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Dresdner Rede von Jean Asselborn: "Ich glaube an die Diplomatie"

In seiner Dresdner Rede wirbt Jean Asselborn leidenschaftlich für die Werte Europas – und für die Kunst des Ausgleichs, ohne die eigenen Werte zu verraten.

Von Marcus Thielking
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Zum Abschluss seiner Dresdner Rede erhält Jean Asselborn viel Applaus – und einen Blumenstrauß.
Zum Abschluss seiner Dresdner Rede erhält Jean Asselborn viel Applaus – und einen Blumenstrauß. © Matthias Schumann

Der Schnurrbart ist etwas aus der Mode geraten, und man könnte meinen, auch der Europäischen Union dürfte bald dieses Schicksal drohen. Wenn aber einer den moustache, wie der Oberlippenbart auf Französisch heißt, so stilvoll trägt wie Jean Asselborn, dann besteht noch Hoffnung.

Überhaupt ist der Mann schon von seiner ganzen Erscheinung durch und durch Europäer. Eleganter Anzug, der weiße Hemdkragen leger offen und ohne Krawatte, schwungvoll zurückgekämmtes graues Haar. Er spricht Deutsch, mit leicht französischem Akzent – und schon denkt man bei EU nicht an Brüsseler Bürokratie, sondern es weht ein Hauch von Kultur, Geschichte und Reisefreiheit durch den Saal.

„Es geht um die Zukunft Europas!“ So der Titel der Dresdner Rede von Jean Asselborn am Sonntag im Schauspielhaus. Asselborn war fast 20 Jahre lang Außenminister von Luxemburg. Weil er mit sympathischem Akzent Deutsch spricht und zugleich bekannt ist für seine klaren Worte, ist er ein gefragter Redner. Schon oft wurde er der „letzte Europäer“ genannt, weil es heute kaum noch jemand wagt, mit so viel Leidenschaft für das Projekt Europa zu werben. Diese Energie ist auch bei seiner Dresdner Rede zu spüren. Mit geballter Faust pocht er aufs Pult, um seine Sätze zu betonen.

Eine Verbeugung vor Wolfgang Schäuble

Dabei spricht der 74-Jährige zunächst mehr von der Vergangenheit als von der Zukunft. In seiner knapp einstündigen Rede schlägt Asselborn große Bögen durch Raum und Zeit, durch geopolitische und historische Zusammenhänge. Die EU, daran erinnert er immer wieder, ist entstanden, um die Kriege auf dem Kontinent zu beenden. Es ist eine Geschichte der Versöhnung zwischen einstigen Erzfeinden wie Deutschland und Frankreich, aus der Politiker heute mehr Mut schöpfen könnten.

Stattdessen sehe man Bilder von nervösem „Händchenhalten“ zwischen Scholz und Macron. Asselborn ist überzeugt: Wenn das Wolfgang Schäuble noch erleben könnte, würde er sagen: „Isch over!“ So gelingt dem Luxemburger eine charmante Verbeugung vor dem Redner, der ursprünglich an diesem Sonntag hier auftreten sollte, dann aber Ende vorigen Jahres gestorben ist.

Mit Verve verteidigt der Sozialdemokrat europäische Werte wie Demokratie und Rechtsstaat – und er warnt vor den Kräften in ganz Europa, die diese Werte bedrohen. Umso mehr hätten ihn die großen Proteste gegen Rechtsextremismus in vielen deutschen Städten gefreut: „Deutschland muss die AfD zusammenfalten!“, ruft Asselborn – und bekommt dafür vom Dresdner Theaterpublikum lang anhaltenden Applaus.

Die Klaviatur der Diplomatie

Asselborn ist bekannt als einer, der die Klaviatur der Diplomatie perfekt beherrscht und dem es dabei immer wieder gelingt, markante Akzente zu setzen und die Harmonie zu stören. Auch in Dresden bedient er sich dieser Kunst. Einerseits gibt er Macron recht, dass Europa sich darauf einstellen muss, sich eines Tages womöglich auch ohne die Schutzmacht USA verteidigen zu können. Andererseits respektiere er als Luxemburger die Vorsicht eines deutschen Bundeskanzlers, um nicht Kriegspartei zu werden: „Ich stelle nur fest“, sagt Asselborn, „dass bei aller Kritik Deutschland mit Abstand am meisten der Ukraine geholfen hat.“

Ähnlich elegant positioniert sich Asselborn in der umstrittenen Frage möglicher Friedensverhandlungen im Krieg Russlands gegen die Ukraine. Er glaube an die Diplomatie, und natürlich brauche man die Diplomatie als zivilisiertes Instrument, um diesen „barbarischen Krieg“ zu beenden. „Wir müssen für den geringsten Anhaltspunkt bereit sein, um die Diplomatie einzusetzen“, sagt Asselborn.

Die größten Chancen dafür sehe er im Rahmen der Vereinten Nationen, „auch wenn der Sicherheitsrat im Koma liegt“. Andererseits betont er ausdrücklich: „Es gibt im Moment nicht dieses Window of Opportunity, wie die Diplomaten das nennen, es gibt nicht den Punkt, wo man sagen könnte, hier soll man ansetzen.“ Außerdem sei es nicht einfach, mit einem „notorischen Lügner“ wie Putin zu verhandeln.

Plädoyer für Zwei-Staaten-Lösung

Zum Schluss seiner Rede wagt Asselborn noch einen weiteren Spagat zum Thema Gaza und Israel: „Ich weiß, in Deutschland muss man sehr, sehr vorsichtig damit umgehen, und ich will auch sehr vorsichtig etwas sagen“, schickt er mit einem zurückhaltenden Schmunzeln voraus. Und er sagt, was manchen Israel-Kritikern nur schwer über die Lippen kommt: Für die Massaker der Hamas könne es keinerlei Rechtfertigung geben. „Menschen töten – und noch viel schlimmer, sie schlachten, Frauen den Bauch aufschneiden, Kinder töten – das kann nicht als Konsequenz auf irgendetwas anderes bezogen werden.“

Und doch müsse man auch darüber reden, dass Israel die Hamas nicht mit militärischen Mitteln besiegen könne. „Hamas ist eine Ideologie“, sagt Asselborn. Die Wortführer dieser Ideologie hätten sich längst aus dem Gazastreifen verzogen. „Wie viele Menschen dort draufgehen, ist ihnen egal.“ Mit Maschinengewehren und Bomben sei diese Ideologie nicht zu besiegen.

Asselborn plädiert, wie schon zu seiner Zeit als Außenminister, nach wie vor für die Zwei-Staaten-Lösung. Das palästinensische Volk habe das Recht, „auch in Würde und Freiheit zu leben, neben Israel“. Und ohne die Zwei-Staaten-Lösung werde Israel nie zur Ruhe kommen. Auch für diese Worte bekommt Asselborn in Dresden dankbaren Applaus.