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Der Trainer der Dresden Monarchs spricht über seinen Kampf gegen den Krebs

Ein Satz des Arztes geht Thomas Stantke nicht aus dem Kopf: "Den Urlaub können Sie absagen." Seit 1997 ist er bei den Dresden Monarchs und eine Institution im Football-Klub. Nun kehrt er als Trainer zurück.

Von Alexander Hiller
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Von 1997 bis 2023 stand Thomas Stantke mit zwei bis drei Ausnahmen bei allen Partien der Dresden Monarchs zunächst auf dem Feld, später an der Seitenlinie.
Von 1997 bis 2023 stand Thomas Stantke mit zwei bis drei Ausnahmen bei allen Partien der Dresden Monarchs zunächst auf dem Feld, später an der Seitenlinie. © Jürgen Lösel

Dresden. Es fing mit einer leichten Schwellung am rechten Oberschenkel an. Thomas Stantke, seit 1997 bei den Footballern Dresden Monarchs – zunächst als Spieler, seit 2006 als Positionstrainer –, stellte sich deshalb im November 2022 außerplanmäßig bei seinem Hausarzt vor. „Ich bin da etwas hypochondrisch veranlagt, für mich gehört jährlich eine Untersuchung mit großem Blutbild dazu“, sagt der 49-Jährige.

Diagnostiziert wurde zunächst eine Lymphknotenschwellung. „Die Beule habe ich auch nie als schmerzhaft empfunden. Das fühlte sich an, wie ein Taschentuch in der Hosentasche.“ Im Mai war die Schwellung aber nicht abgeklungen, der Hausarzt überwies Stantke zum Hämatologen und Onkologen. Dr. Jörgen Radke erstellte ein großes Blutbild, veranlasste eine Biopsie – also eine Gewebeprobe. Den Tag des Anrufs danach wird Thomas Stantke nicht vergessen: Donnerstag, 29. Juni 2023. „Er sagte mir: Am Montag müssen wir uns treffen.“

Am 3. Juli hatte der gebürtige Dresdner Gewissheit: Krebs, Mantelzelllymphom – ein systemischer Tumor, zwei mal drei Zentimeter groß. „Hoffentlich haben Sie keinen Urlaub geplant. Falls doch, können Sie ihn absagen“, erinnert sich Stantke an die Ansage des Experten. Tatsächlich wollte er wenige Tage später mit Familie an den Gardasee.

Überlebens-Chance: 80 Prozent

Die unmissverständliche, schmerzliche Klarheit hinterließ Eindruck, schuf Vertrauen. Das Aufklärungsblatt zu seiner Erkrankung hat er bis heute nicht gelesen, sondern einfach unterschrieben. „Für mich war nur die Frage: Was findet statt und wann geht es los?“

Der Arzt hatte bereits einen temporeichen Zeitplan für seinen Patienten erstellt. Zunächst wurde das Knochenmark punktiert und Lymphomzellen entdeckt, weitere Lymphknoten waren noch nicht befallen. Überlebens-Chance: 80 Prozent. „Das war die Zahl, die ich mitgenommen habe. Mir war sofort klar, ich wollte einer dieser acht von zehn Menschen sein, die überleben“, sagt der frühere Leichtathlet und weiß heute: „Dass ich zehn Tage nach der Diagnose das erste Mal zur Therapie auf dem Stuhl saß, war für mich wesentlich.“

Insgesamt musste er sechs Zyklen Chemotherapie absolvieren, drei stationär, drei ambulant – dazwischen jeweils drei Wochen Pause. „Ich habe gestaunt, wie rational man damit umgeht, wenn man selbst betroffen ist“, sagt er und weiß dabei genau, dass das von Fall zu Fall unterschiedlich ist.

Zu Hause setzt er eine unsichtbare Maske auf

Vielleicht hat ihn seine Familie in der Zeit getragen, ohne es zu wissen. Frau Ulrike, die beiden Töchter Charlotte (15) und Johanna (9). „Ich habe schon versucht, immer Stärke zu demonstrieren. Ich wollte nicht, dass meine Familie darunter leidet“, sagt der Dresdner. Geweint hat er, aber nie vor den Kindern. Er setzte daheim eine unsichtbare Maske auf – zum Schutz aller. „Es ging mir ja teilweise nicht gut. Man ist dabei mit sich auch ein Stück weit allein.“

Doch das hat der Rechtsanwalt und Berufsbetreuer zum Teil selbst so entschieden. Für die Zeit des ersten stationären Aufenthalts „habe ich meine Familie für zwei Wochen zum Urlaub an die Ostsee geschickt.“ Den Kontakt zu anderen Patienten mied er, nur seine engsten Freunde waren anfangs eingeweiht und besuchten ihn fast täglich.

Und erlebten dabei auch, wie sehr die Chemotherapie an ihrem Kumpel zehrte. Er verlor Gewicht, die Haut wurde fahl, Haare fielen aus, auch psychisch sei er labil gewesen. „Man merkt, dass der Körper vergiftet wird, du bekommst weiche Knie, der Verdauungstrakt funktioniert nicht so, der Mund wird trocken“, zählt Stantke auf. „Aber da sind ganz viele Dinge, die ich besser gemeistert habe als viele andere.“

Thomas Stantke (mit blauer Jacke) erlebte schon viele Cheftrainer der Dresden Monarchs. Mit Ulrich Däuber (hinten) gewann er auch den deutschen Meistertitel 2021.
Thomas Stantke (mit blauer Jacke) erlebte schon viele Cheftrainer der Dresden Monarchs. Mit Ulrich Däuber (hinten) gewann er auch den deutschen Meistertitel 2021. © (c) Christian Juppe

Seinen Humor verlor er selbst in dieser Phase nicht. „Als mir die Haare ausgingen, habe ich sie mir nicht mehr gewaschen, sondern nur noch Trockenshampoo benutzt. Dann haben wir entschieden, jetzt wird alles abrasiert. Die Glatze war anfangs mein größtes Problem. Ich war sogar bei einem Perückenhändler“, erklärt er grienend. Ist Eitelkeit stärker als der Tod? Heute lacht Stantke darüber.

Der 49-Jährige lenkte sich ab, setzte sich auch im Krankenhaus an den Laptop und versuchte, Arbeit zu bewältigen. „Ich habe so getan, als würde ich ins Büro gehen.“ In den drei Wochen zwischen den Behandlungszyklen „konnte ich mich immer so berappeln, dass ich wieder kräftig genug für die nächste Chemo war“, erklärt er. Die Therapie schlug an. Im Dezember bestätigte eine Computertomografie, dass der Knoten auf Normalgröße geschrumpft war, bei der Knochenmark-Punktion wurde keine Lymphomzellen mehr entdeckt.

Der frühere Leistungssportler gilt nun als krankheitsfrei. Noch nicht als geheilt. „Seit Januar bin ich in der Erhaltungstherapie, die mich noch drei Jahre beschäftigen wird.“ Alle acht Wochen unterzieht er sich dabei einer Antikörpertherapie. Parallel dazu nimmt er täglich eine Tablette ein.

Töchter wollen ihren Papa weiter bei den Monarchs sehen

Sein Haar ist nun wieder dicht und grau meliert. So geerdet und psychisch wieder gestärkt wirbt das ehemalige Skilanglauf-Talent von Dynamo Klingenthal für entsprechende Vorsorge. „Das macht keiner gern. Auch deshalb, weil es die Angst vor dem Ergebnis gibt. Aber meines Erachtens sind ganz viele Todesfälle durch Krebs der Tatsache geschuldet, dass er zu spät entdeckt wird.“

Der ehrenamtliche Footballtrainer erkannte erst jetzt, dass er zuvor als Getriebener lebte. Beruflich und im Sport. Seit 1997 hatte er bis zu jenem 3. Juli 2023 überhaupt nur zwei oder drei Partien des heutigen Erstligisten verpasst. In der Vorsaison dann etliche. „Was ich mir während der Zeit vorgenommen hatte: Die Demut vor der Gesundheit zu bewahren, weil ich ganz schön durch das Leben hetze. Dem Drumherum habe ich bislang nicht so viel Beachtung beigemessen, wie es notwendig wäre. Das habe ich jetzt begriffen“, sagt er.

Vor wenigen Tagen brachte er Tochter Johanna im Winterurlaub das Snowboarden bei, obwohl ihm nachher die Beine brannten. „Ich war völlig fertig. Aber die Zeit mit meiner Tochter war mir ein ganz großes Bedürfnis. Ich gehe jetzt geordneter mit meiner Zeit um, sage nicht mehr überall Ja.“ Dass er weiter Zeit für die Monarchs investiert, liegt an seinen Töchtern. „Sie wären enttäuscht, wenn ich das nicht mache. Ich gehöre ja schon zum Inventar. Und das hält mich auch jung“, sagt Stantke.