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Marokkanischer Studentin aus der Ukraine droht in Sachsen die Abschiebung

Donia Bouchta studierte in Charkiw Architektur, bis sie wegen des Krieges flüchten musste. Nun lebt sie in Leipzig und fühlt sich im Moment wie ein Flüchtling zweiter Klasse.

Von Leon Heyde
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Donia Bouchta, Studentin aus der Ukraine, hat in der Ukraine studiert. Aufgrund des Krieges ist sie nach Deutschland geflohen, doch hier droht ihr die Abschiebung.
Donia Bouchta, Studentin aus der Ukraine, hat in der Ukraine studiert. Aufgrund des Krieges ist sie nach Deutschland geflohen, doch hier droht ihr die Abschiebung. © Anja Jungnickel

Leipzig/Dresden. Donia Bouchta sitzt vor der kargen Wand ihres Wohnheimzimmers in Leipzig. Die 25-Jährige ist im März vor dem russischen Angriffskrieg nach Deutschland geflohen. Als Marokkanerin, die zum Studieren in die Ukraine kam, hat sie im Gegensatz zu Flüchtlingen mit ukrainischem Pass keinen Anspruch auf vorübergehenden Schutz in Deutschland. Wenn sie die Voraussetzungen für einen regulären Aufenthalt nicht erfüllt, droht ihr die Abschiebung. Wie viele Menschen davon in Sachsen betroffen sind, ist nicht bekannt.

Laut Bundesinnenministerium waren im August etwa 29.000 der seit Februar erfassten Ukraine-Flüchtlinge Drittstaatsangehörige. Bouchta stellt die Frage, die viele Menschen in ihrer Situation bewegt: „Warum haben wir es schwerer, uns in Deutschland ein Leben aufzubauen als Ukrainer?“

Als sich ein Überfall Russlands im Frühjahr dieses Jahres bereits abzeichnet, hält Bouchta noch lange an ihrem Leben in der Ukraine fest. „Ich hatte mein Studium, einen Nebenjob, meine eigene Wohnung, ein ganzes Leben.“ 2018 kam sie von Frankreich nach Charkiw, studierte dort Architektur. Am Morgen des 24. Februar wird sie vom russischen Angriff auf ihre Stadt aus dem Schlaf gerissen. Drei Tage später flüchtet sie über die Slowakei und Prag nach Deutschland.

Zusammen mit zwei ägyptischen Freunden kommt Bouchta Anfang März nach Leipzig. Über Wochen leben die Freunde in gemieteten Apartments. Im Mai, als sie endlich eine feste Wohnadresse haben, registrieren sie sich bei der Ausländerbehörde. Anfang August zieht Bouchta in ein Wohnheimzimmer der Universität Leipzig, für 250 Euro Miete im Monat.

Menschen aus unsicheren Herkunftsländern können in Deutschland Asyl beantragen. Doch viele Studierende kommen aus afrikanischen Ländern wie Nigeria, Ghana oder Ägypten, die als sicher gelten. Auch Marokko gehört dazu. Um in Deutschland bleiben zu dürfen, müssen sie sich an einer deutschen Uni einschreiben. Dafür müssen die meisten zuvor allerdings einen Deutschkurs absolvieren und ein Sperrkonto mit 10.000 Euro vorweisen.

Innenministerium verweist auf Bund

Ende August lief die visumfreie Bleibeerlaubnis für Drittstaatsangehörige ab – nur wenige konnten diese Nachweise bis dahin erfüllen. Claudia Maicher (Grüne) ist Vorsitzende des Wissenschaftsausschusses im sächsischen Landtag. Seit dem Frühjahr beschäftigt sich der Ausschuss mit der Frage, wie Betroffenen eine Bleibeperspektive gegeben werden kann.

„Ausländerbehörden knüpfen die Ausstellung vorübergehender Aufenthaltserlaubnisse vielerorts an begonnene Sprachkurse, nicht an Studienbescheinigungen“, sagt Maicher. Die sächsischen Hochschulen hätten vorbereitende Sprachkurse aufgestockt, allerdings reiche die Anzahl noch immer nicht aus.

Donia Bouchta hält Anfang September endlich ihre Aufenthaltsbescheinigung in der Hand. Sie kann ab sofort vom Jobcenter 450 Euro Grundsicherung beziehen. Um ihr Leben selbst finanzieren zu können, will sie einen Nebenjob aufnehmen. Ein Jahr hat sie nun Zeit, ihren Deutschkurs zu beenden und anschließend ein Studium oder eine Ausbildung zu beginnen.

Donia Bouchta absolviert derzeit einen Sprachkurs an der Universität Leipzig.
Donia Bouchta absolviert derzeit einen Sprachkurs an der Universität Leipzig. © Anja Jungnickel

„Ich habe meine Hoffnung verloren, Architektur zu studieren“, sagt Bouchta enttäuscht. In Deutschland müsste sie ihr Studium vermutlich von Neuem beginnen. Deshalb überlegt sie, eine Ausbildung zu machen. Anders als Bouchta gibt es auch Menschen, die Angst davor haben, zur Ausländerbehörde zu gehen. Angst davor, zurück in ihr Herkunftsland zu müssen, in dem ihnen jegliche Perspektive fehlt. Bouchta kennt Betroffene, die „einfach abwarten, ohne zu wissen, worauf sie überhaupt warten.“

Das sächsische Innenministerium (SMI) verweist auf Anfrage von Sächsische.de darauf, dass der Bund den vorübergehenden Schutz, der für Ukrainer gilt, laut EU-Recht auch auf Drittstaatsangehörige ausweiten könne. Das ist bisher nicht passiert. Abschiebungen von Betroffenen, die bisher keine Studienzulassung in Sachsen besitzen, sind allerdings nicht geplant.

Bremen, Hamburg und Berlin hatten für ihre Bundesländer in Eigenregie den Aufenthalt der Betroffenen über den 31. August hinaus mit sogenannten Fiktionsbescheinigungen um ein halbes Jahr verlängert. Ein solcher Ländererlass ist in Sachsen derzeit nicht abzusehen.

"Ich habe mein Zuhause verloren, meine Zukunft, meine Freunde"

„Eine Fiktionsbescheinigung ist auch keine wirkliche Lösung. Das ist das Hangeln von einem Strohhalm zum anderen“, sagt Sachsens Ausländerbeauftragter Geert Mackenroth (CDU). „Die dauerhafte Studienzulassung muss das Ziel sein. Erst dann sind die Studenten auch berechtigt, mehr Geld zu beziehen.“ Mackenroth appelliert daher an Betroffene, nicht aus Angst den Gang zur Ausländerbehörde zu scheuen.

Sachsen Wissenschaftsminister Sebastian Gemkow (CDU) drängt auf eine Lösung des Bundes, weil sonst die Gefahr eines Flickenteppichs drohe. „Es darf keine Situation entstehen, in der die Drittstaatsangehörigen in einzelnen Bundesländern in letzter Konsequenz die Abschiebung droht, während sie sich in anderen Ländern weiter aufhalten dürfen“, sagt Gemkow.

Er ergänzt: „Der Freistaat hat selbst ein Interesse daran, diese gut vorgebildeten Menschen in Sachsen zu halten, wenn sie das möchten“. Die Kultusministerkonferenz habe das Bundesinnenministerium gebeten, Wege zu prüfen, um Betroffenen mehr Zeit zur Aufnahme ihres Studiums in Deutschland zu verschaffen.

Prinzipiell fühlt sich Donia Bouchta wohl in Leipzig, aber sie hat kein Verständnis für ihre ungleiche Behandlung im Vergleich zu Ukrainern. „Ich merke das auf dem Amt, wenn ich Dokumente ausfüllen muss. Man bekommt da das Gefühl, dass man gar keinen Anspruch darauf hat, hier zu sein.“, sagt Bouchta. „Ich habe mein Zuhause verloren, meine Zukunft, meine Freunde. Ich habe alles hinter mir gelassen. Ich habe den gleichen Albtraum erlebt wie die Ukrainer.“