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1:2! Deutschland verpatzt WM-Auftakt gegen Japan

Wie beim WM-Desaster 2018 leistet sich Deutschland im ersten Spiel eine Pleite. Es mangelt an der Verwertung der Chancen und am Verhalten in der Defensive. Ein starkes Zeichen vor dem Anpfiff gerät in den Hintergrund.

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Fehlerkette: Verteidiger Nico Schlotterbeck lässt dem Japaner Takuma Asano zu viel Raum, Torwart Manuel Neuer lässt die kurze Ecke offen. Was folgt, ist das entscheidende Tor zum 2:1 für den viermaligen Asienmeister.
Fehlerkette: Verteidiger Nico Schlotterbeck lässt dem Japaner Takuma Asano zu viel Raum, Torwart Manuel Neuer lässt die kurze Ecke offen. Was folgt, ist das entscheidende Tor zum 2:1 für den viermaligen Asienmeister. © dpa/Robert Michael

Von Marco Mader und Oliver Mucha

Ar-Rayyan. Manuel Neuer riss sich sein gelbes Trikot vom Körper und warf es mitsamt der Kapitänsbinde verärgert zu Boden, seine Mitspieler standen völlig konsterniert auf dem Rasen. Als Erster fand Thomas Müller nach dem bitteren 1:2 (1:0) gegen Japan die Sprache wieder. "Aberwitzig, dass wir mit einer Niederlage dastehen", sagte er und ergänzte: "Die K.o.-Runde hat für uns früher begonnen. Wir brauchen jetzt zwei Siege. Aber zwei Siege kann man nicht einfach so bestellen." Der erste muss am Sonntag gegen Spanien her.

Lange Zeit hatte es gut ausgesehen für die DFB-Auswahl - in jeglicher Hinsicht: Zum Einstieg ins WM-Turnier setzte sie mit einer starken "Maulkorb"-Geste ein bemerkenswertes Zeichen, die Jagd nach dem fünften WM-Stern begann dann aber wie beim Desaster vor vier Jahren in Russland mit einer Pleite. Der Bochumer Takuma Asano (83.) und der Freiburger Ritsu Doan (76.) entblößten mit ihren Toren die defensiven Schwächen und zeigten damit weit mehr Effizienz als die deutschen Angreifer bei einer Fülle von Chancen.

David Raum wird von Japans Torwart Shuichi Gonda Shimizu gefoult. Den anschließenden Elfmeter verwandelt Ilkay Gündogan.
David Raum wird von Japans Torwart Shuichi Gonda Shimizu gefoult. Den anschließenden Elfmeter verwandelt Ilkay Gündogan. © dpa/Robert Michael

"Wir haben es ihnen zu einfach gemacht", klagte Ilkay Gündogan. Er hatte den Vorzug vor Leon Goretzka erhalten und mit einem Foulelfmeter die Führung erzielt (33.). Später traf er noch den Außenpfosten (60.), es war wie der Treffer von Serge Gnabry an die Latte (47.) eine der vielen Chancen, die er und seine Mitspieler sträflich ungenutzt ließen. "Was die Effizienz betrifft", sagte Bundestrainer Hansi Flick, "hat Japan uns klar geschlagen."

Was die Effizienz betraf, fehlte sie allerdings auch in der Defensive, "wir haben sie vermissen lassen", monierte Flick. Er sah "individuelle Fehler, für die wir büßen mussten". Um diese Fehler zu verhindern, hatte der Bundestrainer Niklas Süle, Antonio Rüdiger und Nico Schlotterbeck aufgeboten - doch bereits vor den Gegentreffern wirkte die deutsche Abwehr nicht sattelfest, es fiel nur nicht groß auf, weil die DFB-Auswahl das Spiel lange Zeit schwungvoll kontrollierte.

Da war die Welt bei der deutschen Mannschaft noch in Ordnung: Ilkay Gündogan brachte seine Mannschaft mit 1:0 in Führung.
Da war die Welt bei der deutschen Mannschaft noch in Ordnung: Ilkay Gündogan brachte seine Mannschaft mit 1:0 in Führung. © dpa/Robert Michael

Gündogan, der in der 67. Minute für Leon Goretzka Platz machte, fielen gleich mehrere Mängel auf. "Das 1:2, ich weiß nicht, ob jemals ein einfacheres Tor erzielt wurde bei einer Weltmeisterschaft", sagte er - und er zielte damit auf Niklas Süle und den oft unsicheren Schlotterbeck ab. Gündogan sagte aber auch die entlarvenden Sätze: "Wir haben das Gefühl gehabt, dass nicht jeder den Ball unbedingt haben wollte. Wir haben viel zu oft den Ball verloren."

Auch Neuer bemängelte offen, dass das Spiel der deutschen Mannschaft vor allem in der zweiten Halbzeit mehr Schein als Sein war - trotz zunächst noch guter Chancen. "Japan hat höher gepresst", sagte er, "da haben uns die Ruhe und die gute Positionierung gefehlt." Mit besseren Pässen und mehr Selbstvertrauen wäre es viel besser gewesen, ergänzte er, aber: "Wenn man keine Pässe mit Aussage macht, dann kommt irgendwann die Retourkutsche."

Durch das 1:2 gegen Japan trat die „Mund zu“-Geste des deutschen Teams als Protest gegen das Fifa-Verbot der „One Love“-Binde schnell in den Hintergrund.
Durch das 1:2 gegen Japan trat die „Mund zu“-Geste des deutschen Teams als Protest gegen das Fifa-Verbot der „One Love“-Binde schnell in den Hintergrund. ©  dpa/Robert Michael

Und so steht die deutsche Mannschaft nun da wie jene, die vor vier Jahren mit einem 0:1 gegen Mexiko ins Desaster schlitterte - ein Sieg gegen Spanien ist schon fast Pflicht. "Wir müssen die Spieler jetzt aufbauen. Wir werden keine schöne Heimreise haben, weil jeder das im Kopf hat und sich ärgern wird", sagte Flick, "trotzdem muss man nach vorne blicken. Wir haben zwei Spiele, sechs Punkte sind zu vergeben, daran arbeiten wir."

Die sportliche Niederlage lenkte zu allem Überfluss auch den Blick weg von einem sehr starken und weltweit beachteten Zeichen, das die deutsche Mannschaft vor dem Spiel gesetzt hatte. Beim Teamfoto vor dem Anpfiff legten sich die Spieler im stillen Protest die Hand vor den Mund, die Fotos von der Geste, die beim von der FIFA kontrollierten TV-Weltbild nicht zu sehen war, verbreiteten sich rasend schnell. Sie wurden aber nur zwei Stunden später schon verdrängt von jubelnden Japanern - und konsternierten Deutschen.