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So geht es ukrainischen Geflüchteten in Dresden

Viktoria Martsenko floh mit ihrer Familie aus Kiew nach Dresden. Die Großeltern sind zurück in der Ukraine, die Mutter kämpft ein Jahr nach Kriegsbeginn mit vielen negativen Gefühlen.

Von Olaf Kittel
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Viktoria Martsenko hofft, bald mit ihren Kindern Diana und Jan in die Ukraine zurückkehren zu können. Seit ihrer Flucht berichtet sächsische.de regelmäßig über die Familie.
Viktoria Martsenko hofft, bald mit ihren Kindern Diana und Jan in die Ukraine zurückkehren zu können. Seit ihrer Flucht berichtet sächsische.de regelmäßig über die Familie. © Matthias Rietschel

Sie kommt gestresst und spät zum Termin, und auch der kommt erst nach Wochen zustande. Viktoria Martsenko erledigt in Dresden inzwischen mindestens drei Jobs. Sie arbeitet weiter für eine Nichtregierungsorganisation in Kiew, sie gibt jeden Morgen eine Stunde Deutschunterricht für ukrainische Schüler und sie hat gut zu tun mit ihren beiden Kindern Jan, Anfang Februar wird er acht, und Diana, gerade vier geworden, die in verschiedenen Orten Schule und Kita besuchen und jeweils hingefahren und wieder abgeholt werden müssen.

Seit Dezember haben die beiden auch noch jede Infektion mitgenommen. „Als wir im März 2022 nach Dresden flohen, habe ich mich stark gefühlt“, sagt die 40-Jährige. „Jetzt fühle ich mich so müde.“ Und dies liegt eher nicht an zu wenig Schlaf.

Wie die allermeisten ukrainischen Flüchtlinge lebt sie hier zwar in Frieden, verfolgt aber die Kriegslage in ihrem Land vom frühen Morgen bis in die späte Nacht. Jeder russische Raketenangriff trifft sie ins Herz, jede Todesnachricht ist ein Schlag. „Die Kriegssituation insgesamt sieht, glaube ich, nicht so gut aus“. Im Herbst ist ein Cousin von ihr als Soldat bei Donetsk gestorben, gerade erst kam der Mann ihrer Freundin ums Leben, sie weiß noch nicht mal, wann und wo.

Optimismus durch deutsche Panzer

So hat sie auch die Panzerdebatte in Deutschland aus einer anderen Perspektive wahrgenommen. „Als in Ramstein keine Einigung über die Panzer zustande kam, habe ich geweint, ich hatte noch mehr Angst. Jetzt bin ich ein bisschen optimistischer, weil auch die Deutschen uns mit Panzern helfen.“ Viktoria Martsenkos Sorgen sind aber auch sehr persönlich. In der Ukraine werden wohl gerade wieder viele Männer einberufen. Sie fürchtet, dass ihr Mann, ein Anwalt, bald dazu gehören könnte.

Ihm geht es allein auch nicht gut in Kiew, er fühlt sich sehr einsam. Zwar telefonieren sie täglich, Jan spricht intensiv mit seinem Vater, aber die kleine Diana lehnt es ab. Sie versteht nicht, warum der Papa nicht bei ihnen ist, sie nimmt es ihm wohl übel. Und Frau Martsenko kennt viele Fälle, in denen ukrainische Familien durch die lange Trennung auseinander gebrochen sind.

Per Videochat hält Viktoria Martsenko, hier mit Sohn Jan, Kontakt zu ihrem Mann in der Ukraine.
Per Videochat hält Viktoria Martsenko, hier mit Sohn Jan, Kontakt zu ihrem Mann in der Ukraine. © Matthias Rietschel

Ihre Sorgen verstärken Nachrichten über Beleidigungen und wirkliche oder vermeintliche Übergriffe auf ukrainische Flüchtlinge in Dresden und Umgebung in der letzten Zeit, die in Facebook- und Telegram-Gruppen verbreitet werden. Einen solchen verbalen Übergriff hat sie selbst erlebt. Solche Erlebnisse erschüttern viel mehr als in normalen Zeiten.

In Flüchtlingskreisen kursiert gerade die Aussage eines Psychologen, der erklärt, dass die Menschen ein Jahr nach Kriegsausbruch und Dauerstress nicht mehr vollständig in der Lage sind, ihr Gefühlsleben zu kontrollieren. Viktoria Martsenkos Selbsthilfe gegen den Stress ist jetzt ein wöchentlicher 90-Minuten-Entspannungskurs, der für ukrainische Flüchtlinge angeboten wird. „Das einzige in Dresden nur für mich.“

Mutter ist zurück in Kiew

Aber sie weiß schon, dass sie es noch vergleichsweise gut hat. Sie wohnt mit ihren Kindern im Haus ihrer Schwester, die schon seit Jahrzehnten in Deutschland lebt und hilft, wo sie kann. „Wir haben bei ihr schöne Weihnachten verbracht mit gutem Essen und Kerzenschein. Die Kinder haben sich über Geschenke gefreut, auch wenn die Erklärung nicht leicht war, warum Väterchen Frost plötzlich am 24. Dezember erscheint und nicht wie sonst in der Neujahrsnacht. „Die Weihnachtsbräuche hier finden wir sehr schön mit den Märkten, Lichtern und Liedern. Sie werden wir mit nach Hause nehmen, nach dem Krieg.“

Viktoria Martsenko bedauert, dass ihre Eltern schon im Sommer zurück nach Kiew sind, sie haben es ohne Sprachkenntnisse in der Fremde nicht mehr ausgehalten. Sie wohnten zunächst in ihrer Datscha im Umland, jetzt wieder in ihrer Wohnung in Kiew, die meist beheizt ist und wo gerade nur stundenweise kein Strom anliegt. Und ihre Schwiegermutter ist Anfang Januar heim, auch sie hat sich nicht mehr wohlgefühlt fern der Heimat und ohne ihren Sohn.

Sie wohnt wieder in ihrem Kiewer Plattenbau in der fünften Etage, wo sie eigentlich bei jedem Luftalarm in den Keller müsste. „Macht sie aber wohl nicht“, meint die Schwiegertochter.

Jan Martsenko besucht inzwischen eine Dresdner Schule. Er spricht auch schon etwas Deutsch.
Jan Martsenko besucht inzwischen eine Dresdner Schule. Er spricht auch schon etwas Deutsch. © Matthias Rietschel

Ohne die Großeltern ist es wesentlich schwerer für Viktoria Martsenko, den Tag zu bewältigen. Aber sie ist froh, dass sich ihre Kinder in Dresden gut entwickeln. Tochter Diana wollte erst gar nicht in die Kita, sie verstand ja kein Kind und kein Kind verstand sie. Dann kamen weitere ukrainische Kinder, die aber wieder weg sind.

Inzwischen kann sie sich aber verständigen und findet deutsche Kinder zum gemeinsamen Spiel. Und Jan ist ein aufgeweckter Junge, er lernt gut, spricht schon ein wenig Deutsch. „Und er hat eine erfahrene Lehrerin, wie man sie sich nicht besser wünschen kann.“ Sogar von deutscher Ordnung ist er überzeugt. Die neuesten Erkenntnisse dazu in der Schule bringt er begeistert mit nach Hause, Mülltrennung etwa oder disziplinarische Regelungen.

Stirnlampen für die Ukraine

Die Fortschritte ihrer Kinder machen Frau Martsenko ein wenig Mut. „Sie sollen das Gute mitnehmen aus Deutschland, die Erkenntnisse, was hier besser ist, die Sprache, die Kontakte, damit sie später mal die Verhältnisse in der Ukraine ändern und Brücken bauen können nach Europa.“

Brücken in die andere Richtung hat Viktoria Martsenko auch schon gemeinsam mit der Schuldirektorin ihres Sohnes gebaut. Die Eltern der Schule waren aufgerufen, für Stirnlampen zu spenden, die Schüler in Kiew aufsetzen können, damit der Unterricht auch stattfinden kann, wenn die Schule keinen Strom hat. Die Aktion wurde ein voller Erfolg. „Die Deutschen haben gut mitgemacht und inzwischen haben sich andere Schulen der Aktion angeschlossen.“

All das sind kleine Mutmacher, auch wenn sie die großen Sorgen nicht vertreiben können. „Es ist schlimm für mich, dass wir nichts planen können. Im Moment hoffe ich, dass im Sommer die Lage an der Front besser ist als jetzt und wir zurück nach Kiew können. Ich hoffe es sehr, denn ich habe Angst um meine Familie.“