SZ + Politik
Merken

Jetzt gilt in Tschechien der Corona-Notstand

Im Nachbarland Tschechien müssen die Bewohner nun strengere Regeln hinnehmen. Weitere Verschärfungen könnten folgen. Ein Bericht aus Prag.

 5 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Blick auf den Grenzübergang in Sebnitz nach Tschechien. Trotz des Notstandes im Nachbarland: Der "kleine Grenzverkehr" ist weitgehend ohne Einschränkungen möglich.
Blick auf den Grenzübergang in Sebnitz nach Tschechien. Trotz des Notstandes im Nachbarland: Der "kleine Grenzverkehr" ist weitgehend ohne Einschränkungen möglich. © Steffen Unger

Von unserem Prag-Korrespondenten Hans-Jörg Schmidt

Prag. Montagmorgen um 6 Uhr ist die Welt in Prag auf dem ersten Blick noch in Ordnung. In den Frühverkaufsstellen nichts zu bemerken vom seit Mitternacht landesweit in Tschechien geltenden Corona-Notstand. Die ersten Kunden erscheinen wie auch zuletzt alle mit Maske - oder wie die Tschechen sagen - mit „Schleier“ vor Mund und Nase. Rasch Desinfektionslösung auf die Hände, und dann kann der Einkauf beginnen. Keine Neuigkeiten auch in den öffentlichen Verkehrsmitteln. Ohne Schleier ging da auch schon vorher nichts, ebenso wenig wie innerhalb von Gebäuden.

Doch in den Familien tut sich schon etwas: die Kinder der Mittelstufe machen sich nicht mehr fertig für die Schulen. Für sie ist wieder Fernunterricht angesagt. Medizinstudenten haben studienfrei und stehen bereit, in den Krankenhäusern bei der Betreuung von Corona-Patienten zu helfen. Eine notwendige Maßnahme, weil zurzeit auch rund 600 Ärzte und mehr als 1 000 Schwestern erkrankt sind.

Neu dagegen: Bei offiziellen Veranstaltungen in geschlossenen Innenräumen sind seit Montag nur noch maximal zehn Personen erlaubt, bei Außenveranstaltungen nur noch 20. Sport in Stadien, darunter die Fußball-Liga, muss ohne Zuschauer stattfinden. In Restaurants sind nur noch maximal sechs Personen an einem Tisch erlaubt. Im Kulturbereich wurden Opern und Konzerte mit Gesang untersagt. Das Singen, so heißt es, gehört zu einer der Aktivitäten mit der größten Gefahr einer Ansteckung mit COVID-19.

Es wird jedoch nicht bei diesen Maßnahmen bleiben. Der neue Gesundheitsminister Roman Prymula hat für diese Woche bereits mit einer Verschärfung der Corona-Beschränkungen gedroht: "Wenn die aktuellen, milderen Maßnahmen von einem Drittel der Bevölkerung nicht eingehalten werden, müssen wir zu härteren Mitteln greifen", sagt er nach einer Kabinettssitzung. 

R-Wert in Tschechien deutlich über 1,0

Prymula gehe indes im Moment nicht von einem zweiten Lockdown aus. "Wir können es uns nicht mehr erlauben, die Wirtschaft zu beschädigen“, betonte auch Ministerpräsident Andrej Babiš. Prymula sorgt sich vor allem um die Reproduktionszahl. Die liegt derzeit bei 1,24. Übersetzt heißt das, ein Infizierter steckt derzeit 1,24 andere Personen an. Diese Zahl soll so schnell wie möglich unter 1 gedrückt werden.

Tschechien hatte die erste Welle von Corona sehr gut überstanden, weil die Regierung sehr zeitig und hart reagiert hatte. Die geringen Zahlen hatten dann den Eindruck entstehen lassen, dass der Sommer wieder unbeschwert genossen werden könne. Über Wochen wurde von Politikern und Medien nur noch diskutiert, wo man seinen Auslandsurlaub verbringen könne, „als ob das ein verbrieftes Menschenrecht“ sei, wie später kritisiert wurde.

Andrej Babis, Premierminister von Tschechien, sorgt sich um die Reproduktionszahl in seinem Land.
Andrej Babis, Premierminister von Tschechien, sorgt sich um die Reproduktionszahl in seinem Land. © Michaela Øíhová/CTK/dpa

Die guten Ergebnisse bei der Corona-Bekämpfung hatten aber ihre Ursache auch in der vergleichsweise geringen Zahl von Tests. Heute verzeichnet Tschechien sehr viel mehr Infizierte als das große Deutschland. Aber es testet auch viel intensiver als in der ersten Welle. Die Gefahr wird auch von den Medien hochgepusht. Anders als in der ersten Welle verlaufen die allermeisten Erkrankungen nämlich sehr leicht. Die Corona-Betten in den Kliniken sind im Landesdurchschnitt nur zu 20 Prozent ausgelastet. Dennoch will man nicht mehr so leichtsinnig wie im Sommer sein.

Der frühere Gesundheitsminister Adam Vojtěch wollte zwar Ende der Sommerferien die Maskenpflicht wieder einführen. Er wurde jedoch von Premier Babiš ausgebremst. Auch der neue Minister musste sich schon dem Regierungschef beugen. Als er vorschlug, dass die Gäste in Restaurants und Kneipen zur eventuellen Nachverfolgung von Kontakten Infizierter Namen und Adressen angeben sollten, wies Babiš das vergangene Woche als völlig übertrieben zurück. 

Grenzschließung ausgeschlossen

Babiš machte sich Sorgen um den Ausgang der Regionalwahlen am Wochenende, wollte seine Wählerklientel um keinen Preis durch härtere Vorsichtsmaßnahmen verärgern. Nachdem die Wahlen für den Premier sehr glimpflich ausgegangen sind, dürfte Prymula jetzt mit seinen Anordnungen freie Hand haben. Doch knallhart werden die wohl nicht werden.

Lockerer als in der ersten Corona-Welle soll es auch im kleinen Grenzverkehr bleiben. Eine abermalige Grenzschließung wird in Prag ausgeschlossen. Anders als in der ersten Welle wird in den Medien jetzt auch nicht mehr ebenso leichter Hand wie wahrheitswidrig den Pendlern die Schuld an der Zahl der Erkrankten in Tschechien zugeschoben. 

Vielerorts weisen Schilder auf die Maskenpflicht hin, die in Innenräumen und öffentlichen Verkehrsmitteln gilt.
Vielerorts weisen Schilder auf die Maskenpflicht hin, die in Innenräumen und öffentlichen Verkehrsmitteln gilt. © Rafael Sampedro

Zumal die höchsten Infiziertenzahlen nicht im Grenzgebiet gemessen werden, sondern in Prag und dem Großraum um die Hauptstadt sowie in einem Gebiet in Mähren an der Grenze zur Slowakei. Wenn jemand angesichts der aktuellen Zahlen großzügig ist, dann sind das die deutschen Grenzländer Sachsen und Bayern. Beide wollen nicht am kleinen Grenzverkehr rütteln. Bayern hat entsprechende Regelungen schon länger in seiner Quarantäne-Verordnung. 

Mit Wirkung vom 1. Oktober hatte sich denen auch Sachsen angeschlossen. Danach dürfen Deutsche für 48 Stunden nach Tschechien, ohne danach für 14 Tage zur Quarantäne verurteilt zu sein oder einen negativen COVID-19-Test vorlegen zu müssen. Die Regelung gilt auch für Tschechen, die nach Deutschland wollen oder aus dringenden Gründen müssen, allerdings nur für 24 Stunden.

Der Notstand gilt zunächst für 30 Tage, die konkreten neuen Maßnahmen zunächst für 14 Tage. Die handelnden Verantwortlichen haben am Wochenende auch noch einmal Rückhalt von Präsident Miloš Zeman erhalten. Der sagte in einem TV-Interview, womöglich komme es zu einem Wunder und Corona gehe in einigen Regionen drastisch zurück. In diesem Fall wäre eine ganzstaatliche Quarantäne nicht erforderlich. „Aber ich fürchte“, so fügte er hinzu, „dass ein solches Wunder nicht kommen wird.“