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Die wilden Pläne gegen die hohen Benzin-Kosten

Die Preise für Diesel, Benzin und Kerosin steigen wegen Putins Krieg rasant. Sind die Kostensprünge zu bremsen? Wie die Politik jetzt gegensteuern will.

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Die Preise für Diesel und Benzin steigen seit Tagen immer weiter.
Die Preise für Diesel und Benzin steigen seit Tagen immer weiter. © Symbolbild: Tobias Hase/dpa

Von Felix Hackenbruch und Georg Ismar

Tempolimit, leere Autobahnen, Kurzarbeit, Entlassungen und Insolvenzen: Plötzlich werden Bilder wieder lebendig und Konsequenzen vorstellbar, die lange niemand in Deutschland mehr für möglich gehalten hat. Der Krieg in Europa und seine wirtschaftlichen Folgen erinnern an die Ölkrise 1973. Damals war der Ölpreis so stark gestiegen, dass die Regierung von Kanzler Willy Brandt (SPD) ein Energiesicherungsgesetz erließ, das vier autofreie Sonntage mit allgemeinem Fahrverbot vorschrieb, dazu ein Tempolimit von 100 Stundenkilometern auf Autobahnen für sechs Monate. So sollte der Ölverbrauch gedrosselt werden. Die Kosten für Ölimporte führten dennoch zu einer tiefen Wirtschaftskrise.

Fast 50 Jahre später erinnert jetzt Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) an diese Zeit autofreier Sonntage – und warnt, mit Blick auf die Industrie, vor einem Komplettboykott russischer Gas- und Öllieferungen, der viele Arbeitsplätze gefährden könnte. Im Kanzleramt ist die Sorge groß, dass eine außer Kontrolle geratende Preisentwicklung Wut und Unsicherheit in der Bevölkerung verursacht.

Hat es Energiepreise wie zurzeit schon mal gegeben?

Nein. Es gibt derzeit die größten Preissprünge aller Zeiten. Das große Dilemma: Gerade beim Öl ist ein Boykott schwieriger als beim Gas – und zugleich wird mit allen Zahlungen an Russland die Kriegskasse seines Präsidenten Wladimir Putin weiter gefüllt. 2021 bezog Deutschland rund 34 Prozent seiner Rohölimporte aus Russland, der Ölpreis stieg durch die Unsicherheiten auf 130 Dollar je Barrel (159 Liter).

Der von den USA im Alleingang angekündigte Boykott russischer Öllieferungen hat die Preisspirale noch einmal verschärft. In Vorsorge für die nächste Heizsaison und aus Angst vor einem Öl-Boykott auch durch die EU decken sich viele Händler jetzt schon massiv mit Heizöl für den nächsten Winter ein. Das treibt den Dieselpreis inzwischen weiter nach oben.

Ist Flüssiggas die Zukunft?
Ist Flüssiggas die Zukunft? © Lukasz Szelemej/AP/dpa

In Deutschland wurden am Mittwochmorgen Preise von 2,25 Euro (Super), 2,19 Euro (Super E10) und 2,27 Euro (Diesel) erreicht. Der Dieselpreis ist damit binnen einer Woche um fast 40 Cent gestiegen, Benzin um knapp 28 Cent – bei einer Tankfüllung von 50 Litern bedeutet dies eine Preisdifferenz von knapp 14 Euro bei Super E10 und fast 20 Euro bei Diesel. Im März vor einem Jahr hatte Diesel dem ADAC zufolge noch 1,31 Euro pro Liter gekostet und Super E10 kostete 1,45 Euro.

Was plant die Politik gegen die hohen Preise?

CDU und CSU fordern eine "Spritpreisbremse", um die Bezieher niedriger und mittlerer Einkommen zu schützen. Gerade in ländlichen Gebieten ist die Sorge groß, bei einem Öl- und Gas-Importstopp aus Russland empfindlich an Geld oder an Mobilität einzubüßen.

Weil der Staat an Treibstoffen kräftig mitverdient, könnte er hier regelnd eingreifen. Rund 60 Prozent des Benzinpreises sind Steuern und Abgaben, bei Diesel etwas weniger – mit jedem Preissprung macht also auch der Staat kräftig zusätzliche Einnahmen. So beträgt die Mehrwertsteuer auf Kraftstoffe 19 Prozent, bei einem Spritpreis von 2,25 Euro gibt das aktuell 36 Cent Mehrwertsteuer. Der CO2-Preis von 30 Euro je Tonne macht bei einem Liter Benzin etwa sieben Cent. Hinzu kommt die Energiesteuer, die mit 40 Milliarden Euro eine der wichtigsten Steuereinnahmen des Staates ist. Sie beträgt 65 Cent für Benzin und 47 Cent für Diesel.

So setzt sich der Spritpreis zusammen.
So setzt sich der Spritpreis zusammen. © Grafik: R. Mühlenbruch, Redaktion: I. Kugel, Foto: dpa Grafik

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) fordert eine Senkung der Mehrwertsteuer auf sieben Prozent – oder sogar, wenn die EU-Kommission das mitmacht, temporär auf null Prozent. Auch der ADAC fordert dies. "Das kann man jetzt angesichts dieser zugespitzten Situation schnell und unkompliziert umsetzten", sagt ADAC-Sprecherin Katrin van Randenborgh. Tobias Hans, CDU- Ministerpräsident des Saarlandes – wo am 27. März eine Landtagswahl stattfindet –, plant eine Bundesratsinitiative zur Senkung der Mehrwertsteuer auf Benzin und Diesel auf sieben Prozent.

Bei Benzinkosten von 2,25 Euro würde die Mehrwertsteuerreduzierung 23 Cent pro Liter weniger bedeuten. Eine komplette Aufhebung der Steuern findet der ADAC falsch: "Wenn wir diese temporäre Maßnahme irgendwann wieder aufheben, erleben wir sonst erneut große Preissprünge." In den meisten EU-Staaten sind die Steuern auf Benzin schon gesenkt worden.

Bereits beschlossen ist, dass die Pendlerpauschale rückwirkend zum 1. Januar von 35 auf 38 Cent pro Kilometer erhöht wird. Doch entlastet sie nicht die einkommensschwachen Haushalte oder arbeitslose Menschen.

Was raten Experten?

Auch der wissenschaftliche Geschäftsführer am Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg, Martin Pehnt, erinnert an den psychologischen Effekt der autofreien Sonntage in der Ölkrise 1973: Die Bürger entwickelten damals ein ganz neues Verständnis für das Energiesparen. Michael Sterner, Leiter der Forschungsstelle Energienetze und Energiespeicher an der Technischen Hochschule Regensburg, verweist auf die Ausgangssperren in der Coronakrise, die ähnlich sensibilisierend wirkten. Autofreie Sonntage oder ein Tempolimit von 100 Stundenkilometern auf Autobahnen würden den Kraftstoffverbrauch auch heute signifikant mindern, erklärt er.

So eine "Entbehrung" sei mit Blick auf die Menschen in der bombardierten Ukraine wohl zu verkraften, um die Abhängigkeit von russischem Erdöl schneller zu beenden – und auch das eigene Portemonnaie zu schonen. Der Klimaforscher Ottmar Edenhofer fordert, das Klimapaket der Bundesregierung von 200 Milliarden Euro auch für die soziale Abfederung zu nutzen: "Alles, was den Ausbau der erneuerbaren Energien vorantreibt, ist gut. Ein Teil des Geldes sollte aber auch als Hilfe für private Haushalte verwendet werden, um soziale Verwerfungen zu vermeiden", sagte er der "Rheinischen Post".

Was können Autofahrer jetzt tun?

Beim ADAC setzt man neben einer Senkung der Mehrwertsteuer auch auf praktische Tipps für Autofahrer. "Eine bewusste Fahrweise kann bis zu 20 Prozent Sprit einsparen", sagt Sprecherin Randenborgh: Wer weniger rase, den Druck der Reifen beachte und nicht unnötig mit Dachboxen herumfahre, könne signifikant Sprit sparen. Die Schätzungen der Deutschen Umwelthilfe (DUH) über Einsparungen durch Tempo 100 auf Autobahnen und Tempo 30 in Städten hält man beim ADAC für realistisch: 3,7 Milliarden Liter Benzin und Diesel könne man so im Jahr einsparen.

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Aber vorschreiben will der ADAC das dennoch nicht – sondern auf Freiwilligkeit der Autofahrer setzen. Auch autofreie Sonntage lehnt der Autoclub ab. Autofahrern gibt er den Tipp, abends zu tanken: Da sei es tendenziell etwas billiger. Apps könnten helfen, die schwankenden Preise an verschiedenen Tankstellen aktuell zu beobachten. Im Grenzgebiet von Nachbarländern wie Polen könne man ebenfalls sparen – müsse dabei aber auch Strecke, Verbrauch und Zeit für die Fahrten genau berechnen. Außerdem empfiehlt Randenborgh: "Wo es möglich ist, sind Mitfahrgelegenheiten zu 100 Prozent sinnvoll" – gerade parallele, gleichzeitige Wege zur Arbeit müsse man nicht allein im Auto fahren.

Werden auch Flugreisen teurer?

"Ticketpreiserhöhungen sind unumgänglich", sagt Samed Kizgin vom Tübinger Flug-Krisenwarn-Dienstleister A3M. Dies werde vor allem Reisen nach Südostasien, Australien oder Japan treffen, weil die Airlines den Luftraum der Ukraine und Russlands weiträumig umfliegen müssen. Dadurch verlängern sich Flugzeit und Kerosinverbrauch. "Ein zweites MH17 will keiner riskieren", sagt der Risikoanalyst Kizgin. Der Passagierflug MH17 wurde 2014 vermutlich von prorussischen Rebellen über der Ostukraine abgeschossen.

Doch auch der an den Ölpreis gekoppelte Kerosinpreis steigt derzeit rasant. "Für die Airlines machen die Kerosinpreise 30 Prozent der Kosten aus", sagt Kizgin, der jedoch keine Prognose abgeben will, wie stark die Flugpreise letztlich steigen. Manche Airlines haben gegen Preisschwankungen langfristige Preisgarantien abgeschlossen – so seien "80 Prozent des Treibstoffbedarfs bis März 2023" schon abgesichert, erklärte Ryanair-Chef Michael O’Leary jüngst: "Für diesen Sommer und den Rest des Jahres 2022 können wir also immer noch niedrige Ölpreise und niedrige Tarife an unsere Kunden weitergeben." Doch nicht alle Fluggesellschaften haben sich eingedeckt, beobachtet Kizgin: "Wegen der Pandemie haben viele Airlines kein Kerosin zurückgehalten und sind jetzt vom Krieg überrascht worden. Das war jetzt schlechtes Timing."