ein Gipfelfeuer abgebrannt.

Erstbegehung des Südrisses am Falkenstein durch den Amerikaner Oliver Perry-Smith 1913.
Erstbegehung des Südrisses am Falkenstein durch den Amerikaner Oliver Perry-Smith 1913. © Deutsche Fotothek/Walter Hahn

1913 kletterte der US-amerikanische Bergsteiger Oliver Perry-Smith (1884-1969) auf den Falkenstein, über den Südriss, Schwierigkeitsstufe VII a. Mit einigen Erstbesteigungen, bspw. dem Schrammtorwächter, dem Kanzelturm und dem Teufelsturm, alles Felsen der höchsten Schwierigkeitsstufen, hatte er sich schon einige Jahre zuvor einen Namen in der Region gemacht. Der exzentrische Amerikaner hatte 1907 die Aufmerksamkeit auf sich gezogen, als er nach einem Tobsuchtanfall in Postelwitz, bei dem er mit einer Waffe herumfuchtelte, drei Monate Gelegenheit bekam, in der Heilanstalt Sonnenstein seine Emotionen zu besänftigen.

Waren sie doch nicht die ersten auf dem Falkenstein?

Wie sich durch die zunehmende Zahl der Besteigungen des Falkensteins bald herausstellte, hatten die "Dresdner Nachrichten" 1864 zu dick aufgetragen, als der Schreiber des Beitrags behauptete, dass bislang kein menschlicher Fuß den Gipfel des Falkenstein betreten hatte: 1878 fand man am Felsen mittelalterliche Gefäßscherben. 1880 schrieb Karl Gautsch in seinem Werk "Aelteste Geschichte der Sächsischen Schweiz", der Falkenstein zeige Spuren von Befestigung.

Meiche stellte 1907 fest: "Schon in grauer Vorzeit ist er von den Mannen und Knechten der Birken von der Duba erklettert worden, die dort oben einen Beobachtungsposten einrichteten. Nahm doch hier, mit Zahnsgrund und Wenzelsweg, die alte Fahrstraße durch die Herrschaft Wildenstein ihren Anfang; der Falkenstein hütete gewissermaßen die Eingangspforte."

Meiche erwähnte die typischen Spuren des Burgenbaues der Felsenburgen der Sächsischen Schweiz: Balkenlager an der Nordwand, eingehauene Stufen in der zur Höhe führenden Kluft, Falze, Löcher und Stufen auch auf dem Gipfel. Dass der Falkenstein jedoch eine eigenständige Burg wie die in Rathen, Wehlen oder der Arnstein gewesen sein soll, verwirft Meiche. Weder hatte der Falkenstein eine derartige Bedeutung, noch ließ die Beschaffenheit des Felsens eine Gipfelbebauung zu.

Von einer früheren Bebauung fehlt jede Spur

Der Felsen gehörte zur einstigen Burgherrschaft Hohnstein. 1353 übernahm das böhmische Adelsgeschlecht Berka von der Dubá Hohnstein, ab jener Zeit ist der Ausbau von Befestigungen am Falkenstein möglich. Die Dubá verkamen jedoch zu Raubrittern, sie legten sich mit dem mächtigen Oberlausitzer Sechsstädtebund (Kamenz, Bautzen, Löbau, Zittau, Görlitz und Lauban) und dem sächsischen Kurfürsten an, überfielen Handelsleute, nahmen Geiseln, machten Raubzüge in die weitere Umgebung.

Ab 1439 wurde es militärisch in den versteckten Felsenwelten dies und jenseits der Kirnitzsch. Die Oberlausitzer Städte und der Kurfürst entsandten Söldner, belagerten die Felsenburgen der Dubá. Spätestens, als die Dubá einem Landtausch zustimmten und Lehen im böhmischen Schluckenauer Zipfel übernahmen, ging die Herrschaft Hohnstein mit Wildenstein 1451 an Sachsen. Die Baulichkeiten auf dem Falkenstein verfielen, wenn es nicht schon geschehen war. Mit dem Verschwinden von Holztreppen und -leitern wurde nun auch der Aufstieg unmöglich. 1592 beschrieb ihn der erste sächsische Landesvermesser Matthias Oeder als "blos und hoch".

Zwei Kletterer beim Abstieg im Turnerweg 1903.
Zwei Kletterer beim Abstieg im Turnerweg 1903. © Deutsche Fotothek

Vom Gipfelglück - früher wie heute

Heute führen über 100 Kletterrouten den Felsen hinauf. Seit 1864 wurde der Falkenstein etwa eine Viertelmillion mal bestiegen. Das entspricht einer durchschnittlichen Besteigung pro Jahr von 1.562 Malen, pro Tag von 30 Malen. Der Turnerweg, den die sechs Wagemutigen 1864 etabliert hatten, gilt heute als ältester sächsischer Kletterweg, erstmals 1892 von noch Wagemutigeren ohne Hilfsmittel begangen. Im selben Jahr begründete der Bergsteiger Oscar Schuster den Schusterweg, einen gängigeren, wenngleich ebenfalls dem Schwierigkeitsgrad III entsprechenden Anstieg.

Was trieb die sechs Wagemutigen Schandauer von 1864? Bernd Arnold aus Hohnstein fand am 6. März 2014 anlässlich der Gedenkstunde zu 150 Jahren Bergsteigen im Elbsandsteingebirge am Falkenstein die treffenden Worte: "Was waren das noch für Männer? Handwerker und Gewerbetreibende, die auf Grund ihrer Stellung über Freizeit verfügten. Freizeit ist die Voraussetzung zum Sporttreiben. Dabei turnten sie nicht nur, sondern wanderten gemeinschaftlich in der näheren Umgebung. Naheliegend noch etwas Großartiges zu tun. Ja, den Falkenstein 'erobern', also 'ganz oben stehen'.

Im dritten Anlauf gelang das Vorhaben. Dass sie dabei Leitern und Holzspreizen verwendeten, ist ihnen nachzusehen, denn es war ja wirklich der Anfang einer ganzen Bewegung und deren Entwicklung noch nicht absehbar. […] Sie waren die ersten, die hier das Gipfelglück erlebten. Ein Glück von zeitlosem Wert, weil es uns allen ein Stück Freiheit vermittelt."