Kamenz
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Alina. Drei Jahre alt. Unheilbar krank.

Alina aus Kamenz leidet an einer seltenen Stoffwechselkrankheit. Ihre Eltern brauchen nun Hilfe bei der Wohnungssuche. Und haben eine Bitte.

Von Ina Förster
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Alina aus Kamenz leidet an dem unheilbaren Leigh-Syndrom, einer seltenen Stoffwechselkrankheit. Die Dreijährige entwickelt sich körperlich wie geistig zurück. Ihre Eltern Constanze und Marcel Engmann geben ihr die nötige Liebe.
Alina aus Kamenz leidet an dem unheilbaren Leigh-Syndrom, einer seltenen Stoffwechselkrankheit. Die Dreijährige entwickelt sich körperlich wie geistig zurück. Ihre Eltern Constanze und Marcel Engmann geben ihr die nötige Liebe. © René Plaul

Kamenz. "Mama, komm an die Hand!", sagt Alina. Ihre Schritte sind unsicher. Der Spitzfuß, wegen dem sie eine Orthese trägt, macht es nicht leicht. Die Spastik im rechten Arm ebenso nicht. Die Dreijährige möchte trotzdem rennen. Dahinten steht die Rutsche. Das ist ihr Ziel. Und sie lacht dabei. Für Alina ist das alles normal: ihre zeitweisen Schwindelanfälle, die Übelkeit, das Straucheln und vorwärts kämpfen, die Unruhe in sich. Sie kennt es nicht anders.

Vor einem Jahr sah die Welt trotzdem um einiges besser aus. Da konnte das Mädchen gut mit der Gabel essen, und schon verständlich sprechen. Herumtollen mit den anderen. Da glaubten ihre Eltern daran, dass alles irgendwie gut wird.  Dass die anfänglichen Symptome sich "verwachsen".  "Ein Kleinkind übergibt sich schon mal öfters  im Kindergarten", dachten sie sich. Manchmal sagte Alina auf Mamas Arm beim Herumtoben: "Nicht so schnell drehen!" Die Eltern dachten sich dann: "Sie ist halt ängstlich."

"Alina ist eine von 20.000 Erkrankten weltweit"

Constanze und Marcel Engmann dachten viel damals. Aber sie ahnten nicht, welche Lawine auf sie zurollte.  Nachdem die Kinderärztin wegen der Schwindelanfälle ein MRT angeordnet hatte,  stellten die Ärzte im Hoyerswerdaer Kinderklinikum erste Vermutungen an. Im MRT wurde sichtbar, dass die Basal-Ganglien im Kopf, die für die Koordination der Bewegung zuständig sind, auffällig waren.  Zum ersten Mal stand der Begriff "Stoffwechselerkrankung" im Raum. "Wir wurden sofort nach Dresden überwiesen", erzählt Constanze Engmann. 

Unzählige Tests in der Akutklinik musste die Kleine in den nächsten Tagen über sich ergehen lassen. "Wir waren rund um die Uhr bei ihr. Man entnahm ihr Hirnwasser. Und auch unser Blut wurde  getestet. Denn die Krankheit ist erblich", sagt Constanze Engmann. Am Ende stand fest, dass sie  das Gen in sich trägt, die Krankheit weitergegeben hat. Auch wenn sie bei ihr bislang nicht ausgebrochen ist.

Alina, ihr kleiner Sonnenschein und Wunschkind, hat das Leigh-Syndrom. Die Stoffwechselkrankheit ist unheilbar und äußerst selten. "Alina ist eine von nur 20.000 Erkrankten weltweit", sagt Marcel Engmann. Das haben ihnen die Ärzten gesagt.

Langsame Rückentwicklung - körperlich wie geistig

Es gibt 45 verschiedene Leigh-Syndrome. Alina hat das Komplex-1-Defizit. Aber keine Krankengeschichte ähnelt der anderen. "Dadurch hat man kaum Infos, fühlt sich hilflos", sagt Papa Marcel. Stolz zeigt der 39-Jährige ein Video, in dem Alina vor einem halben Jahr normal durch das Wohnzimmer läuft, danach ein aktuelles. Schweigen im Raum. Die Krankheit sucht sich rasant ihren Weg. Das erkennt man deutlich.

Sämtliche Energie, die Alina über Speisen und Getränke aufnimmt, fließt zuerst in Herz und Hirn. Die Muskeln werden dadurch chronisch unterversorgt. "Unsere Tochter entwickelt sich körperlich wie geistig  zurück. Es tut so weh zu sehen, dass sie alles, was sie schon konnte, langsam wieder verliert", so Constanze Engmann. Keiner weiß, wie der Verlauf aussieht. Natürlich hoffen die Eltern auf Stagnation. Dass Alina weiter lacht, herumtollt, mit ihnen schmust.

Mittlerweile hat sie  Pflegegrad III. Nächste Woche  wird neu verhandelt. Das Laufen fällt schwerer, Treppensteigen sowieso.  Sie geht  in einen Hoyerswerdaer  Kindergarten mit Heilpädagogischer Gruppe, fühlt sich wohl dort. Wenn nur nicht die tränenreichen Abschiede morgens wären, wenn Alina allein in das Taxi steigen muss. Ohne Begleitung. "Das finanziert die Krankenkasse erst, wenn es schlimmer wird", sagt Constanze Engmann. Doch sie selbst muss arbeiten, damit die Familie wenigstens keine finanziellen Sorgen hat.  Das Leben der Familie spielt sich zwischen Ergo-, Logo-, Physio- und Osteopathieterminen ab.  Viel Zeit füreinander als Paar bleibt nicht.

Behindertengerechte Wohnungen sind rar

Wie ist das, wenn das Kind unheilbar krank ist? Die jungen Eltern hatten sich das nie gefragt. Und mussten von einem Tag zum anderen mit der seltenen Stoffwechselkrankheit ihrer Tochter  leben.  Es fällt den beiden schwer, darüber zu sprechen.  Doch sie wählen den Weg in die Öffentlichkeit. 

"Uns ist es zum einen wichtig, aufzuklären. Dass es so etwas gibt, worauf  Eltern achten sollten", sagt Marcel Engmann. "Zum anderen sind wir auf der verzweifelten Suche nach einer Parterrewohnung oder behindertengerechten Wohnung. Es wird nicht mehr lange dauern, dann müssen wir Alina  tragen", sagt er.  Sie haben überall herumgefragt, Kontakte spielen lassen, doch in Kamenz sieht es aktuell schwierig aus. "Vielleicht liest ja jemand unseren Hilferuf."

Seit ein paar Wochen ist Marcel Engmann auch in psychologischer Betreuung. Der gestandene Monteur hat es nicht mehr ausgehalten, ist umgekippt auf Arbeit.  Seitdem hat er Panik-Attacken. "Männer fressen ihre Sorgen meistens in sich hinein", weiß seine Frau. Die 36-Jährige arbeitet bei einer Bäckereikette, hat ebenfalls Depressionen. Beide sind nur bedingt arbeitsfähig. Doch sie kämpfen sich durch. 

Die Frage nach einem "Warum" beantwortet ihnen niemand. Man hadert mit dem Schicksal, stellt Überlegungen an. Am Ende bleibt man hilflos zurück. Was ist, wenn die Krankheit so rasant voranschreitet - darüber wollen beide nicht nachdenken. "Wir möchten Alina ein schönes Leben bieten, solange es geht. Sie liebt Tiere. Vielleicht kennt jemand eine gute Pferde-Therapie in der Nähe? Das wäre ein großer Wunsch", sagt Constanze Engmann.

Kontakt: [email protected]

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