Dresden. Unermüdlich, unersättlich, einfach unglaublich. Das sagt Gerd Leopold über Francesco Friedrich, doch auch ihm gehen langsam die Superlative aus. Seit elf Jahren arbeiten beide zusammen, der erfahrene Riesaer Trainer und der Ausnahmeathlet aus Pirna – der am vergangenen Sonntag mit dem 50. Weltcup-Sieg seiner von unzähligen Rekorden geprägten Karriere einen weiteren Meilenstein hinzugefügt hat. „Diese 50 sind etwas Besonderes. Und er ist ja längst nicht fertig mit dem Bobfahren. In seinem Drang, sich gut auf Olympia 2022 vorzubereiten, fährt er einen Sieg nach dem anderen ein“, sagt Leopold.
Tatsächlich hat Friedrich im vorolympischen Winter 13 von 14 Rennen gewonnen. Dass am Wochenende beim Weltcup-Finale in Innsbruck, eine der Lieblingsstrecken des Rekordweltmeisters, zwei weitere Erfolge hinzukommen, gilt als ebenso ausgemachte Sache wie die WM-Siege zehn und elf bei dem ab nächster Woche folgenden Saisonhöhepunkt in Altenberg.
Eine Dominanz, die sogar Leopold überrascht. „Damit“, sagt er, „habe ich ehrlich gesagt nicht gerechnet. Eigentlich ist das im Hinblick auf Olympia ein Vorbereitungsjahr, in dem sich Trainingsinhalte und Wettkampfabläufe einspielen sollen, um sie nächste Saison zu reproduzieren.“
Neue Kompromisslosigkeit im Team
Was Leopold nicht sagt: Selbst die WM auf der Heimbahn ist dem großen Ziel untergeordnet, im Februar 2022 die zwei Olympiasiege von 2018 zu wiederholen. Altenberg dient ausschließlich der Vorbereitung auf die Spiele in Peking. Diese Herangehensweise ist im Team Friedrich nicht neu, nur kommen alle Beteiligten bei der Umsetzung besser und im wahrsten Sinne schneller voran als erwartet. Das gilt für den neu entwickelten und derzeit offenbar konkurrenzlosen FES-Viererbob, das betrifft jedoch vor allem Friedrichs Anschieber.
Seit Jahren sind Thorsten Margis, Candy Bauer, Martin Grothkopp und Alexander Schüller ein eingespieltes wie ehrgeiziges Team, das sich gegenseitig antreibt. So kommen jedes Jahr neue persönliche Bestwerte und Anschubrekorde zustande, obwohl Margis, Bauer und Grothkopp inzwischen der Altersklasse 30+ angehören.
Alle vier bringen Top-Leistungen, alle vier kommen regelmäßig zum Einsatz und am Ende sind alle vier Weltmeister; Margis mit Friedrich im Zweier, Bauer, Grothkopp und Schüller im großen Schlitten – bei der Altenberger WM im Vorjahr hat das perfekt so gepasst. „Strategisch brillant“, sagt Leopold. Doch ab dieser Saison gilt das bewährte, nicht zuletzt auch Ruhe garantierende Muster nicht mehr, mit Blick auf Olympia herrscht eine neue Kompromisslosigkeit in der Mannschaft.
Schüller, mit seinen 23 Jahren der mit Abstand Jüngste und Schnellste, ist jetzt gesetzt – erstmals auch im Zweier. Er hat Margis verdrängt, der für den Vierer aber als unverzichtbar gilt und deshalb von der hinteren Anschubposition vier umlernte auf den Seiteneinstieg auf Position drei. Das bedeutet: Nur noch ein Platz ist frei. Bauer oder Grothkopp – einer wird bei der WM und, das ist für den Betroffenen weitaus schmerzlicher, dann auch bei Olympia zuschauen. Dabei hätten sie in jedem anderen Bob einen Stammplatz sicher.
WM-Gold quasi schon vergeben
Mehr denn je herrscht das Prinzip Leistung. „Wir haben das intern besprochen, mit Zahlen und Statistiken belegt. Alle vier durften ihre Meinung dazu sagen“, erzählt Heimtrainer Leopold von der entscheidenden Teamsitzung und stellt fest: „Alle sind topfit, und alle ziehen unverändert mit. Die Teamleistung steht über allem.“
Bei der WM-Generalprobe am Wochenende wird Bauer den Vorzug erhalten, die endgültige Entscheidung, betont Friedrich, fällt erst danach. Eine Luxussituation erst recht in dem Wissen, nichts falsch machen zu können. Denn die Weltmeisterschaften sind seit Jahren eine Spezialität des 30-Jährigen, der sich dann jeweils eine Woche intensiv auf Zweier sowie Vierer vorbereiten kann. Zudem verdoppelt sich quasi in jeweils vier Rennläufen (statt zwei im Weltcup) die Dominanz am Start.
Die Goldmedaillen, sagen Fans, orakeln Experten und ahnt die Konkurrenz, sind de facto vergeben. Doch sein Trainer widerspricht, wenn auch aufgrund der erdrückenden Faktenlage nur halbherzig. „Diese Selbstverständlichkeit muss bei den Leuten aus den Köpfen raus. Natürlich geht es bei den Voraussetzungen nur um den Titel – alles andere wäre nicht Friedrich. Doch das ist kein Selbstläufer, nichts ist selbstverständlich“, sagt Leopold – eines aber Gewissheit: So professionell wie Friedrich hat Bobsport noch keiner betrieben, so dass zwangsläufig neue Superlative her müssen.