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Ex-Biathlet Rösch und sein Beinahe-Comeback

Eine Anfrage aus Belgien bringt Michael Rösch ins Grübeln. Jetzt ist der Altenberger froh, Weihnachten entspannt mit seiner Familie in Dresden feiern zu können.

Von Michaela Widder
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Sein Vollbart ist mittlerweile auch Markenzeichen. Michael Rösch plaudert in einem Dresdner Cafe über sein Leben, Weihnachten und die Biathleten.
Sein Vollbart ist mittlerweile auch Markenzeichen. Michael Rösch plaudert in einem Dresdner Cafe über sein Leben, Weihnachten und die Biathleten. © dpa-Zentralbild

Dresden. Den wohl teuersten Weihnachtsbaum von ganz Dresden hat im vorigen Jahr Michael Rösch gekauft. Doch es war nicht etwa so, dass der Biathlon-Olympiasieger von 2006 eine Edel-Tanne erstanden hätte, es war vielmehr ein ganz gewöhnlicher Baum. Als er jedoch bepackt an seinem Auto in der Neustadt ankam, stand der Abschleppwagen daneben – falsch geparkt. 300 Euro kostete die Baumholaktion. Fröhliche Weihnachten!

Michael Rösch kann darüber herzlich lachen, und er hat immer was zu erzählen, auch gut zweieinhalb Jahre nach seinem Karriereende im Winter 2019. Diesmal verlief die Adventszeit ohne solche Ärgernisse, umso mehr freut er sich auf Weihnachten in Familie, also mit seiner Freundin Hanna, deren Tochter und dem gemeinsamen Sohn Levi. „Am 24. macht Hanna Rouladen, Klöße und Rotkohl“, erzählt Rösch.

Der 38-Jährige liebt Weihnachten, die Schwibbogen in den Fenstern und den Räucherduft, der durch die Räume zieht. Eine Tradition aus Kindertagen hat er allerdings schnell abgeschafft, wie er meint: „Wiener Würstchen zu Heiligabend. Das fand ich furchtbar.“ Am ersten Weihnachtstag geht es dann zu seinen Eltern nach Altenberg – zum Gans-Essen.

Fast hätten es diese besinnlichen, ruhigen Weihnachtstage nicht gegeben. Denn im Frühjahr dachte Rösch ernsthaft über ein Comeback nach – zumindest für eine Saison. Im April, und es war nicht der erste und somit kein Scherz, bekam er einen Anruf vom Generalsekretär des belgischen Biathlon-Verbandes. Für das Nachbarland war Rösch nach seinem Abschied aus der deutschen Nationalmannschaft in den letzten Jahren bis zum Karriereende gestartet. „Dem Team fehlte ein vierter Mann für die Staffel, und ich wurde gefragt, ob ich mir das vorstellen kann – nur für diese Olympiasaison“, erzählt der Altenberger.

Er wäre nicht der querköpfige Rösch, wenn er dieses Angebot umgehend ausgeschlagen hätte. Drei Nächte schlief er unruhig, wie er nun verrät. Er überlegte, plante, besprach sich mit Hanna, vor allem spürte er wieder dieses Kribbeln, das vielleicht wirklich nur Leistungssportler kennen. „Es hat mich sehr gereizt“, gibt Rösch zu. „Es wäre eine coole Story gewesen. Am Ende ist es daran gescheitert, dass ich die komplette Saison hätte mitmachen müssen. Der Aufwand war einfach zu groß.“

Der kleine Bauchansatz, von dem er selbst freimütig spricht, wäre jedenfalls das kleinste Hindernis gewesen. Rösch hätte damit wieder mal für Aufsehen gesorgt, die Schlagzeilen wären ihm sicher gewesen. Doch auch jetzt, ein gutes dreiviertel Jahr später, ist er mit der Entscheidung und sich im Reinen, seinem ohnehin turbulenten Leben nicht die nächste Wendung gegeben zu haben.

Der Job als TV-Experte bei Eurosport macht ihm großen Spaß, für den Spartensender kommentiert er seit dieser Saison an der Seite von Sigi Heinrich die Rennen. „Da muss ich mir schon dreimal überlegen, was ich sage“, meint Rösch, der bekannt ist für seine emotionale bis manchmal derbe Wortwahl. Für die Übertragungen, bei denen er im Tonstudio eines Eurosport-Kollegen in der Dresdner Neustadt sitzt, muss sich der frühere Weltklasse-Biathlet nun zwangsläufig auch viel mit der deutschen Mannschaft beschäftigen. Seine Einschätzung: „Unsere Lücke zur absoluten Weltspitze ist groß. Das war aber auch absehbar. Wir sind natürlich erfolgsverwöhnt.“

Der bislang einzige deutsche Weltcupsieger in dieser Saison, Johannes Kühn, habe ihn allerdings „umgehauen“. Mit Olympiasiegen und -medaillen dürfte es diesmal aber schwer werden, glaubt Rösch.

Als Biathlet erlebte er zwei Olympische Spiele, die kaum unterschiedlicher hätten sein können. 2006 war er der Jungstar im Team und holte mit der Staffel den Olympiasieg. Fernsehreporter überschlugen sich mit Lob, er galt als Nachfolger des großen Sven Fischer. Zwölf Jahre später war für den damaligen Neu-Belgier schon die Teilnahme bei den Spielen in Pyeongchang 2018 ein großer Erfolg.

Ebs, wie ihn seine Freunde nennen, kennt nicht nur die ganze Bandbreite der Emotionen, er hat sie erlebt. Vom gefeierten Olympiasieger bis hin zur Beinahe-Privatinsolvenz.

Auch die Karriere nach der Karriere verlief alles andere als geradlinig. Im Januar 2019 hatte Rösch beim Weltcup in Ruhpolding sein letztes Rennen bestritten, im Mai begann er als Cheftrainer am Stützpunkt in Altenberg. Und dazwischen kam im März noch Sohn Levi auf die Welt, was Rösch in seiner typischen Art bei Facebook kommentierte: „Der beste Schuss meines Lebens.“

Mit der neuen Doppelbelastung von Familie und Trainerjob war er jedoch, so sieht er das rückblickend, „völlig überfordert“. Das Jahr sei brutal gewesen. Rösch wollte ein Trainerstudium beginnen, was dann doch nicht klappte. „Irgendwie ging alles in die Hose“, wie er feststellt. Das Eltern-Dasein brachte ihn in der Anfangszeit an seinen Grenzen, weil Levi erst mit Koliken und später mit den Zähnen zu kämpfen hatte. „Ich bin mit ihm nachts drei Stunden durch die Heide spaziert und hab Levi um sieben früh abgegeben. Danach bin ich nach Altenberg gefahren. Wir sind manchmal wie Leichen rumgerannt“, sagt Rösch.

Nach einem Jahr hörte er als Trainer wieder auf – und blickt nun sehr selbstkritisch auf die Zeit zurück, auch typisch Rösch. „Ich habe meinen Vertrag nicht so erfüllt, wie ich es mir vorgestellt habe. Ich hatte die ganze Zeit Druck, familiär, körperlich, mental.“ Als einen Grund nennt er den zeitlich nahezu lückenlosen Übergang. Die Elternzeit, die er sich nahm, war auch eine Auszeit. Erst im Oktober 2020 wagte Rösch einen Neustart und machte sich im Event-Bereich selbstständig. Ein neuer Partner ist Interwetten, für den er in Kooperation mit dem Deutschen Ski-Verband Botschafter ist. Das finanzkräftige Unternehmen fördert auch soziale Projekte, was Rösch wichtig ist – er unterstützt vor Ort den Sonnenstrahl-Verein für Familien krebskranker Kinder.

Das erste Mal als TV-Experte im Einsatz war er für den Bezahlsender Sky vergangenen Winter. Anfang des Jahres – er hatte seine Tasche für den Weltcup in Oberhof schon gepackt – bremste ihn allerdings ein positiver PCR-Test aus. Während Rösch so gut wie keine Covid-Symptome spürte, lag seine Freundin mit schwerer Atemnot zu Hause. Corona beschäftigt ihn nach wie vor: „Die Unwissenheit und auch Dummheit vieler Menschen bei diesem Thema macht mich wütend. Und die Minderheit ist so laut, als wäre es die Mehrheit.“

Wie es weitergeht, was 2022 bereithält? Rösch ist selbst gespannt. So schnell aber, das weiß er inzwischen, kann ihn nichts mehr umhauen.