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Sachsens Flughäfen sind Corona-Patienten

Mit einer millionenschweren Finanzspritze der beteiligten Länder und Kommunen und neuem Vorstand soll die Krise der Flughäfen gemeistert werden – und mehr.

Von Michael Rothe
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Teures Stillleben: Im gesamten April zählte der Dresdner Flughafen 25 Passagiere. Ein Jahr zuvor waren es noch 117.184.
Teures Stillleben: Im gesamten April zählte der Dresdner Flughafen 25 Passagiere. Ein Jahr zuvor waren es noch 117.184. © Ronald Bonß

Anfang März erhielt die Werkfeuerwehr des Dresdner Flughafens ein neues kolossales Löschfahrzeug: 1.500 PS, 44 Tonnen und mit 150 km/h in drei Minuten an jedem Punkt des Flugfelds. Doch gegen den Flächenbrand, der wenig später den Airport in Klotzsche, die Schwester Leipzig-Halle und alle anderen bundesweit erfasste, ist auch so ein Panther 8x8 machtlos.

Im Zuge der Corona-Pandemie war der Verkehr an den deutschen Flugplätzen im April um 98 Prozent eingebrochen. Selbst nach dem Restart wurden im August in Dresden kaum 41.000 Passagiere gezählt. Im Jahr zuvor waren es noch fast 150.000. Der Luftverkehr von und nach Sachsen war zwischenzeitlich auf Transporte von Kranken und Erntehelfern, Fracht- und Rückholflüge reduziert. Die Einnahmen der beiden Flughäfen unter dem Dach der Mitteldeutschen Flughafen AG brachen ein, ihre Fixkosten für die Infrastruktur blieben. Einzig beim Frachtumschlag verzeichnete der Airport Leipzig-Halle ein Plus.

Luftfahrtexperten erwarten, dass es mindestens fünf Jahre braucht, bis sich der Passagierverkehr auf das Niveau von 2019 erholt – zumal auch die lange boomenden Billigflieger ihre Kapazitäten gestutzt haben. Nach der Finanzkrise 2008 hatte es bis 2015 gedauert, ehe in Europa wieder so viele Flieger unterwegs waren wie zuvor.

Die Feuerwehr, die jetzt auch in Dresden helfen muss, braucht kein Wasser, sondern „Kohle“. Vorige Woche hatte die Europäische Kommission eine Beihilferegelung genehmigt, mit der Deutschland seine Flughäfen wegen des Coronavirus unterstützen will – als Entschädigung für angefallene Verluste und Hilfe gegen Liquiditätsengpässe. Die Betroffenheit ist unterschiedlich. Primus Frankfurt etwa ist dank der börsennotierten Betreibergesellschaft Fraport mit 1,1 Milliarden Euro an liquiden Mitteln nicht auf Staatsgelder angewiesen.

Orangene Karte für Dresden

Hilfe brauchen vor allem kleinere Adressen in öffentlichem Besitz, die keinen Zugang zu Programmen der Liquiditätssicherung haben. Die Zuschüsse gibt es zum Ausgleich von Schäden, die vom 4. März bis zum 30. Juni durch die Pandemie entstanden sind: Einnahmenausfälle bei Flugplatzentgelten, aus Mieten, Parken, Tanken, Werbung. Eine Obergrenze gebe es nicht, schreibt das Bundesfinanzministerium der SZ. Das Bundesverkehrsministerium verweist auf die „Gesamtverantwortung aller Eigentümer entsprechend der Höhe ihrer Anteile am Unternehmen“. Aktionäre der MFAG sind der Freistaat, Sachsen-Anhalt sowie die Städte Dresden, Leipzig, Halle.

„Natürlich werden wir die MFAG unterstützen, die Verluste zu verkraften, denn der Erhalt beider Flughäfen ist für den Freistaat allein schon aus volkswirtschaftlicher Sicht wichtig“, verspricht Sachsens Verkehrsminister Martin Dulig (SPD). Tausende Jobs seien direkt oder indirekt betroffen. Für andere Branchen hatte Dulig Corona-Zuschüsse vom Land ausgeschlossen.

Die schon unter Corona-Einfluss erstellte Konzernbilanz 2019 wies bei leichtem Umsatzplus auf knapp 175 Millionen Euro einen Fehlbetrag von 26,6 Millionen Euro aus. Dresdens Airport machte mit 46,2 Millionen Euro vier Prozent weniger Geschäft als 2018, sein durch die MFAG ausgeglichener Verlust war mit 8,2 Millionen Euro doppelt so hoch. Der Konzern betont, dass seine Kinder „operativ profitabel“, rote Zahlen nur den Infrastruktur-Abschreibungen geschuldet seien und keine Zahlungsverpflichtungen für die Eigentümer bedeuteten. Unstrittig ist Dresdens um neun Prozent gesunkene Passagierzahl – vor allem durch die Pleite der Airline Germania.

Staatshilfen "klimaschädliche Geldverschwendung"

Parallel zur Corona-Hilfe setzt sich die Bundesregierung bei der EU für eine Verlängerung der Übergangszeit für die Subvention von Regionalflughäfen ein. Um Wettbewerbsverzerrungen durch Billigflieger zu vermeiden, sollen sie 2024 für ihren Betrieb kein Staatsgeld mehr bekommen. Corona habe ihre Lage verschärft, sagen Flughäfen, Verbände – und nun die Politik. Sachsens Standorte sehen sich davon unberührt – im Gegensatz zum Flughafen Erfurt-Weimar, der vom Land Thüringen Zuschüsse von 40.000 Euro benötigt. Täglich.

Umweltschützer kritisieren solche Staatshilfen als klimaschädliche Geldverschwendung. Regionalflughäfen zeigten „die ganze Absurdität des Fliegens“, heißt es von der Umweltorganisation BUND. Nur drei der von ihr untersuchten 14 Plätze mit 200.000 bis drei Millionen Passagieren hätten durch Anbindung der Region an den internationalen Flugverkehr einen Nutzen. Beim Rest handele es sich um Urlaubsflüge. Bei der Bewertung von Wirtschaftlichkeit, Verkehrsanbindung und Passagierzahlen auf Basis der Bilanzen von 2014 bis 2018 erhielten sieben Standorte, darunter Rostock und Erfurt, nur schlechte Noten. Sie müssten geschlossen werden, heißt es. Dresden punktet zumindest mit seiner guten Anbindung an die großen Drehkreuze, und bekam statt der roten die orangene Karte.

Auch das Leipziger Netzwerk gegen Fluglärm hält die Millionenspritze für „unbegründet“. Die Bürgerinitiative verweist auf das – dank Corona – gestiegene Frachtgeschäft von Posttochter DHL & Co. Dass der Freistaat nicht an deren Millionengewinnen partizipiere, liege an den Landeentgelten, die in Leipzig kaum ein Siebtel derer in Frankfurt betrügen – zulasten von Umwelt und Gesundheit der Anwohner.

Weniger Passagiere als vor 25 Jahren

Fragen, wie sich die Hilfssumme errechne, weicht Sachsens Finanzministerium aus und verweist allgemein auf Daseinsvorsorge und Vorhaltekosten. Der Schaden werde noch ermittelt. Sachsen-Anhalts Finanzministerium nannte 27 Millionen – zum Unmut der sächsischen Miteigner. Weil die MFAG aber den Bedarf auf Basis ihrer Planzahlen ermittelt und auch nicht förderfähige Posten angegeben haben soll, ist diese Summe nach SZ-Informationen mittlerweile deutlich geschrumpft.

Noch 2019 hatte der Konzern Stärke gezeigt und sein Aufsichtsrat ein gewaltiges Investitionspaket für Leipzig/Halle bewilligt: für neue Vorfelder, Logistik- und Bürogebäude sowie eine zweite Cargo City. Mit der von DHL angekündigten Erweiterung ihres Fracht-Drehkreuzes wird eine halbe Milliarde Euro in den Standort gesteckt. Auch Amazon Air, Luftfrachttochter des Versandriesen, will den Standort zu seinem Hub ausbauen. Ab 2023 soll dort mit einer weiterentwickelten Dornier 328 sogar ein Kurzstreckenflugzeug produziert werden.

Am Donnerstag soll ein neuer MFAG-Vorstand für solche Investitionen gefunden werden – neben der Finanzspritze einziger Tagesordnungspunkt der außerordentlichen Aufsichtsratssitzung. Nach SZ-Informationen gibt es zwei Kandidaten: einen Diplomkaufmann (50) mit Erfahrungen aus Infrastrukturprojekten mehrerer Airports und einen Diplom-Bauingenieur (41), der am eventuell Ende Oktober öffnenden Hauptstadtflughafen BER mitgebaut hat. Der vor einem Jahr geschasste Vorgänger war von einer Baumarktkette gekommen.

Immer wieder war im Konzern personell und strukturell experimentiert worden – zuungunsten des Dresdner Standorts und zulasten der Kasse. Der erhoffte Steigflug blieb aus – bis auf das durch DHL betriebene und ohnehin geplante Frachtgeschäft. Von Dresden-Klotzsche, ab 2022 von Lotsen aus Leipzig ferngesteuert, hoben schon vor Corona weniger Passagiere ab als 25 Jahre zuvor vom alten Terminal.

Lieb und teuer: Sachsens Flughäfen

  • Die Mitteldeutsche Flughafen AG (MFAG) ist eine Management- und Finanzholding und gehört der öffentlichen Hand.

  • Zum Konzern gehören die Flughäfen Leipzig-Halle und Dresden und die Abfertigungsgesellschaft Portground mit knapp 1.400 Mitarbeitern und Azubis – knapp ein Drittel davon in Klotzsche.

  • Rund 14.000 Menschen arbeiten in den an beiden Standorten ansässigen Unternehmen und Behörden.

  • Aktionäre sind Sachsen mit 77,3 Prozent der Anteile, Sachsen-Anhalt (18,5), Leipzig (2,1), Dresden (1,87), Halle/Saale (0,2).

  • Die Holding wiederum hält die Anteile an den Flughäfen Leipzig-Halle und Dresden (je 94 Prozent) und an der Abfertigungsgesellschaft Portground (100 Prozent).

  • Der Flughafen Klotzsche wurde 1935 eröffnet. Er besitzt seit 2005 ein für 3,5 Millionen Passagiere ausgelegtes Terminal.

  • Mit 1,6 Millionen Reisenden rangierte Dresden 2019 unter den 22 großen deutschen Flughäfen auf Platz 14. (SZ/mr)