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"Ich glaube an diese Bundesrepublik"

Mit Mike Ruckh tritt ein dienstältester Bürgermeister Sachsens ab. Ein Gespräch über die Nachwendejahre, seine Haltung und was Sebnitz jetzt erwartet.

Von Dirk Schulze
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Mike Ruckh: Am 30. September hat er nach 28 Jahren seinen letzten Arbeitstag als Oberbürgermeister von Sebnitz. Er wechselt in die Energiewirtschaft.
Mike Ruckh: Am 30. September hat er nach 28 Jahren seinen letzten Arbeitstag als Oberbürgermeister von Sebnitz. Er wechselt in die Energiewirtschaft. © Steffen Unger

Herr Ruckh, können Sie sich an Ihren ersten Besuch in Sebnitz erinnern? Welchen Eindruck hatten Sie damals von der Stadt?

Das war im November 1992. Straßen, Plätze und Gebäude waren in keinem besonders guten Zustand. Die öffentliche Infrastruktur war ebenfalls marode oder in vielen Bereichen nicht vorhanden. Aber: Das Potenzial und die innere Schönheit der Stadt habe ich damals schon erkannt und gespürt.

Was hat Sie Anfang der 90er im Alter von 26 Jahren bewogen, aus dem wohlsituierten Baden-Württemberg in den tiefsten Osten zu gehen?

In erster Linie war es das berufliche Interesse. Als ich mit 18 Jahren meine Lehre beendet hatte, habe ich ein weißes Blatt Papier genommen und draufgeschrieben, wie die nächsten Jahre aussehen sollen. Wer kein Ziel hat, der kommt auch nicht an. Man sollte diese Ziele für sich selbst auch schriftlich fixieren. Das habe ich gemacht. Für mich war nach der Lehre immer klar, dass ich mal Bürgermeister werde.

Nach einer ersten Zeit im Erzgebirge haben Sie sich in Sebnitz beworben. Wie sind Sie hier aufgenommen worden?

Ich bin bei 29 Gegenkandidaten im ersten Durchgang vom Stadtrat gewählt worden. Das war ein großer Vertrauensvorschuss. Am 1. Februar 1993 war der Arbeitsbeginn, drei Wochen später wollten alle schon wissen, wie der Marktplatz umgebaut wird. Man kriegte unheimlich viele Briefe, in denen Wünsche und Hoffnungen geäußert wurden.

Es lagen viele unangenehme Themen auf dem Tisch. Sebnitz wollte schon auch jemanden haben, der Dinge erledigt, die wehtun. Das war mir klar, und das habe ich auch gemacht.

Welche Themen waren das?

Es ging jeden Tag um ein neues Problem: Personalabbau, Wohnungsnotstand, fehlende Gewerbeflächen, die Kunstblume, der damals nicht existente Pkw-Grenzübergang, gegen den es viele Widerstände gab. Dann die alte Papierfabrik, da war nichts gelöst. Sebnitz haftete damals der Ruf einer sterbenden Stadt an.

Der Wendepunkt kam dann 1994. Erste große Fördermittelbescheide gingen ein, die Personalausgaben waren um vier Millionen D-Mark reduziert. Dafür musste man vielen Menschen sagen, dass es für sie nicht weitergeht.

Sie sprechen von Entlassungen.

Das sind die schweren Sachen. Einrichtungen schließen, Kindergärten, Grundschulen. Da sitzt du dann da und musst das den Eltern erklären. Oder die Papierfabrik: 250 ABM-Leute waren da zugange, um die Fabrik abzureißen, in der sie jahrelang gearbeitet haben. Das darf man nicht vergessen, was das mit den Leuten macht. Wir mussten die Stadt gesundschrumpfen. Das hat den Betroffenen weh getan, der Stadt, mir selber auch. Aber es gab nur diesen Weg.

Es gibt die These, dass diese Erfahrungen bis heute nachwirken mit den bekannten Phänomenen von Pegida bis AfD. Was halten Sie davon?

Ich bin kein Soziologe, um das zu beurteilen. Die Transformationen, die wir den Leuten zugemutet haben, haben sicherlich dazu beigetragen. Letzten Endes mussten sie gemacht werden, auch wenn dabei sicherlich nicht alles richtig gelaufen ist. Es gab dafür keine Blaupause. Im Ruhrgebiet zum Beispiel war das ein schleichender Prozess. Dort war nicht von heute auf morgen alles weg.

Eine Herausforderung in Sebnitz bleibt der Leerstand, insbesondere auf der Langen Straße. Wie ist da die Perspektive?

In der Stadtentwicklung muss man auch mal bereit sein, einen Zustand über 10 oder 20 oder 30 Jahre zu ertragen. Das ist schwer, und das kann auch wehtun. Die Situation wird auch schlechter geredet als sie ist. In Wirklichkeit wohnen nicht wenige Menschen in der Langen Straße, die Firma Tillig hat dort ihren Produktionsstandort. Wenn man genau durchzählt, sind mehr Häuser saniert als nicht saniert.

Heute würde man die Straße allerdings anders bebauen, da würde ich eine Seite zur Sebnitz offen lassen mit einem Grünzug für mehr Lebensqualität. Selbst wenn alle Häuser saniert wären, bleibt die Frage, ob sie sich am Wohnungsmarkt behaupten könnten. Es gibt da keinen Generalplan, man muss Einzellösungen finden.