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Der Fall Nagelsmann: Die Sicht des Schiedsrichters

Als vierter Offizieller war Frank Willenborg ganz nah dran am wütenden Bayern-Trainer Julian Nagelsmann, der für seine Attacken in Mönchengladbach jetzt mit einer Geldstrafe davonkam.

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Frank Willenborg (r.) beobachtet als Vierter Offizieller, wie Schiedsrichter Tobias Welz dem Bayern-Trainer Julian Nagelsmann im Spiel gegen Borussia Mönchengladbach die Gelbe Karte zeigt.
Frank Willenborg (r.) beobachtet als Vierter Offizieller, wie Schiedsrichter Tobias Welz dem Bayern-Trainer Julian Nagelsmann im Spiel gegen Borussia Mönchengladbach die Gelbe Karte zeigt. © dpa/Federico Gambarini

Mönchengladbach. Frank Willenborg ist im Hauptberuf Lehrer in Osnabrück und seit 2016 als Schiedsrichter in der Fußball-Bundesliga aktiv. Beim Spiel des FC Bayern München in Mönchengladbach war der 44-Jährige als Vierter Offizieller im Einsatz und erlebte den Ärger von Bayern-Coach Julian Nagelsmann - der nach seinem verbalen Ausraster mit einer Geldbuße von 50.000 Euro und ohne eine Sperre davongekommen ist - aus nächster Nähe, auch bei dessen Besuch in der Kabine der Unparteiischen.

Herr Willenborg, wie war der Nachmittag mit Julian Nagelsmann?

Während der 90 Minuten war aus meiner Sicht alles im Rahmen. Zwar gab es eine Gelbe Karte für Julian Nagelsmann, weil er sich nach einer Foulentscheidung in der 78. Spielminute zu vehement beschwert hat, aber ansonsten war das Verhalten beider Bänke dem Schiedsrichterteam gegenüber sportlich fair und respektvoll.

Obwohl er das Schiedsrichterteam von Tobias Welz und damit auch Sie als „weichgespültes Pack“ bezeichnet hat?

Dass solche Äußerungen gefallen sein sollen, habe ich erst im Nachgang den Medien entnommen. Uns Schiedsrichtern hat er es nicht gesagt, und ich konnte es mir nicht vorstellen, weil ich Julian Nagelsmann zwar als jungen impulsiven Trainer erlebe, aber auch als Sportsmann kennengelernt habe.

Aber er hat es sogar auf Nachfrage zugegeben und sich allgemein für seine Äußerungen in den sozialen Netzwerken entschuldigt.

Auch das habe ich gelesen. Wenn er es tatsächlich gesagt und uns damit gemeint hat, habe ich dafür überhaupt kein Verständnis. Das ist auch in der Wortwahl völlig daneben. Mit der anschließenden Entschuldigung zeigt Julian Nagelsmann zumindest, dass er deutlich übers Ziel hinausgeschossen ist.

Nagelsmann hat sich vor allem über die Rote Karte gegen Upamecano aufgeregt. Können Sie das nachvollziehen?

In der Sache kann man über das Foulspiel diskutieren. Es ist eine enge Entscheidung. Man kann bei dieser Szene im Graubereich auch zu einer anderen Bewertung kommen. Tobias Welz hat auf Foulspiel entschieden und, da es sich um eine klare Torchance gehandelt hat, als Konsequenz die Rote Karte gezeigt. Er hat seine Wahrnehmung auf dem Feld beschrieben, die fand sich auch in den Bildern des Videoassistenten wieder. Deshalb hat sich der Schiedsrichter die Szene auch nicht noch mal angesehen, denn neue Erkenntnisse wären nicht zu erwarten gewesen.

Nach dem Spiel ist Nagelsmann in Ihre Kabine gekommen. Wie ist das Gespräch abgelaufen?

Was in der Kabine inhaltlich gesprochen wird, bleibt auch dort. Ich kann allerdings sagen, dass dort in der Sache diskutiert wurde, ohne jede Beleidigung.

Danach hat er in Hörweite der Reporter in der Mixed Zone vom „weichgespülten Pack“ gesprochen. Zu dem Schimpfwort muss man nichts weiter sagen, das spricht für sich und gegen Nagelsmann. Können Sie sich vorstellen, was er mit „weichgespült“ gemeint haben könnte?

Wir haben uns nicht emotionalisieren lassen, sondern Haltung bewahrt. Sachlich diskutieren kann man mit uns Schiedsrichtern immer. Was oder wen er als „weichgespült“ bezeichnet haben soll, erschließt sich mir nicht.

Nagelsmann hat sich – wie manche Kollegen, die ihn in Schutz nahmen – auf das Recht zur Emotion berufen. Was sagen Sie dazu?

Emotionen gehören zum Fußball, das sehen wir Schiedsrichter genauso. Wir sind grundsätzlich tolerant, und es muss schon etwas passieren, bevor wir das Verhalten von Trainern sanktionieren. Aber das darf nicht als Freibrief missverstanden werden. Oft ist der Hinweis auf Emotionen schlichtweg eine Ausrede für eigenes Fehlverhalten.

Warum haben Sie die Vorbildfunktion der Trainer bisher nicht erwähnt?

Weil es so abgedroschen klingt. Dabei ist es tatsächlich eine wichtige Aufgabe im Profifußball und da vor allem von Trainern. Alle Freizeit- und Jugendspieler, alle Hobby- und Amateurtrainer schauen auf diese prominenten Fußballlehrer und Fußballspieler und haben Wochenende für Wochenende mit ehrenamtlichen Schiedsrichtern zu tun. Die Muster, die ganz oben vorgelebt werden, werden an der viel zitierten Basis übernommen – die positiven, aber auch die negativen. Vor dieser Verantwortung kann und sollte niemand weglaufen.

Müsste man nicht positive Beispiele klarer herausstellen?

Richtig! Ich habe am vergangenen Wochenende mitbekommen, dass ein Trainer in der 3. Liga nicht eine Entscheidung des Schiedsrichters als Grund für eine Niederlage genannt hat, sondern erst mal bei sich geschaut hat. Das, was Tobias Schweinsteiger vom VfL Osnabrück da getan hat, war nach meiner Auffassung vorbildlich.

Das Interview führte Harald Pistorius.