SZ + Großenhain
Merken

Kreis Meißen: Ukrainehilfe durch Personalmangel erschwert

Wohnung, Bildung oder ärztliche Versorgung: Die Mitarbeiter der Diakonie sind absolut erfahren mit der Betreuung von Flüchtlingen, aber stoßen an Grenzen.

Von Catharina Karlshaus
 6 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Flüchtlinge an der Grenze der Ukraine bei Kroscienko: Vor allem Frauen, ältere Menschen und Kinder machten sich auf den Weg. Angekommen sind viele auch im Landkreis Meißen.
Flüchtlinge an der Grenze der Ukraine bei Kroscienko: Vor allem Frauen, ältere Menschen und Kinder machten sich auf den Weg. Angekommen sind viele auch im Landkreis Meißen. © xcitepress

Großenhain. Seit 24. Februar 2022 ticken die Uhren dieser Welt komplett anders. Seit Kriegsbeginn sind Millionen Menschen auf der Flucht. Zwischen Ende Februar 2022 und dem 12. Februar 2023 wurden allein 1.062.029 Geflüchtete aus der Ukraine im deutschen Ausländerzentralregister (AZR) registriert. Auch im Landkreis Meißen fanden viele Flüchtlinge eine Zuflucht. Betreut werden sie von den Mitarbeitern der Diakonie Meißen. Sächsische.de war mit der Leiterin der Migrationsberatung, Sylvia Spargen, im Gespräch.

Frau Spargen, in einem Gespräch mit Sächsische.de im März 2022 haben Sie und Ihre Vorgängerin Gerlinde Franke zu bedenken gegeben, aufgrund der komplizierten Lage in der Ukraine könne die Hilfsbedürftigkeit einem Marathon statt einem Sprint gleichen. Wie bitter ist es, dass Sie tatsächlich recht hatten?

Sehr bitter! In den Aussagen steckten die Erfahrungen aus anderen Flüchtlingskrisen. Es hat sich stets gezeigt, dass die Hilfsbedürftigkeit der Menschen nicht mit ihrer Ankunft endet, sondern sich fortsetzt und daher als langanhaltender Prozess zu verstehen ist. Das zeigt sich zum Beispiel auch bei den Geflüchteten, die 2015 bis 2017 ankamen und heute immer noch unser Beratungsangebot wahrnehmen. Bei den Menschen aus der Ukraine ist das nicht anders – im Gegenteil: Nach den jüngsten Reden von Putin und Biden sieht es allgemein nicht nach Annäherung aus. Insofern brauchen die Menschen, und brauchen auch wir weiterhin einen langen Atem.

Wie viele ukrainische Flüchtlinge werden momentan im Landkreis Meißen von der Diakonie Meißen betreut?

Momentan sind im Landkreis circa 2.700 ukrainische Flüchtlinge gemeldet. Allerdings stehen für die Beratung der ukrainischen Geflüchteten landkreisweit, zusätzlich zu den anderen Beratungen von bereits anerkannten Geflüchteten, lediglich 3,5 Vollzeitäquivalente zur Verfügung. Aus unserer Sicht zu wenig. Denn damit gibt es landkreisweit fünf Beratende für diesen Personenkreis – so kommt es zu längeren Wartezeiten in der Beratung, wobei wir diese dank der Unterstützung durch das Landratsamt Meißen noch einigermaßen kompensieren können. In den Großstädten sieht die Situation ganz anders aus.

Unmittelbar nach Kriegsbeginn war die Hilfsbereitschaft überwältigend groß. Viele private Initiativen machten sich selbst auf den Weg, um Menschen außer Landes zu fahren. Ist diese Woge der Anteilnahme inzwischen unter der Überdrüssigkeit der allgemeinen Krisenstimmung begraben worden?

Aufgrund der schwierigen Situationen im eigenen Land, aufgrund der steigenden Inflation und den vielen Krisenereignissen, jüngst erst das Erdbeben in Syrien und der Türkei, hat die Woge der Hilfsbereitschaft verständlicherweise etwas nachgelassen. Trotzdem haben sich feste Gruppen oder Angebote gebildet und etabliert. Diese werden aber nicht ausschließlich für Menschen aus der Ukraine angeboten, sondern sind auch für andere Geflüchtete geöffnet.

So findet unter anderem wöchentlich ein ehrenamtlich geleiteter Vorschulkreis in unseren Beratungsräumen statt, um den Kindern ohne Kitaplatz grundlegende deutsche Begriffe spielerisch zu vermitteln oder um überhaupt in den Austausch mit anderen Kindern zu kommen. Es melden sich auch weiterhin Personen, die ehrenamtlich bei der Suche nach Wohnraum oder bei der Vermittlung von Arbeitsplätzen mit anpacken wollen. Dafür sind wir sehr dankbar.

Sylvia Spargen, Leiterin der Migrationsberatung der Diakonie Meißen, kritisiert die ungenügende personelle Ausstattung, was eine längere Wartezeit auf Beratungen nach sich zieht.
Sylvia Spargen, Leiterin der Migrationsberatung der Diakonie Meißen, kritisiert die ungenügende personelle Ausstattung, was eine längere Wartezeit auf Beratungen nach sich zieht. © Kristin Richter

Das Team der Diakonie hat sich seit 2013 den Herausforderungen der Flüchtlingsbewegung stellen müssen. Worin unterscheidet sich dieses Mal die Betreuung der Ukrainer?

In den Jahren zwischen 2013 und 2016 mussten viele strukturelle Angebote für die Geflüchteten erst aufgebaut und initiiert werden. Vieles war noch unklar und gesetzliche Regelungen noch nicht getroffen. Das ist diesmal anders: Auf den Erfahrungen der vergangenen Jahre kann aufgebaut werden. Ressourcen, die zwischenzeitlich „auf Eis“ gelegen haben, konnten schnell reaktiviert werden. Allerdings sehen die gesetzlichen Regelungen heute anders aus als früher.

Grund dafür ist die von der Bundesregierung erlassene sogenannte Massenzustromrichtlinie. Der Zugang von ukrainischen Geflüchteten zu Sprachkursen, in den Arbeitsmarkt und zu den Regelleistungen des Sozialgesetzbuchs II ist von Beginn an gegeben. Ebenso der vorübergehende sichere Aufenthaltstitel. Diese Möglichkeit haben Menschen aus den sogenannten Drittstaaten nicht, welche zunächst ein Asylverfahren durchlaufen und dementsprechend länger auf Entscheidungen warten müssen.

Durchschlagen wird sicherlich auch der gegenwärtige Arbeitskräftemangel, oder?

Richtig! Deshalb greifen viele grundlegende Strukturen im Gegensatz zu 2015 aktuell nicht mehr. Unter anderem geraten Schulen an ihre Kapazitätsgrenze. Ukrainische Kinder werden in den Grundfächern jahrgangsübergreifend in sogenannten ukrainischen Schulklassen von Lehrerinnen und Lehrern unterrichtet, die selbst Fluchtgeschichte haben. Am Nachmittag sitzen sie dann oftmals noch im ukrainischen Online-Unterricht, um ergänzend in allen anderen Fächern unterrichtet zu werden.

Der Mangel an Sozialwohnungen macht es nicht nur Flüchtlingen aus der Ukraine schwer, geeigneten Wohnraum anzumieten. Die ärztliche Versorgung im ländlichen Raum versucht, den Anfragen gerecht zu werden, stößt aber auch an ihre Grenzen. Die Wartezeit auf Sprachkurse ist im Vergleich zu 2015/2016 wesentlich länger. Auch den Sprachkursträgern fehlt das Personal, um Deutschkurse in der benötigten Vielzahl anzubieten. Die derzeit laufenden Kurse sind voll und die Schulen berichten uns von langen Wartezeiten für neu angemeldete Teilnehmende.

Viele Frauen oder Familien bekundeten von Anfang an nachdrücklich, so schnell als möglich wieder in ihr Heimatland zurückkehren zu wollen. Haben Sie einen Überblick darüber, in wie vielen Fällen das tatsächlich gelungen ist?

Zahlenmäßig können wir derzeit nicht belegen, wie viele Personen in die Ukraine zurückgekehrt sind. In unseren Beratungsgesprächen haben wir jedoch regelmäßig von Frauen oder Familien erfahren, die sich hier abmelden und in ihre Heimat zurückkehren wollen.

Zielpunkt sind dann Gebiete, welche bisher nicht zerstört worden sind oder verhältnismäßig wenig von den russischen Angriffen betroffen waren. Viele der hier angekommenen Menschen schildern uns aber auch, dass es ihren Heimatort nicht mehr gibt. Wohnungen und Häuser, ganze Existenzen sind zerstört. Trotzdem halten viele Geflüchtete daran fest, nach Kriegsende in ihr Heimatland zurückzukehren.

Frau Spargen, ein schnelles Ende des Krieges ist leider nicht absehbar. Stellen Sie sich auf einen weiteren Flüchtlingsstrom aus den umkämpften Gebieten ein?

Ja, wir rechnen mit weiteren Flüchtlingen aus den umkämpften Gebieten in der Ukraine.

Am Freitag findet um 18 Uhr in der Großenhainer Marienkirche ein Friedensgebet statt. Es wird in mehreren Sprachen abgehalten.