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Der deutsche Fußball? Vollends in der Sackgasse

Die deutschen Fußballerinnen haben auf erschreckende Art und Weise bei der WM in Australien einen Trend fortgeschrieben, weil Warnsignale nicht gehört worden sind. Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg wird wohl trotzdem bleiben.

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Für strukturelle Veränderungen im Verband: Nationalspielerin Alexandra Popp stellt sich vor der Abreise aus Brisbane den Fragen der Presse.
Für strukturelle Veränderungen im Verband: Nationalspielerin Alexandra Popp stellt sich vor der Abreise aus Brisbane den Fragen der Presse. © dpa/Sebastian Christoph Gollnow

Von Frank Hellmann

Brisbane. Die Dunkelheit hatte sich am Freitag längst wieder über die Central Coast gelegt, als der Bus mit seinen deprimierten Insassen das letzte Mal um die Ecke bog. Wege über den Pacific Highway vorbei an der Pferderennbahn, den Wohnhäusern bis in den Kooindah Boulevard im unscheinbaren Örtchen Wyong sind für die deutschen Fußballerinnen nun Geschichte.

Auf Ewigkeiten möchte wohl niemand mehr in das Golfer-Hotel ans Ende dieser Sackgasse fahren. Denn in einer solchen ist das Nationalteam des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) mit dem historischen WM-Vorrundenaus gelandet. Einige aus der 66-köpfigen Delegation treten so schnell wie möglich die Heimreise an, andere wie Zeugwart Stephen Smith machen noch eine Rundreise durch Australien. Viel Vergnügen. Der Mann hat seinen Job am Rande gut gemacht. Die Frauen im Rampenlicht hingegen nicht.

Nun ist der Scherbenhaufen komplett, den der krisengeplagte DFB vor seinem teuren Campus in Frankfurt liegen hat. A-Nationalmannschaft Männer und Frauen beide in der WM-Vorrunde verabschiedet. U 21-Männer in der EM-Gruppenphase gescheitert. U 19-Frauen immerhin EM-Finale gespielt. Aber hat das einer mitbekommen? Das Versagen der DFB-Frauen beim 1:1 gegen Südkorea sahen sich zur Mittagszeit hingegen wieder 8,06 Millionen Menschen im ZDF an. Eine Traumquote für die Blamage aus Brisbane.

DFB-Chef Neuendorf schwört MVT die Treue

Bei der Frage nach der Verantwortung zeigte Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg sehr rasch auf sich selbst. Mit der WM 2019 eingerechnet hätte sie bei zwei Turnieren schließlich ihre Leistung nicht gebracht. Ein sehr selbstkritischer Ansatz. Die Fußballlehrerin hat aber große Rückendeckung, vor allem bei DFB-Präsident Bernd Neuendorf, der auf den erst kürzlich bis 2025 verlängerten Vertrag mit der 55-Jährigen verwies. „Wir haben ihr das Vertrauen ausgesprochen, das sie nach vor auch genießt.“

Mögen Doppelpässe auf dem Platz nicht mehr klappen, funktionieren sie außerhalb noch. Den vom Chef aus der Heimat hergespielten Ball nahm mit Joti Chatzalexiou der Sportliche Leiter Nationalmannschaften am Brisbane River gerne an, als er vor dem mondänen Hotel mit dem schönen Panorama-Blick festhielt: „Ich bin dankbar, dass der Präsident diese Entscheidung entsprechend getroffen hat. Wir haben Martina letztes Jahr für eine tolle EM gefeiert.“ Jetzt müsse man gemeinsam wieder aus der Talsohle rauskommen.

Der 47-Jährige will am Samstag mit der Trainerin aus dem Wyong Race Club bei einer Pressekonferenz Rede und Antwort stehen. Vielleicht klärt sich die Kardinalfrage rasch, dass Voss-Tecklenburg die Kraft und die Überzeugung verspürt, die nächsten Aufgaben anzugehen. Für eine Teilnahme an den Olympischen Spielen 2024 in Paris ist erstmals nicht das WM-Abschneiden ausschlaggebend – in diesem Fall deutsches Glück – sondern die zwei freien europäischen Startplätze werden über die neue Nations League vergeben.

Nach Paris 2024 geht es über die Nations League

Die DFB-Frauen müssten für eine Qualifikation ihre Gruppe gegen Dänemark, Island und Wales und danach noch Playoffs gewinnen. Bereits am 22. September geht’s bei den Däninnen los. Vor diesem Zeitplan wäre es eigentlich Aktionismus, Voss-Tecklenburg zu schassen, die natürlich auch bereits auf die EM 2025 in der Schweiz schielt. Ihre Assistentin Britta Carlson ist keine für die erste Reihe, und hängt im Fehlersumpf selbst viel zu tief mit drin. Das Duo muss sich allerdings neu erfinden – und unbedingt den Spielerinnen mehr abverlangen und weniger Rücksicht auf Vereinsbelange nehmen.

Die Nationalspielerinnen haben mit ihren „blockierten Füßen“ in einer der leichtesten Vorrundengruppe eine riesige Chance weggeworfen. Ein Turnier, das erst ab Achtelfinale richtig Spaß macht, tobt sich ohne den zweifachen Weltmeister aus. „Früher gab es gefühlt nur Deutschland“, hat die als Mutter zur WM gereiste Melanie Leupolz kürzlich gesagt. Vergangenheit.

In der Gegenwart legen sich die Versäumnisse der Männer- und Frauen-Nationalmannschaft fast schon erschreckend übereinander. Es gibt keine Konzepte, sich gegen tiefstehende Gegner spielerisch durchzusetzen. Es fehlen Außenverteidiger und -verteidigerinnen von Format. Und es mangelt an der Mentalität. Mit Kolumbien und Marokko sind zwei Teams aus der Gruppe H weitergekommen, die es mehr wollten. Dabei schöpfen beide Nationen aus einem eher winzigen Reservoir mit teils amateurhaften Strukturen. Was passiert, wenn solche Länder beim Frauenfußball erst richtig ernst machen?

Eine resolute Frau für strukturelle Veränderungen?

Chatzialexiou beobachtet seit Längerem mit Besorgnis diese Entwicklung, doch ist dessen eigene Position nach fünf Jahren als Zuständiger der Nationalteams nun in höchster Gefahr. Vielleicht täte der Verband gut daran, eine resolute Frau dazu zu holen, die sich vor strukturellen Veränderungen nicht scheut. „Sinnvoll wäre das mit Sicherheit“, sagte Kapitänin Alexandra Popp. „Ich weiß, dass der DFB auf der Suche ist. Wir hoffen schon, dass wir jemand Vernünftigen finden.“

Eine Person, die auch mal Tacheles redet – und mehr Leistung verlangt. Ihre ehemalige Mitspielerin Almuth Schult brächte dafür schon fast alles mit, sie müsste es statt ihrem Fernsehjob nur wollen und mit bald drei Kindern regeln.

Voss-Tecklenburg kann anstelle des blassen Michael Urbansky zudem einen meinungsstarken Co-Trainer gebrauchen, der wie ihre charismatischen Unterstützer Thomas Nörenberg oder Patrik Grolimund bei der EM in England auch mal anderen Input vermittelt. Taucht Verbandschef Neuendorf in solch einer Aufarbeitung so tief ein? Der 62-Jährige hätte nie gedacht, dass ihm die Frauen solche grundsätzlichen Sorgen bereiten.

Dass der ehemalige Politiker erst zum WM-Achtelfinale nach Australien anreisen wollte, sagt viel über den Hochmut einer Fußball-Nation, deren Auswahlteams vielleicht nur das Abziehbild eines sich dramatisch im Abschwung befindlichen Landes sind.