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„Die Extremtour wurde eine Pilgerreise für mich“

Markus Weinberg radelt 4.500 Kilometer durch die Rocky Mountains. Beim Bergsichten-Festival zu Hause in Dresden zeigt er, warum das ein sehr außergewöhnliches Rennen war.

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Beim Great Divide orientierte sich Markus Weinberg persönlich neu.
Beim Great Divide orientierte sich Markus Weinberg persönlich neu. © Markus Weinberg

Dresden. Von der Welt machen sich alle ihr eigenes Bild. Markus Weinberg hat es sich erfahren – mit dem Rad. Der gebürtige Dresdner, der in der Sächsischen Schweiz aufwuchs, radelte durch über 100 Länder. Eine der ungewöhnlichsten Touren bestritt er bei der Great Divide, dem wohl härtesten Selbstversorger-Rennen von Kanada durch die Rocky Mountains bis Mexiko.

Über die 20 abenteuerlichen Tage berichtet der 40-Jährige in einem der Hauptvorträge bei den Dresdner Bergsichten, dem Berg- und Outdoor Filmfestival, am 18. November im Großen Hörsaal der TU Dresden (Tickets unter: www.bergsichten.de). Wie es 2022 zur Tour kam, warum die so hart ist und welche Botschaft er hat, erzählt der Filmemacher im Interview mit Sächsische.de.

Markus Weinberg, wie entstand die Idee, die Rocky Mountains abzuradeln?

Mein Dokumentarfilm „Jonas Deichmann – Das Limit bin nur ich“ gab den Anstoß. Vor der Kinopremiere über den wohl spektakulärsten Triathlon um die Welt, bei der Jonas die unfassbare 120-fache Ironman-Distanz bewältigte, hatte ich den Chefredakteur der Bike Bild kennengelernt. Matthias Müller fragte mich, ob ich Lust auf ein weiteres Radsport-Projekt hätte, die Great Divide.

Was verbirgt sich dahinter?

Ein Selbstversorger-Rennen, es gilt als Mutter der Bike-Packing-Touren. Etwa 200 starten jeden zweiten Freitag im Juni im kanadischen Banff. Das Ziel wartet nach 4.500 Kilometern in Antelope Wells, am Grenzübergang nach Mexiko. Startgeld ist nicht gefragt, es gibt keine Preise, keine wirkliche Organisation. Man kann die Strecke ganzjährig fahren, muss sich nur im Internet registrieren. Tracking-Technik verfolgt die Radler. Wichtigste Regel: Kurs halten. Wer davon abkommt, muss zurück, wo die Strecke verlassen wurde, oder du fliegst aus der Wertung.

Wie kamen Sie eigentlich zum Radsport?

Ich bin in Goßdorf bei Hohnstein aufgewachsen, mein Vater gehörte zu Bernd Arnolds Seilpartnern. Ich kletterte auch, bin mein Leben lang in der Natur unterwegs. Mit 17, 18 reizte mich der Radsport, als Zivi konnte ich viel trainieren. Beim Dresdner SC fuhr ich in einer tollen Trainingsgruppe, begeistert von Jan Ullrichs Erfolgen. Ich war semi-professionell unterwegs, fuhr zweitklassige Rundfahrten auf allen Kontinenten.

Von Kanada bis fast nach Mexiko: Markus Weinberg fuhr in 20 Tagen 4.500 Kilometer durch die USA.
Von Kanada bis fast nach Mexiko: Markus Weinberg fuhr in 20 Tagen 4.500 Kilometer durch die USA. © Markus Weinberg

Damit waren Sie zufrieden?

Ich wollte nie ein erstklassiger Profi werden, dafür begann ich zu spät mit Radsport. Nach dem Dopingskandal um Ullrich und andere zogen sich Sponsoren zurück, ich bekam einen Vertrag in Los Angeles, fuhr ein Jahr in den USA, später Mountainbike-Rennen. Bis heute radle ich ambitioniert, organisierte viele Jahre Radrennen.

Und wie wurden Sie Filmemacher?

Ich studierte Politikwissenschaften, Geschichte, Soziologie an der Dresdner TU. Beim MDR sammelte ich Journalismus-Erfahrungen. Dann arbeitete ich zwei Jahre bei der Dresdner Morgenpost, erlebte die Anfänge von Mopo24. Das waren wichtige Lehrjahre für mich. Bei Filmprojekten zu Radsport-Reisen durch Osteuropa oder ein Selbstversorger-Rennen in Kirgistan radelte ich mit und filmte. Jetzt arbeite ich als freier Journalist. Die Great Divide kam zur richtigen Zeit, als ich in einer Krise steckte.

Wollen Sie darüber sprechen?

Ich musste Insolvenz anmelden mit einer Firma, die Mountainbike-Rennen und MTB-Reisen organisierte. Corona und der Ukraine-Krieg brachten viel durcheinander. Das waren nicht die Ursachen meiner Krise, sie wirkten aber wie Brandbeschleuniger. Ich machte zudem Fehler, stieß an Kraftgrenzen, war überfordert. Die Probleme ließen sich nicht alleine mit Energie und Leidenschaft lösen, wie ich es als Sportler gewöhnt war. Die Firma ist nun abgewickelt. Privat war das eine schwere Zeit, ich musste mich neu orientieren und brauchte wohl den Crash, um herauszufinden, wo ich hinwill. Da kam die Chance, die Great Divide zu fahren. Es war wie eine Flucht vor dem Problemberg.

Hatten Sie ständige Begleiter auf der Strecke?

Erst kurz vor dem Start war mir klar, dass es darauf ankommt, sein eigenes Tempo zu fahren. So verlor ich Matthias Müller schon am ersten Tag aus den Augen. Das Rennformat sagt, jeder soll es für sich bestreiten. Man wartet nicht auf andere. Wenn es mal passt, bleibt man zusammen. Ich musste lernen, mein Tempo durchzuziehen. Ich traf immer mal wieder Mitradler, die meine Geschwindigkeit hatten. Am Ende war ich tagelang fast alleine unterwegs.

Wie schwer war Ihre Ausrüstung?

Mein Gravelbike wog mit Gepäck 23 Kilogramm, die Ausrüstung steckte in der „Arschrakete“, wie wir sagen, einem länglichen Bündel unter dem Sattel, was nach hinten hinausragt. Die GPS-Route war in einem kleinen Navi gespeichert, ein Handy hatte ich zur Sicherheit mit. Das reichte.

Sie müssen doch 200 Kilometer am Tag gefahren sein.

Ja, im Schnitt. Meine längste Strecke waren 270 Kilometer am 17. Tag. Erst nach zehn Tagen fühlte ich mich richtig fit. Ich konnte von meinen Erfahrungen als Radprofi zehren. Die schlimmsten Tage hatte ich anfangs, als sich mein inneres System auf Dauerbelastung umstellen musste. Ich war am Ende elf Kilo leichter.

Erlebten Sie auch Krisen-Momente?

Ja, nach einer Woche gab es eine kleine Krise in Montana. Ich hatte einen Defekt, meine Begleiter waren weg, nach einem Schneesturm schaffte ich es gerade so über den Kamm. Die nach mir brauchten ewig durch den Blizzard. Da wurde mir bewusst: Jetzt bist du alleine. Die Tour sah ich als eine Form des Frei-unterwegs-Seins, mit einem Ziel. Das brauche ich für mich, einen vorgezeichneten Weg, den ich so frei wie möglich gehen kann.