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Bahretal: Das kann nicht nur ein einziger Wolf gewesen sein

Der Mufflon-Widder ist nicht das erste Tier, das Wölfe bei Wingendorf im Osterzgebirge rissen. Nun sorgt sich Jana Löser um ihre Kinder und Schafe - und gibt es ein aktuelles Video.

Von Heike Sabel
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Die Reste eines Mufflon-Widders: In Wingendorf ist man sicher, hier waren mehrere Wölfe am Werk.
Die Reste eines Mufflon-Widders: In Wingendorf ist man sicher, hier waren mehrere Wölfe am Werk. © privat

Die Lösers haben das, wofür die Städter erst fahren müssen: Hinter ihrem Grundstück beginnen Wiese und Wald. Wingendorf nennt man das, wo sich Hase und Igel gute Nacht sagen. Nun kommt der Wolf dazu. Nicht nur nachts. Nach zwei Rehen seit Herbst hat er sich jetzt ein Mufflon-Widder geschnappt. Eine Frau hat es gefunden bzw. das, was davon übriggeblieben war. Schnell stand für Gunter Löser und seine Tochter Jana fest: Das war nicht nur ein einziger Wolf.

Gegen einen hätte sich das Mufflon wehren können, sagen sie. Es müssen mehrere Wölfe gewesen sein, die das Tier erst umzingelten und sich dann über es hermachten. Und nein, ein Fuchs kommt nicht infrage. Der ist kleiner und lässt mehr vom Fleisch übrig. Zwar haben die Vögel die Knochen noch abgeputzt, doch so viel Mufflon-Fleisch frisst ein Wolf allein nicht, sind beide überzeugt.

Tipps sind im entscheidenden Moment schwer zu befolgen

Seit dem Fund der kläglichen Überreste ist den Lösers etwas mulmig. Wegen Jana Lösers Kindern und Nichten und wegen der Familien-Schafe. Die Kinder laufen gern mal eine Runde, als Kinder des Dorfes sind sie das gewohnt. Sie haben zwar auf ihren Handys eine Ortungsapp, doch wenn es wie kürzlich passiert, das Handy zu Hause vergessen, ist die Aufregung groß. Die App und das Handy bewahren sie zwar nicht vor Gefahren, doch es fühlt sich etwas besser an, sagt Jana Löser.

Jana Löser unweit ihres Familiengrundstückes in Wingendorf. Hier, wo sie steht, wurden die Überreste des Muffel-Widders gefunden.
Jana Löser unweit ihres Familiengrundstückes in Wingendorf. Hier, wo sie steht, wurden die Überreste des Muffel-Widders gefunden. © Egbert Kamprath

Nachdem ein Wolf auch schon am helllichten Tage gesehen wurde, fragen sich die Lösers immer öfter, was sie im Falle eines Falles machen. Wegrennen bringt nichts, sagt Jana Löser. Im Gegenteil, es ist das Falscheste, denn es löst den Verfolgungsinstinkt des Wolfs aus. Übliche Tipps lauten: Machen Sie sich bemerkbar durch Reden, Rufen und oder In-die-Hände-Klatschen. Zeigen Sie dem Wolf durch beherztes Auftreten, dass Sie die Situation unter Kontrolle haben. Entfernen Sie sich dabei langsam und ruhig, immer mit dem Gesicht zum Wolf. Theoretisch sei gut und klar, doch im Moment der Begegnung eher schwer machbar, befürchtet Jana Löser. Meist verhalten sich Wölfe zwar vorsichtig dem Menschen gegenüber, meiden die direkte Begegnung und weichen aus, bevor Mensch und Tier direkt zusammentreffen. Auch wenn so etwas selten ist, die Lösers schauen sich jetzt öfters erstmal um. "Ist die Habgier des Wolfes auf Futter sehr groß, hat man sozusagen verloren. Da hilft kein Flüchten", sagt Jana Löser.

Konkreter Nachweis nicht möglich

Die Schafe sind noch im Stall, das Grün draußen ist zu spärlich. Wann die fünf Schafe und vier Lämmer der Familie auf die Wiese dürfen, wissen Jana und Gunter Löser noch nicht. Sie werden zwar eingezäunt, aber nicht mit Wolfszäunen. Die sind höher als übliche, doch an den zum Teil recht steilen Hängen bringe das nicht viel. Dass sie ohne den Wolfszaun keine Entschädigung erhalten, sollte ein Schaf nachweislich von einem Wolf gerissen werden, ist den Lösers nicht wichtig. "Uns geht es nicht darum, sondern, um andere zu warnen." Deshalb haben sie ihre Entdeckung auch auf der Wolfssichtungsseite des Landesamtes für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie eingetragen. Dort gibt es auch Meldungen aus dem benachbarten Göppersdorf sowie aus Hennersbach.

Die neun Schafe, darunter vier Lämmer, gehören zur Familie. Wann Jana Löser sie auf die Weide lässt, weiß sie jetzt noch nicht. Der Wolf macht sie vorsichtig.
Die neun Schafe, darunter vier Lämmer, gehören zur Familie. Wann Jana Löser sie auf die Weide lässt, weiß sie jetzt noch nicht. Der Wolf macht sie vorsichtig. © Egbert Kamprath

Die Lösers sind also nicht die Ersten, die ohne ihn zu sehen, eine Begegnung mit dem Wolf hatten. In Reichstädt, keine 20 Kilometer Luftlinie entfernt, fand Madelaine Stübs erst kürzlich ein ausgeweitetes Reh und ist sich sicher, das war der Wolf. Die Reichstädterin und Jana Löser kennen sich gut, tauschen sich aus.

So sicher sich die beiden Frauen sind, das Landesamt kann nur anhand von Fotos nichts zur Todesursache eines Tieres sagen. Dafür wäre eine konkrete Untersuchung der Überreste vor Ort notwendig.

Tschechischer Wolf zweimal nachgewiesen

Schon im Juni 2023 tappte bei Wingendorf ein Wolf zweimal in eine Wildkamera. Es war immer ein aus Tschechien stammender Wolf mit Senderhalsband. Im Oktober 2022 war er bei einem Verkehrsunfall auf tschechischer Seite schwer verletzt worden. Er wurde aufgenommen, gesund gepflegt und anschließend mit einem Senderhalsband im elterlichen Territorium freigelassen. Der Sender ist bereits im Februar 2023 ausgefallen, sodass es keine Informationen zum weiteren Aufenthaltsort des Wolfes gibt. Seit Juni fehlt von ihm jede Spur. Ob er jetzt für die beiden toten Tiere bei Wingendorf und Reichstädt verantwortlich ist, ist offen.

Überall in Sachsen ist jederzeit mit dem Wolf zu rechnen, sagt Landesamt-Pressesprecherin Karin Bernhardt. Auf der Suche nach einem Territorium oder einem Paarungspartner wandern die Jungwölfe mehrere hundert Kilometer. Mancherorts sind die Tiere nur auf der Durchreise oder halten sich nur kurz auf. Bietet das Gebiet ausreichend Nahrung, insbesondere wildlebende Huftiere, und Rückzugsräume, kann ein Wolf sesshaft werden und ein Territorium für sich beanspruchen.

Zwei bestätigte Wolfsrudel im Landkreis SOE

Im Monitoringjahr 2022/2023 wurden in Sachsen zwei Wolfsrudel bestätigt, deren Territorien zumindest zum Teil im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge liegen. Es sind die Rudel Hohwald und Massenei. Drei Wolfsterritorien haben ihren Schwerpunkt in der Tschechischen Republik und werden dort gezählt, ihre Territorien reichen jedoch auch zum Teil nach Sachsen und in den Landkreis SOE.

Jana Löser weiß, es gibt keine hundertprozentige Sicherheit. Und dass die Wölfe wieder verschwinden, wird auch nicht passieren. Als sie das erste Mal über die Elbe kamen, war das so ein Moment. Nun sind sie ganz nah. Genau darauf will Jana Löser hinweisen.