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Die Frischmacher von Oelsa

Zwei Discounter gaben auf. Dann übernahm Jan Friebel Oelsas Markthalle. Bald feiert er Zehnjähriges. Wie hat er das geschafft?

Von Jörg Stock
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Einzelkämpfer Jan Friebel (55) in seinem Element: Vor zehn Jahren übernahm er den scheinbar hoffnungslosen Fall der Oelsaer Markthalle und richtete seinen eigenen Supermarkt ein.
Einzelkämpfer Jan Friebel (55) in seinem Element: Vor zehn Jahren übernahm er den scheinbar hoffnungslosen Fall der Oelsaer Markthalle und richtete seinen eigenen Supermarkt ein. © Egbert Kamprath

Wer den Geschäftsführer sucht und denkt, man könnte ja mal den Hausmeister fragen, der an der Kasse mit dem Schraubendreher hantiert, steht genau vor ihm: "Hier schraubt der Chef noch selbst", sagt Jan Friebel. Vor seiner Karriere als Kaufmann war er Autoschlosser. Da wird er wegen eines gebrochenen Scharniers doch keinen Handwerker rufen. "Die Grundlagen verlernt man nie."

In Oelsa gibt es eine Markthalle, die anders ist. Kein Aldi, Lidl, Netto oder Rewe hat hier geflaggt. Über dem Eingang steht "Nah & Frisch". Man kommt vom Land und ist für das Land da, so übersetzt es Jan Friebel. Auf 700 Quadratmetern führt er das, was ein Laden haben muss. Und noch mehr. Käse aus dem Nachbardorf zum Beispiel, und andere regionale Dinge wie Wurst, Kartoffeln, Honig, Eis. Bald hoffentlich auch Freitaler Windbergbier. Wer Bedarf hat, kann noch ein Paket Nägel mitnehmen. Oder einen Winkelschleifer.

Einmalig im Landkreis: Nachdem zwei Diskounter die Markthalle von Oelsa aufgegeben hatten, eröffnete dort im Sommer 2011 der inhabergeführte "Nah & Frisch".
Einmalig im Landkreis: Nachdem zwei Diskounter die Markthalle von Oelsa aufgegeben hatten, eröffnete dort im Sommer 2011 der inhabergeführte "Nah & Frisch". © Egbert Kamprath

"Nah & Frisch" ist eine Dachmarke, erfunden vom Kieler Großhändler Bartels-Lagness für, so heißt es, "engagierte, selbstständige Kaufleute", die ihre Läden auch als Begegnungsstätte und Kommunikationspunkt verstehen. Das Konzept passt Jan Friebel, dem eingeborenen Dörfler. Er kommt aus dem Örtchen Blankenstein bei Wilsdruff. Er nennt es sein Anliegen, Geschäfte zu führen, wo nicht bloß nach dem Geld geschielt wird.

Umsätze waren den Ketten zu mager

Oelsa hatte einst mehrere solche Geschäfte. Nach der Wende gab eins nach dem anderen auf. Die Leute kauften anderswo. Etwa im Penny-Markt, der 1995 am unteren Dorfrand eröffnet hatte. Doch nach zehn Jahren war plötzlich Schluss. Verkaufsfläche und Umsatz zu klein, hieß es. Zwei Jahre Leerstand. Dann kam Diska, ging aber schon nach drei Jahren wieder. Auch wegen zu geringer Umsätze.

Das Sortiment ist aufs Landleben abgestimmt. Man bekommt hier auch Nägel, Obstpflücker, Sandschaufeln und Winkelschleifer.
Das Sortiment ist aufs Landleben abgestimmt. Man bekommt hier auch Nägel, Obstpflücker, Sandschaufeln und Winkelschleifer. © Egbert Kamprath

Der Bürgermeister klingelte die übrigen Discounter durch - alle winkten ab. Das Rabenauer Polstermöbelwerk, dem die Halle gehört, hatte schon begonnen, sie als Lager zu nutzen. Da trat Jan Friebel auf den Plan. In Blankenstein hatte er 1990, am erste Tag der D-Mark, einen Getränkehandel übernommen und mit den Jahren ausgebaut. Jetzt suchte er Expansionsmöglichkeiten.

Die Mädels schmeißen den Laden

Dass vor ihm zwei Große in Oelsa das Handtuch geworfen hatten, schreckte den Unternehmer nicht. Er vertraute auf den Elan seines Teams und auf die freie Hand beim Sortiment. Sein Mantra: "Wenn sich alle anstrengen, kann es funktionieren." An die 200.000 Euro investierte Friebel in die Einrichtung seines Marktes. Im Sommer 2011 öffneten sich beim neuen "Nah & Frisch" die Türen.

Hauptsache praktisch: Wer daheim Gemüse anbaut oder schnell mal eine Bahn Tapete anzukleben hat, findet im Markt die passenden Zutaten.
Hauptsache praktisch: Wer daheim Gemüse anbaut oder schnell mal eine Bahn Tapete anzukleben hat, findet im Markt die passenden Zutaten. © Egbert Kamprath

Nun sind sie schon fast zehn Jahren offen. Viele hätten darauf nicht wetten wollen. Es gab immer mal Schließungsgerüchte. Aber bei Gerüchten blieb es. Dass es den Markt immer noch gibt, führt Jan Friebel vor allem auf seine Angestellten zurück. Acht Mädels schmeißen den Laden, die meisten in Teilzeit. Täglich wird am Sortiment gefeilt, wird improvisiert. "Wer hier Dienst nach Vorschrift macht", sagt Friebel, "der hat in diesem Geschäft keine große Zukunft."

Kundenservice: Präsentkörbe und Extrawürste

Dienst nach Vorschrift, das kennt Verkäuferin Yvonne Fischer von Diska, ihrem früheren Arbeitgeber hier im Markt. Als Diska ging, blieb sie. Bei "Nah & Frisch" gefällt ihr die Abwechslung. Besonders gern packt sie Präsentkörbe, nach eigenen Ideen. Dann verkrümelt sie sich eine ganze Schicht lang mit Heißklebepistole und Schleifenband im Frühstücksraum. Wenn Feiertage anstehen, gehen die Geschenktüten wie geschnitten Brot weg.

Immer freundlich und mit vielen Kunden per du: Verkäuferin Yvonne Fischer packt am liebsten Präsentpakete nach eigenen Ideen.
Immer freundlich und mit vielen Kunden per du: Verkäuferin Yvonne Fischer packt am liebsten Präsentpakete nach eigenen Ideen. © Egbert Kamprath

Weil Yvonne Fischer schon so lange im Laden ist, kennt sie die meisten Kunden. Mit vielen duzt sie sich, "von der Jugend bis zur Omi". Älteren Leuten wird beim Einkauf zur Hand gegangen. Manche sind auch schon samt ihrer Taschen nach Hause gefahren worden. Braucht mal einer was Spezielles, versucht man, es zu beschaffen. Und wenn es andere auch brauchen, bleibt es manchmal auf Dauer im Regal.

Gewinnzone noch immer nicht erreicht

Jan Friebel will den Leuten ein Stück vom alten Dorfkonsum wiedergeben, größer und schicker, aber ähnlich familiär. Grit Karsties, die Marktleiterin, hat noch beim Konsum der DDR gelernt. Verkäuferin sein ist ihr Traumjob. Den Kunden ein bisschen wie einen Freund behandeln, so lautet ihre Maxime. Und lächeln. Ein Lächeln bewirkt sehr viel, sagt sie, auch hinter der Maske. "Einen freundlichen Menschen erkennt man an den Augen."

"Ein Lächeln bewirkt sehr viel." Marktleitern Grit Karsties hat ihr Handwerk noch beim Konsum der DDR gelernt. Verkaufen ist nach wie vor ihr Traumberuf.
"Ein Lächeln bewirkt sehr viel." Marktleitern Grit Karsties hat ihr Handwerk noch beim Konsum der DDR gelernt. Verkaufen ist nach wie vor ihr Traumberuf. © Egbert Kamprath

Jedoch: Mit Freundlichkeit und Arbeitswillen allein ist noch kein Geld verdient. Fragt man Jan Friebel, ob der Markt schwarze Zahlen schreibt, lächelt er süßsauer: "Nächste Frage?" Denn diesen Punkt hat das Geschäft auch zehn Jahre nach der Gründung nicht wirklich erreicht. Mit Ausnahme des Corona-Jahrs 2020. Da kamen so viele Kunden wie noch nie, wegen der Ausgangsbeschränkungen.

Corona bringt die Chance sich zu beweisen

Die Pandemie bot dem Laden die Chance, am Image zu arbeiten. Menschen, die sonst nicht auf die Idee gekommen wären, hätten plötzlich in seinem Markt eingekauft, sagt Jan Friebel, und ihre Vorurteile - zu teuer, zu schlechtes Angebot - revidiert. "Wir zählen zu den Gewinnern." Allerdings fürchtet er, dass dieser Gewinn wieder schrumpft, die Leute in ihre alten Gewohnheiten zurückfallen. Er wünscht sich von ihnen, mehr Großeinkäufe in seinem Laden zu tätigen statt nur die Notbesorgungen. Das Potenzial sei vorhanden, das habe Corona bewiesen.

Lokales mit Umdrehungen: Der Legende nach sammeln alte Jungfern beim Mondschein die Kräuter für diese flüssigen Grüße aus Oelsa und Rabenau.
Lokales mit Umdrehungen: Der Legende nach sammeln alte Jungfern beim Mondschein die Kräuter für diese flüssigen Grüße aus Oelsa und Rabenau. © Egbert Kamprath

Dass der Markt in der Gewinnzone noch nicht angekommen ist, kreidet Jan Friebel auch der Politik an. Die Eingriffe des Staates in den Handel hätten extrem zugenommen und kosteten viel Geld. Als Beispiel nennt er den Mindestlohn. Oder die Umrüstung der Kassensysteme. Die habe den Markt 7.000 Euro gekostet. Die hätte er lieber in ein neues Kühlregal gesteckt.

Auch die Pandemie kostet. Allein die Tests jede Woche 300 Euro. "Die muss man erst mal verdienen." Jan Friebel fordert, dass der Staat Einzelkämpfer wie ihn, die im Haifischbecken mit den Größen der Branche um die Wette schwimmen, unterstützt, Kosten mitträgt. Alle Politiker stimmten das Loblied des ländlichen Raums an, wollten die Infrastruktur erhalten. "Aber Infrastruktur gibt es nicht geschenkt."

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