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Chipexpertin: "TSMC steht unter hohem Druck"

Der taiwanische Chiphersteller TSMC kommt nach Dresden. Eine Ökonomin spricht im Interview über die Gründe für die Ansiedlung und die möglichen Folgen bei einem Angriff durch China.

Von Luisa Zenker
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Sollte Taiwan und damit der Chiphersteller TSMC angegriffen werden, hat das auch Folgen für die geplante Fabrik in Dresden, erklärt Ökonomin und Chip-Expertin Kristy HSU.
Sollte Taiwan und damit der Chiphersteller TSMC angegriffen werden, hat das auch Folgen für die geplante Fabrik in Dresden, erklärt Ökonomin und Chip-Expertin Kristy HSU. © Taiwan ASEAN Studies Center, Chung-Hua Institution for Economic Research

Frau Hsu, Taiwan ist weltweit der wichtigste Produktionsstandort für Halbleiter. Ist es eine gute Entscheidung für Taiwan, dass der Chiphersteller TSMC nun ein Werk in Deutschland errichtet?

Erst befürchteten viele hier in Taiwan eine Aushöhlung der Industrie, als TSMC vor zwei Jahren ankündigte, in Arizona eine Fabrik zu bauen. Dann kam Japan dazu und jetzt also die angekündigte Investition in Dresden. Aber die Leute hier haben längst erkannt: TSMC und auch andere wichtige Player im Halbleitersektor müssen sich breiter aufstellen. Was auch immer passiert, sei es ein geopolitisches Risiko oder eine Gesundheitskrise: es kann für TSMC und das gesamte Ökosystem sehr gefährlich werden, sollten alle Lieferketten auf Taiwan oder China konzentriert sein. Inzwischen unterstützen hier viele daher die Entscheidung von TSMC, ins Ausland zu gehen.

Was konkret hat TSMC zu einem solchen Schritt bewogen?

TSMC folgt in erster Linie den Kunden. Investitionsanreize spielen sicherlich auch eine Rolle, also staatliche Beihilfen der Regierungen in den Gastländern etwa zur Senkung der Produktionskosten oder andere Versprechen. Aber in erster Linie entscheidet TSMC nach Marktkriterien. Die neuen Geschäftspartner im Ausland können TSMC zudem dabei helfen, die lokale Mentalität und Gesetzgebung besser zu verstehen – was wiederum neue Kunden anlocken soll.

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Wie sehr spielt die Politik bei der Entscheidung eine Rolle?

Wir alle wissen: TSMC steht unter hohem Druck. Seitdem es zwischenzeitlich mal weltweit zu Engpässen bei Halbleitern gekommen ist, bemühen sich zahlreiche Regierungen um eine Chip-Industrie im eigenen Land. Üppige Subventionen der US-Regierung dürften bei der Entscheidung für Arizona zwar eine Rolle gespielt haben, in den USA sitzen zugleich aber auch die meisten Kunden. Besonders seit der Handelskrieg zwischen China und den USA tobt und die USA Exportkontrollen gegen China verhängt hat, sind die Marktbedingungen für TSMC und andere Chiphersteller in Taiwan völlig anders. Bestellungen aus China gehen zurück, Bestellungen aus den USA nehmen zu. Jüngsten Verkaufszahlen von TSMC zufolge gingen in den ersten drei Quartalen rund 50 Prozent der Exporte in die USA, nach China hingegen weniger als 20 Prozent.

Der Chipexport nach Europa ist dagegen sehr gering. Warum hat sich TSMC trotzdem zum Bau eines Werks in Dresden durchgerungen? Waren es die deutschen Subventionen?

Sie waren sicherlich wichtig. Ein zentraler Faktor dürften aber die Kunden sein, die aus der Automobilbranche kommen. TSMC möchte der Automobilindustrie im deutschen und im gesamten europäischen Markt mehr Chips liefern.

Taiwans Halbleiterindustrie ist herausragend für die globale Wirtschaft. Glauben Sie, die Branche schützt die Insel vor einem Angriff Chinas?

Unsere Regierung bestreitet ein solches Schutzschild oder wie es einige nennen: Silicon Shield. China ist zwar ebenfalls stark auf Halbleiter aus Taiwan angewiesen. Aber China würde nicht deswegen in Taiwan einmarschieren. TSMC verfügt über enge Beziehungen zu wichtigen Zulieferern etwa in den Niederlanden oder Japan. Einige dieser Hochleistungschips werden auch direkt in der EU und in den USA entwickelt. Würde TSMC nach einer Invasion zu einem chinesischen Unternehmen werden, würden all diese Unternehmen im Ausland die Zusammenarbeit mit TSMC einstellen. Es sind vielmehr andere Gründe, die China zum Einmarsch in Taiwan veranlassen würden, etwa wenn Taiwan etwa seine Unabhängigkeit erklärt. Halbleiter stehen bei dieser Entscheidung nicht im Vordergrund.

Könnten die Fabriken von TSMC in Deutschland oder in den USA bei einem Einmarsch der Volksbefreiungsarmee in Taiwan weiter produzieren?

Zumindest eine gewisse Zeit könnten die Fabriken durchhalten, sofern sie schon in Betrieb waren. Aber in den meisten Fällen müssen ausländische Fabriken den Anweisungen des Hauptquartiers in Taiwan folgen. Daher kann es im Falle von Blockaden oder einer Invasion von China zu Störungen aller Art oder sogar zum Ausfall der Produktion kommen

Glauben Sie, dass Taiwan seinen Vorsprung in der Halbleitertechnologie aufrechterhalten kann?

Bei den technologisch hochentwickelten Chips wird Taiwan zumindest in den nächsten zehn Jahren seine führende Position behaupten können. Aber was die ausgereifte Chips angeht, ist China tatsächlich auf dem Vormarsch. Es gibt zudem weitere Newcomer wie Singapur, Malaysia, ganz zu schweigen von Südkorea und den USA. In diesem Bereich wird Taiwan wahrscheinlich schon bald nicht mehr der größte Produzent sein – was aber völlig in Ordnung ist.

Wenn TSMC nun in Deutschland mit den ausgereiften Chips beginnt, könnte das bedeuten, dass schon bald auch die technologisch hochentwickelten Chips im Dresdener Werk hergestellt werden?

Ja, davon gehe ich aus. Als TSMC die Fabrik in Arizona zum ersten Mal ankündigte, war sie nur für fünf Nanometer-Chips gedacht. Letztes Jahr beschloss die Firmenleitung, eine zweite Fabrik zu errichten für noch kleinere Chips. Genauso verlief es in Japan. Wenn also alles glatt läuft, und das ist sehr wahrscheinlich, wird TSMC eine zweite oder gar dritte Fabrik in Deutschland errichten. Oder andere taiwanische Unternehmen wie der zweitgrößte Halbleiter-Hersteller UMC werden kommen.

TSMC ist bekannt für seine billigen und effizienten Produktionsbedingungen. Warum?

TSMC hat Tausende von Lieferanten in Taiwan und viele von ihnen sind innerhalb von zwei Autostunden erreichbar. Wenn TSMC also Unterstützung von einem bestimmten Unternehmen benötigt, das eine bestimmte Komponente bereitstellt, kann es einfach anrufen. Natürlich sind Ausrüstung, Strom, Wasser und alle diese Versorgungsleistungen, einschließlich der TSMC-Ingenieure, auch in Taiwan teuer. Aber für viele Arbeiten sind die Löhne immer noch niedriger als etwa in den USA. Und die Arbeitskultur ist für TSMC ein weiterer Grund, der für Taiwan spricht.

Inwiefern?

Menschen in der taiwanischen Halbleiterbranche arbeiten in der Regel länger als etwa in Deutschland. Normalerweise wird hier in zwei Schichten gearbeitet: Tagschicht und Nachtschicht. Die Maschinen müssen also nicht ausgeschaltet werden. Angestellte in bestimmten Positionen, beispielsweise Wartungsingenieure, stehen zudem ständig auf Abruf bereit, sei es frühmorgens, aber selbst an Weihnachten oder während der Feiertage rund ums chinesische Neujahr. Die größte Herausforderung für TSMC in Deutschland dürften die strengen Arbeitsgesetze und die Gewerkschaften werden.

Wie sind die Bedingungen für TSMC in den U SA?

In Arizona ist die Produktion für TSMC doppelt so teuer wie in Taiwan. Ein weiteres Problem für das Unternehmen ist es, ausreichend Arbeitskräfte zu rekrutieren. TSMC bot letztes Jahr jungen Ingenieuren frisch von der Uni ein Einstiegsgehalt von etwa 100.000 US-Dollar. Das war vielen zu wenig. Sie wollen für Unternehmen arbeiten, die mindestens 160.000 Dollar bieten.

Wird das auch in Deutschland ein Problem sein?

Ich weiß es noch nicht. TSMC versucht derzeit, 200 Ingenieure für die Arbeit in Deutschland zu rekrutieren. Das Problem: In Taiwan gibt es kaum Ingenieure, die Deutsch sprechen. Was TSMC aber am meisten sorgt, als sie ankündigten, ein Werk in den USA zu errichten, war die Frage: Kommen auch ausreichend Zulieferer mit?

Und?

Mehr als 30 Unternehmen haben angekündigt, TSMC in die USA zu folgen. Die meisten von ihnen sind aber große Firmen. Kleinere Unternehmen fällt ein solcher Schritt schwerer. Denn Investitionen in Europa und den USA sind sehr teuer. Sie müssen sich also entscheiden: Wenn sie nicht mitgehen, verlieren sie Kunden. Wenn sie gehen, müssen sie sicherstellen, dass die Investitionen nicht nur für das erste oder zweite Jahr, sondern mindestens für fünf Jahre gedeckt werden können.

Wird TSMC auch Zulieferer nach Deutschland locken?

Das ist noch nicht klar. Die Rede ist von einer Verbindung mit dem bereits bestehendem IT-Cluster in der Tschechischen Republik. Die Frage ist vor allem, ob die sogenannten Verpackungsunternehmen, die als besonders arbeitsintensiv beim Bau von Hochleistungschips gelten, TSMC folgen werden. Sie könnten sich in Osteuropa niederlassen.

In den USA und Deutschland scheint eine große Herausforderung der Mangel an Fachkräften zu sein. Hat Taiwan denn ausreichend Ingenieure?

Nein, die Arbeit in der Halbleiterindustrie empfinden auch viele junge Leute in Taiwan als zu viel. Mein Neffe etwa bekam ein Angebot von TSMC. Doch er lehnte ab. Und auch Braindrain, also die Abwanderung von hochqualifizierten Arbeitskräften ist seit einiger Zeit ein Problem. Darunter leidet derzeit fast jedes Unternehmen.

TSMC will deutsche Studenten ausbilden. Hat Taiwan keine Angst vor einem Technologieklau?

Nein. So funktioniert das nicht. Das Wissen zur Produktion von Hochleistungshalbleitern ist sehr komplex und hierarchisch. Dieses Wissen kann ein einzelner Student nicht so leicht erreichen.

Die Ökonomin Kristy Hsu ist Direktorin des Zentrums für ASEAN-Studien in Taiwan am Chung Hua Institut für Wirtschaftsforschung. Sie berät die taiwanische Regierung in Fragen der Außenbeziehungen und der Wirtschafts- und Handelspolitik.

Das Interview führten Luisa Zenker und Felix Lee im Rahmen einer unabhängigen Recherchereise von Journalists Network e.V.