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Petkovic spricht über Morddrohungen im Tennis

Weil Spiele nicht so ausgehen, wie das vorher gewettet wurde, erhalten Andrea Petkovic und andere Profis Beleidigungen der übelsten Art. Die Bundesligisten, auch der Dresdner, wehren sich.

Von Alexander Hiller
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Andrea Petkovic spielte vergangenes Wochenende für den Bundesligisten Dresden-Blasewitz. Sie bezieht klar Stellung gegen verbale Drohungen im Internet. Die 34-Jährige hält das Thema für ein großes Problem.
Andrea Petkovic spielte vergangenes Wochenende für den Bundesligisten Dresden-Blasewitz. Sie bezieht klar Stellung gegen verbale Drohungen im Internet. Die 34-Jährige hält das Thema für ein großes Problem. © Jürgen Lösel

Dresden. Wetten, dass Andrea Petkovic die French Open gewinnt? Auf die sportlich beinahe abenteuerliche Prognose lässt sich auf den einschlägigen Portalen jede Menge Geld setzen. Seitdem das Glücksspiel in den Tennis-Alltag Einzug gehalten hat, müssen sich die Profis mit den Schatten- und auch kriminellen Seiten des Wettens beschäftigen. Und das beinahe täglich. Über die Social-Media-Kanäle hat sich die Zahl von Beleidigungen, Beschimpfungen und sogar Morddrohungen vervielfacht.

Auf nahezu jedes internationale Turnier, und sei es noch so klein, kann man im Internet für jedes Spiel eine Wette abschließen. Entsprechend groß ist der Umsatz – und damit sinkt die Hemmschwelle derer, die mit ihrem Einsatz ans schnelle Geld wollen. Die Damen-Bundesliga hat sich für diese Saison geschlossen gegen eine Übertragung per Livestream entschieden, um das Wetten so unmöglich zu machen. Für die Männer-Bundesliga hat der Deutsche Tennis-Bund (DTB) dagegen mit dem Online-Streamingdienst Tennis Channel International einen Vertrag geschlossen. Die Internetplattform kooperiert eng mit Genius Sports, einem US-Wettmakler.

Männer werden auch bedroht

Die Vereinsbosse der Damen-Teams verzichten auf Livestreams, damit die Profis zumindest an Bundesliga-Spieltagen geschützt sind. Während sich also auf die Ergebnisse der Herren-Bundesliga weltweit wetten lässt, geht das bei den Damen nicht. Bei internationalen Turnieren aber schon. Einige Frauen werden über ihre Social-Media-Accounts „massiv bedroht“, wie der Teammanager des Bundesligisten TC Blau-Weiß Dresden-Blasewitz, Sven Grosse, sagt – meist über gefälschte Profile. Der Anwalt hat von den in seinem Verein unter Vertrag stehenden Spielerinnen sogar Morddrohungen gezeigt bekommen. Solche Nachrichten erhalten auch männliche Profis. „Die gehen aber anders, etwas entspannter damit um“, sagt Grosse.

Das Problem öffentlich zu thematisieren, fällt vielen Spielerinnen schwer. Andrea Petkovic, die nach Angelique Kerber bekannteste aktive Deutsche im Tennis, hat kein Problem damit. „Ich hoffe, du bekommst Krebs, oder das Bein fällt dir ab“, zitiert die 34-Jährige eine der harmloseren Nachrichten. Die Konversation, wenn man sie so nennen mag, findet meist auf Englisch statt. „Ich bin jetzt 34, seit zehn Jahren lese ich die gleichen Nachrichten, das geht bei mir hier rein und hier raus“, sagt Petkovic und deutet auf ihre Ohren.

Die ehemalige Weltranglisten-Neunte weiß jedoch, dass nicht jede Spielerin so locker damit umgeht. Petkovic erzählt in diesem Zusammenhang von der deutschen Nachwuchshoffnung Mara Guth. „Sie hat im letzten Jahr nach dem WTA-Turnier in Homburg erstmals solche Nachrichten bekommen und sich in meinem Beisein bei unserem gemeinsamen Physiotherapeuten ausgeweint.“ Sie habe Guth dann ihre erhaltenen Bedrohungen gezeigt und ihr erklärt, dass die Absender ihre Hasskommentare an jede versenden, die nicht so spielt, wie sich das die Glücksspieler erhofft hatten. „Das macht es ein bisschen einfacher. Man gewöhnt sich auch an alles“, sagt Petkovic.

Bis 2020 mussten die Profis solche Nachrichten an die Tennis Integrity Unit (TIU) melden, eine Organisation, die mögliche Manipulationen im Tennissport untersuchte. Die TIU stellte jedoch vor zwei Jahren ihren Dienst ein. Seitdem gibt es keine offizielle Anlaufstelle, die sich mit diesen Auswüchsen beschäftigt. „Das Problem daran ist: Es muss schon eine konkrete Gewaltandrohung oder eine rassistische Beleidigung sein“, erklärt Petkovic, die nebenbei als Sportmoderatorin fürs ZDF arbeitet. „Wenn einer schreibt: Du dumme Schlampe, du bist hässlich und fett – da kann man nichts machen, das fällt unter banale Beschimpfung.“

Viele der Absender belassen es nicht bei persönlichen Beleidigungen. „Ich hoffe, deine Familie stirbt bei einem Autounfall – das schreiben auch viele“, nennt sie ein weiteres Beispiel. Bei Turnieren in den USA stellen die Organisatoren immer einen Ansprechpartner vom FBI oder der CIA für die Profis parat, um im Bedarfsfall schnell ermitteln zu können. Mittlerweile müssen entsprechende Nachrichten auch bei den Vereinigungen der Tennis-Profis – WTA bei den Damen und ATP bei den Herren – gemeldet werden. Die Ermittlungsergebnisse sind allerdings dürftig.

Instagram hat mittlerweile eine Funktion installiert, „dass, wenn man einen User blockiert, alle mit ihm vernetzten Accounts auch blockiert werden. Seither ist es viel besser geworden“, so Petkovic. Obszöne Nachrichten kommen nun seltener an.

Die Weltklassespielerin würde sich jedoch wünschen, dass sich ATP und WTA im Interesse speziell der jungen Profis noch intensiver als bisher mit diesem Thema befassen. Das fordert auch Lara Schmidt. Die frühere Nummer eins im deutschen U18-Tennis und seit 2018 für den Dresdner Bundesligisten aktiv, hat ebenfalls Erfahrungen mit der verbalen Verrohung machen müssen.

Die 22-Jährige ist bislang nur bei kleineren, internationalen Turnieren unterwegs, die ein niedriges, fünfstelliges Preisgeld ausschütten. „Nach den Matches bekommt man halt Nachrichten, dass man lieber sterben sollte. Oder die, die gegen mich gewettet haben, freuen sich dann, wenn ich verloren habe. Bei mir laufen diese Meldungen über Instagram oder Facebook ein“, sagt die Nürnbergerin. Der SZ liegen Auszüge einiger Nachrichten an Schmidt vor. Sie wird darin unter anderem als Schande für den Tennissport bezeichnet, als Hure oder Bitch.

Meist beschränken sich solche Vorfälle tatsächlich ausschließlich auf verbale Beleidigungen oder Bedrohungen im Internet. Aber es gibt auch Ausnahmen, in denen körperliche Gewalt womöglich gedroht hätte. Beim ATP-Turnier in Stuttgart im Januar 2020 wurde nach Erinnerungen von Lara Schmidt sogar die Polizei gerufen, weil sich Glücksspieler am Platz befanden und während der Spiele ihren Unmut lautstark äußerten.

Abmelden sei keine Alternative

Die aktuelle Nummer 63 der deutschen Rangliste hat viele dieser Nachrichten gemeldet. „Man bekommt aber keine Rückmeldung, ob tatsächliche Personen identifiziert wurden. Ich finde es traurig, dass man als Spielerin so wenig geschützt wird.“ Dass die Verbände oder Behörden ihren Möglichkeiten entsprechend nachforschen, bezweifelt Schmidt gar nicht. „Aber es ändert nichts daran, dass das unaufhörlich weitergeht. Am effektivsten wäre es natürlich, man schafft für sich Instagram oder Facebook ab. Aber man will ja untereinander auch vernetzt bleiben“, argumentiert sie.

Die junge Frau gibt freimütig zu, dass sie diese Nachrichten immer wieder als verstörend empfindet. „Vorher hat mich das nicht so getroffen, aber nach dem Tod meines Papas konnte ich zeitweise gar nicht mehr spielen. Manche Sachen gehen einfach viel zu weit“, sagt Schmidt. Ihr Vater war im September vergangenen Jahres völlig unerwartet verstorben.