SZ + Pirna
Merken

Besonderer Schule in Wehlen droht das Aus

In der "Stellwerkstatt" der Awo in Wehlen erhalten Jugendliche ohne Schulabschluss eine Perspektive. Kurz vor Weihnachten gibt es jetzt eine Hiobsbotschaft.

Von Dirk Schulze
 4 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Leiterin Daniela Ulbricht von der "Stellwerkstatt": Schüler und Mitarbeiter fühlen sich vor den Kopf gestoßen.
Leiterin Daniela Ulbricht von der "Stellwerkstatt": Schüler und Mitarbeiter fühlen sich vor den Kopf gestoßen. © Daniel Schäfer

Nach Unterrichtsschluss am letzten Schultag hat Leiterin Daniela Ulbricht ihre Schüler noch frohen Mutes in die Weihnachtsferien verabschiedet. "Wir sehen uns im neuen Jahr!" Eine halbe Stunde später liest sie am Rechner die Nachricht: Die Förderung für ihre Einrichtung fällt ab 1. Januar 2023 weg. Die "Stellwerkstatt" in Stadt Wehlen steht damit vor dem Aus.

In der Produktionsschule der Arbeiterwohlfahrt (Awo) im alten Bahnhofsgebäude in Wehlen erhalten Jugendliche ohne Schulabschluss eine Perspektive. Es ist ein Angebot für jungen Menschen zwischen 15 und 25 Jahren, die aus den verschiedensten Gründen aus dem Regelschulsystem gefallen sind, seien es Drogen, psychische Erkrankungen oder schwierige Verhältnisse zu Hause. In der "Stellwerkstatt" bekommen sie eine feste Tagesstruktur, können handwerkliche Fähigkeiten erlernen und später ihren Haupt- oder Realschulabschluss nachholen.

Zwei Tage vor Weihnachten musste Daniela Ulbricht nun ihre 25 Schüler abtelefonieren und ihnen die Hiobsbotschaft verkünden, dass ab Januar plötzlich Schluss sein soll. "Eine Katastrophe für unsere Jugendlichen, die schon viele Beziehungsabbrüche hatten", sagt die Schulleiterin. Alle würden sich komplett vor den Kopf gestoßen fühlen.

Förderung soll nach 14 Jahren plötzlich enden

Die "Stellwerkstatt" wurde seit ihrer Gründung 2008 zu 90 Prozent mit Fördermitteln aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) finanziert. Verteilt werden dieser Gelder im Freistaat Sachsen von der Sächsischen Aufbaubank (SAB). Alle zwei Jahre müssen sich die Träger in der Jugendhilfe neu darum bewerben.

Am 21. Dezember teilte die SAB der Awo Kinder- und Jugendhilfe nun mit, dass die Produktionsschule in Wehlen ihre 90-prozentige Förderung ab 2023 nicht mehr erhalten werde. Beantragt wurde diese im September. Für den Träger kommt das besonders deshalb überraschend, weil das Jugendamt im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge schon im August zugesichert hatte, seinen Anteil der Finanzierung fortzusetzen. Das Amt zahlt die übrigen 10 Prozent.

Schüler, Förderer und Mitarbeiter in der Werkhalle. Sie wollen für den Erhalt der Produktionsschule kämpfen.
Schüler, Förderer und Mitarbeiter in der Werkhalle. Sie wollen für den Erhalt der Produktionsschule kämpfen. © Daniel Schäfer

"Für uns war damit klar, wir können auch für die nächsten zwei Jahre dieses wichtige Angebot fortführen", sagt Awo-Geschäftsführerin Claudia Grüneberg. Umso mehr sei man nun entsetzt, dass man kurz vorm Jahresende über das Gegenteil informiert werde. "Hier wird durch die SAB - ohne fachlichen Einblick und ohne Rückfragen - eine wichtige Stütze im Bereich der Jugendberufshilfe von heute auf morgen platt gemacht."


Neben den 25 Jugendlichen sind auch sechs Mitarbeiter der "Stellwerkstatt" plus weitere sechs Honorarkräfte von der Nachricht überrascht worden. 14 Jahre Expertise würden kaputt gemacht, sagt Schulleiterin Daniela Ulbricht. Der Landesgeschäftsführer der Awo in Sachsen, David Eckardt, zeigt sich fassungslos und sieht die betroffenen jungen Menschen als Leidtragende einer nicht zu Ende gedachten Entscheidung.

SAB: Nicht genug Geld im Haushalt

Die Sächsische Aufbaubank, die diese EU-Fördermittel verteilt, will sich zu dem konkreten Fall nicht äußern. Zur Begründung verweist die SAB auf ein "Bank- und Verwaltungsgeheimnis". Generell stünden nur so viele Mittel zur Verfügung, wie der Sächsische Landtag im Haushalt für den Freistaat beschlossen habe. "Einige Projekte konnten/können daher mangels verfügbarer Haushaltsmittel leider nicht berücksichtigt werden", erklärt SAB-Sprecher Volker Stößel.

Bisher wurden im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge drei Produktionsschulen verschiedener Träger gefördert: eine in Heidenau, eine in Freital (inklusive Außenstelle in Dippoldiswalde) und eben die Produktionsschule in Stadt Wehlen. Nach Informationen von Sächsische.de soll sich für die kommende Förderperiode ein weiterer Standort um Fördermittel beworben haben.

Die Auswahlentscheidung liegt bei der SAB. Einrichtungen, die keinen Förderzuschlag bekommen haben, können laut Angaben des sächsischen Sozialministeriums dagegen Widerspruch einlegen bei der SAB.

Schulleiterin Daniela Ulbricht und ihre Mitarbeiter und Schüler der "Stellwerkstatt" in Stadt Wehlen wollen trotz der schlechten Nachrichten im Januar weiter für den Erhalt ihrer Einrichtung kämpfen.