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Handel: "Sozialromantik bringt keinen Umsatz"

Um kleine Lebensmittelläden zu retten, müssen beide mitmachen - Inhaber und Kunden, sagt Lars Fiehler von der Handelskammer.

Von Jörg Stock
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Glücksfall für Oelsa: Nachdem Penny und Diska die Markthalle im Ort verlassen hatten, übernahm ein Kaufmann aus der Region das Geschäft. Der Überlebenskampf dauert an.
Glücksfall für Oelsa: Nachdem Penny und Diska die Markthalle im Ort verlassen hatten, übernahm ein Kaufmann aus der Region das Geschäft. Der Überlebenskampf dauert an. © Egbert Kamprath

In der Rabenauer Ortschaft Oelsa hat der Kaufmann Jan Friebel eine von Discountern aufgegebene Markthalle mit seinem eigenen Supermarkt wiederbelebt. Seit zehn Jahren hält er nun durch und will weitermachen, obwohl der Laden bisher kaum schwarze Zahlen schrieb. Wie es um die kleinen Lebensmittelhändler im Landkreis steht, darüber hat sächsische.de mit Lars Fiehler gesprochen, Geschäftsführer für Standortpolitik bei der Industrie- und Handelskammer Dresden.

Lars Fiehler ist Geschäftsführer für Standortpolitik bei der Industrie- und Handelskammer Dresden.
Lars Fiehler ist Geschäftsführer für Standortpolitik bei der Industrie- und Handelskammer Dresden. © Foto: IHK Dresden

Herr Fiehler, die inhabergeführten Lebensmittelläden sind eine bedrohte Art. Wie viele gibt es noch im Lebensmittelhandel des Osterzgebirges und der Sächsischen Schweiz?

Im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge gibt es etwa 120 Einzelhandelsgeschäfte, die hauptsächlich Nahrungs- und Genussmittel sowie Getränke verkaufen. Dazu zählen auch die umgangssprachlich als Dorf- oder Tante-Emma-Läden bezeichneten Geschäfte, also in der Regel kleinere, von einem Inhaber geführte Lebensmittelläden. Davon gibt es nach unserer Kenntnis im Landkreis noch 32.

Das Beispiel des "Nah & Frisch" in Oelsa zeigt, dass es möglich ist, aber sehr viel Mühe und Risikofreude erfordert, einen solchen Laden zu erhalten. Deckt sich das mit Ihren Erfahrungen?

Ja. Einen solchen Laden zu führen, war und ist keine leichte Aufgabe, und man kann nur den Hut ziehen vor allen, die diesen Weg erfolgreich beschreiten. Denn hinsichtlich des Angebots, der Preise und Öffnungszeiten wird man nie das Niveau eines klassischen Supermarkts oder Discounters erreichen.

Dorf ist nicht gleich Dorf. Wo haben Kaufleute mit kleinen Lebensmittelgeschäften die beste Chancen?

Derartige Läden funktionieren meist in Regionen gut, wo der Kundenkreis eingeschränkt mobil ist, sei es durch Überalterung oder durch Defizite beim öffentlichen Personennahverkehr. Im Sinne der Daseinsvorsorge haben in solchen Gegenden häufig die Kommunen ein Interesse an einer funktionierenden Vor-Ort-Versorgung und unterstützen im Zweifelsfall derartige Geschäftsmodelle, indem sie Räumlichkeiten kostengünstig zur Verfügung stellen oder sich an den Mietkosten beteiligen. Auch Förderprogramme für den ländlichen Raum beinhalten Unterstützungsmöglichkeiten.

Wenn man die Leute auf der Straße fragt, findet jeder den Dorfladen toll. Trotzdem klagen die Geschäftsinhaber, dass zu wenig gekauft wird...

Vor Ort sind Bevölkerung und Kommunalverwaltung meist froh, dass es solche Läden gibt. Man muss nicht den Weg zum nächsten Supermarkt auf sich nehmen, weil man ein Stück Butter, eine Flasche Milch oder ein Glas Honig möchte. Außerdem trifft man meist jemanden, es gibt immer Klatsch und Tratsch und vielleicht auch eine gewisse Sozialromantik, indem man sich an frühere Zeiten erinnert. Für den Betreiber ist es auf dieser Basis aber kaum möglich, schwarze Zahlen zu schreiben.

Liegt es in unserem Fall auch an der Struktur des Landkreises, dass es die Lebensmittelhändler so schwer haben?

Sicherlich. Beim Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge handelt es sich um einen vergleichsweise dicht besiedelten Landkreis mit funktionierendem Nahverkehr. Es gibt drei Mittelzentren - Pirna, Dippoldiswalde und Freital - und elf Grundzentren, von Altenberg bis Wilsdruff, die allesamt über die Fläche verteilt ein Lebensmittelangebot bereit halten. Außerdem gibt es durch die Nähe zu Dresden viele Berufspendler, die einen Teil der Lebensmitteleinkäufe am Arbeitsort oder auf dem Arbeitsweg tätigen. Für den kleinen Laden am Wohnort bleibt dann gegebenenfalls nur noch das übrig, was man beim „normalen“ Einkauf vergessen hat.

Wie der Oelsaer Marktbetreiber versuchen auch andere Geschäftsinhaber, mit regionalen Produkten zu punkten. Wirkt das?

Es ist ein Pluspunkt. Doch sind inzwischen auch die Bio- und Hofläden in der Gunst der Verbraucher gestiegen. Diese Geschäfte setzen bereits gezielt auf regionale Produkte, Nachhaltigkeit und hohe Qualität. So wird nicht nur Kaufkraft gebunden, die kleineren, "normalen" Läden verloren geht. Es schwinden auch die Möglichkeiten, sich über diese Schiene ein gewisses Alleinstellungsmerkmal aufzubauen.

Welcher Weg ist dann der richtige. Gibt es ein Patentrezept?

Vermutlich nicht. Jeder Ladeninhaber muss sich mit seinen Rahmenbedingungen auseinandersetzen und das Angebot so gut wie möglich auf die Wünsche der Kunden zuschneiden. Feststehen dürfte, dass ein „normaler“ Laden keinen langen Bestand hat. Die Kunden wünschen sich meist deutlich mehr, also neben dem klassischen Lebensmittelsortiment auch Drogerieartikel, Haushalts- und Schreibwaren, den Getränkeshop, der im Idealfall auch liefert, die Möglichkeit, einen Kaffee zu trinken, vielleicht noch etwas Partyservice, Post- und Lottoannahme, wenn möglich regionale Produkte vom Bauern um die Ecke, und alles natürlich auch lose und scheibchenweise, nicht als Großpackung wie im Supermarkt.

Unabhängig vom inhaltlichen Konzept: Wenn es den Leuten zu teuer ist, kommen sie trotzdem nicht, oder?

Ein immens wichtiger Punkt gilt überall: Die Bürger vor Ort müssen sich mit ihrem Laden identifizieren und auch wirklich dort einkaufen. Und da sind wir bei den Preisen. Gerade im Lebensmittelbereich sind die Kunden trotz aller Bekenntnis zu Regionalität und Nachhaltigkeit sehr sensibel.

Wie kann man denn als Einzelkämpfer günstiger an Waren herankommen?

Um bessere Konditionen beim Großhandel zu erzielen, bieten sich für die Ladeninhaber Einkaufsgemeinschaften an. Das heißt, man sucht sich vergleichbare Händler mit ähnlichen Sortimenten und spricht sich ab. In anderen Regionen Deutschlands funktionieren darüber hinaus Genossenschaftsmodelle sehr gut. Allein in Bayern und Baden-Württemberg entstanden in den vergangenen Jahren mehr als 200 kleine Geschäfte auf dem Land, überwiegend durch die Initiative der Bürger, die dann im wahrsten Sinne des Wortes Teilhaber „ihres“ Ladens werden.

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