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Ukrainer retten sich in die Slowakei und nach Tschechien

Zehntausende ukrainische Flüchtlinge retten sich in die Slowakei und nach Tschechien. Dort treffen sie auf große Hilfsbereitschaft.

Von Hans-Jörg Schmidt
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Tschechien, Bohumin: Geflüchtete gehen nach ihrer Ankunft mit einem Sonderzug eine Treppe am Bahnhof hinunter. In Tschechien ist ein erster Sonderzug mit Flüchtlingen aus der von Russland angegriffenen Ukraine eingetroffen.
Tschechien, Bohumin: Geflüchtete gehen nach ihrer Ankunft mit einem Sonderzug eine Treppe am Bahnhof hinunter. In Tschechien ist ein erster Sonderzug mit Flüchtlingen aus der von Russland angegriffenen Ukraine eingetroffen. © Symbolfoto: Sznapka Petr/CTK/dpa

Prag. Das Geklapper von großen und kleinen Rollkoffern ist allgegenwärtig am Grenzübergang Vyšné Nemecké (Oberdeutschdorf). Gezogen von ukrainisches auf slowakisches Gebiet, von Frauen mit Kindern vor allem. Männer und Väter, die länger schon in der Slowakei oder in Tschechien arbeiten, erwarten sie schon. Die Ankommenden fallen ihnen in die Arme, weinen vor Glück und Erschöpfung. Die Kinder klammern sich an ihre Eltern, spüren Wärme und Sicherheit. Immer wiederkehrende Szenen, die zu Herzen gehen.

Ljuba, eine junge Frau mit zwei kleinen, dick eingepackten Schulkindern an den Händen erzählt: „Mein Angst um die Kinder wurde übermächtig. Also haben wir uns per Anhalter aus unserer geliebten Heimatstadt, dem umkämpften Kiew, hierher durchgeschlagen.“ Die Kinder hätten glücklicherweise die meiste Zeit im Auto geschlafen. „Jetzt haben wir 15 Stunden an diesem Grenzübergang zugebracht. Menschen dicht an dicht, mit nur wenig Hab und Gut. Bei Eiseskälte. Die Ukrainer haben sehr genau kontrolliert. Die Slowaken haben nur kurz meinen Pass sehen wollen und haben uns dann durchgewinkt.“

Mit ihrem Mann Pavel hatte sie per Mobiltelefon einen Treffpunkt auf slowakischer Seite ausgemacht. Dort decken sie sich nach der innigen Begrüßung erst einmal mit Verpflegung ein. Das alles steht, wie Decken, warme Sachen und Spielzeug, in großen Mengen zur Verfügung, von der Armee organisiert, aber auch aus unzähligen Spenden aus dem ganzen Land. Städte und Gemeinden in Grenznähe haben sich vorbereitet. In Schulen, Turnhallen, Kulturhäusern oder Kirchen kann man Unterschlupf finden. Auch Ortsansässige bieten kostenlose Unterkünfte für die an, auf die kein Angehöriger wartet.

Mitarbeiter von Hilfsorganisationen aber auch viele normale Menschen, die teilweise über hunderte Kilometer mit ihren Privatfahrzeugen gekommen sind, halten Pappschilder mit denkbaren Zielen hoch: in der Slowakei, in Tschechien. Auch nicht wenige Deutsche trifft man hier, die Flüchtlinge kostenlos nach Dresden oder Nürnberg fahren würden. Und das auch über einen längeren Zeitraum hinweg.

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Ljuba, ihr Mann und die Kinder fahren wenig später nach Pilsen, wo Pavel mit einem Visum schon zwei Jahre als Informatiker arbeitet. Es gibt aber auch zahllose Flüchtlinge, die niemanden in den Fluchtländern haben, die auf die Hilfe von fremden Menschen angewiesen sind. Doch sie treffen dort auf eine ganz überwiegend große Hilfsbereitschaft. Tschechen und Slowaken zeigen eine wunderbare Willkommenskultur, die man nach 2015 vermisst hatte.

Freilich: Ukrainer als Slawen sind in beiden Ländern wohl gelitten, als Arbeitskräfte überaus begehrt. Es gibt viele kulturelle und religiöse Gemeinsamkeiten, man versteht sich auch sprachlich recht gut. Insofern war es eigentlich überflüssig, dass die slowakische Präsidentin Zuzana Čaputová ihre Landsleute zu „Menschlichkeit“ aufrief. Der Staat zahlt zudem an seine Bürger auch ein Unterstützungsgeld, wenn sie Flüchtlinge aufnehmen. 200 Euro für einen erwachsenen Flüchtling im Monat, pro Kind die Hälfte.

In Tschechien befürworten laut einer Umfrage 97 Prozent die Hilfe für ukrainische Flüchtlinge. Prag zeigt sich dementsprechend großherzig. Die Flüchtlinge sind erst einmal von der Visumspflicht befreit. Man biete nicht nur Unterkunft, Verpflegung und medizinische Versorgung, sondern auch eine rasche Eingliederung in den Arbeitsmarkt, hat der zuständige Innenminister Vít Rakušan zugesichert. Kein Flüchtling müsse Angst haben, kaltherzig abgeschoben zu werden.

Ljuba und ihre Kinder sind also erst einmal in Sicherheit. Wie mehrere zehntausend ukrainischer Flüchtlinge, die in diesen ersten Tagen von Putins Krieg Zuflucht bei den westlichen Nachbarn gefunden haben. Doch Pavel wird seine Familie nur nach Pilsen bringen. Dann fährt er zurück in die Heimat, nach Kiew, zum Dienst in der Armee. Ljuba ist stolz auf Pavel. „Aber“, gesteht sie unter Tränen, „ich habe auch schreckliche Angst um ihn.“