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Maschinenbau hangelt sich von Engpass zu Engpass

Alexander Jakschik, Chef der ULT AG in Löbau, ist das Sprachrohr des ostdeutschen Maschinenbaus. Die vernetzte Welt werde mit Krisen wie jetzt leben müssen, sagt er – und hat Lösungsansätze.

Von Michael Rothe
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Alexander Jakschik führt gemeinsam mit seinem Bruder Stefan (v.l.n.r.) die von Vater Christian gegründete ULT AG in Löbau. Das Trio wurde 2016 als "Sachsens Unternehmer des Jahres" geehrt.
Alexander Jakschik führt gemeinsam mit seinem Bruder Stefan (v.l.n.r.) die von Vater Christian gegründete ULT AG in Löbau. Das Trio wurde 2016 als "Sachsens Unternehmer des Jahres" geehrt. © Matthias Weber

Der Materialmangel in der deutschen Industrie hat sich weiter verschärft, so der Tenor einer Umfrage des Münchner Ifo Instituts. Demnach klagen vier von fünf Firmen über Engpässe sowie Probleme bei der Beschaffung von Vorprodukten und Rohstoffen. Im Februar waren es noch knapp drei Viertel gewesen. „Die Attacke auf die Ukraine hat die Lage für viele Unternehmen nochmals verschlechtert“, schreiben die Forscher. In den Lieferketten gebe es neue Probleme. So importierten 17 Prozent der Industriefirmen aus Russland.

Auch dem Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) schwant nichts Gutes. „Die Lage wird sich weiter verschärfen, gerade für Bleche und andere wichtige Zulieferprodukte“, befürchtet Alexander Jakschik, seit Januar Vorstandschef des VDMA Ost, Interessenvertretung von 350 Firmen in den neuen Ländern.

Der Maschinenbau sei kein so großer Energieverbraucher wie Stahlwerke und Gießereien, sagt Jakschik, der mit seinem Bruder die ULT AG in Löbau führt. Der Hersteller von Absaug- und Filtertechnik für Luftschadstoffe in Produktionsprozessen engagiert sich auch bei Batteriezellen – von der Fertigung bis zum Recycling. Zur Gruppe, die mit rund 200 Beschäftigten 30 Millionen Euro Jahresumsatz erwirtschaftet, gehören Novus air in Weinböhla, ULT Dry-Tec in Dresden, SLAB im polnischen Luban und ULT Inc. in Calgary, Kanada.

Der Klopapiereffekt lebt

Wegen gekappter Lieferketten beginnen Betriebe, wieder Lagerbestände aufzubauen, alternative Lieferanten und Wege zu suchen. „Der Klopapiereffekt“, sagt Jakschik. „Jeder schaut, dass er seine Kette absichert und das Lager voll bekommt.“ Man schaue sich seine Lieferanten genau an und arbeitet mehr mit Vorkasse.

Jakschiks Start als regionaler Verbandschef fällt in eine unruhige Zeit: erst die Pandemie, dann der Krieg in der Ukraine, zu dessen Folgen auch die Sanktionen gegen Russland gehören. „Das ist schade, denn gerade der Osten hatte noch lange Verbindung gehalten“, sagt der 39-Jährige. ULT habe vor drei Jahren sogar angefangen, seine Aktivitäten zu verstärken und einen russischen Vertrieb aufgebaut. „Aber was jetzt passiert, ist auf absehbare Zeit nicht reparabel“, so Jakschik. „Auch meine sächsischen Kollegen legen ihr Geschäft auf Eis.“

Vor 2014 hatte Deutschland noch für acht Milliarden Euro Maschinen nach Russland geliefert. Seitdem stagnieren die Ausfuhren bei knapp zwei Dritteln davon. Jetzt hätten die Chinesen die deutsche Rolle übernommen, sagt Jakschik. „Dennoch müssen wir für unsere Werte einstehen, uns gegen diesen Krieg positionieren“, wohl wissend, dass viele Verbandsmitglieder die Sanktionen zu spüren bekämen.

Branche verliert Millionen

Laut VDMA-Hauptgeschäftsführer Thilo Brodtmann verliert die Branche so Hunderte Millionen Euro. Konkreter wird er nicht, zumal der größte Teil von Europas Stahls aus Russland und der Ukraine kommt. Die meisten Hersteller können das weggefallene Geschäft verschmerzen, denn es ist seit Jahren rückläufig. Dafür galoppiert die Inflation. Jakschik sieht immense Herausforderungen und begrenzten Planungshorizont. „Stahl und Blech hatten wir im Griff, da machten Chips und Elektronik Sorgen“, sagt er. „Jetzt ist Stahl wieder ein Problem – wir hangeln uns von Engpass zu Engpass.“

Jakschik glaubt nicht, dass es sich normalisiert, „weil die Welt vernetzt ist und sich Gleichgewichte verschieben“. Früher sei alles klar gewesen: Amerikaner und Russen, dazwischen die Europäer. „Heute gewinnt China an Gewicht, die USA ziehen sich zurück, ordnen sich Machtverhältnisse neu.“ Werden die Deutschen zerrieben?

Deutschlands Wohlstand lebt vom Maschinenbau und vom Export. Daher wird der Verband nicht müde, gerade Ost-Firmen zur Internationalisierung zu bewegen. Jakschik sieht den Strukturwandel im Zuge der Umweltpolitik als größte Aufgabe. Bei der Umstellung auf CO2-arme Technologien komme dem Maschinen- und Anlagenbau eine Schlüsselrolle zu. Auch müsse der Osten in der Wirtschaftsleistung schneller gegenüber dem Westen aufholen und die Politik regionale Besonderheiten stärker berücksichtigen. Das gelte vor allem für die mittelständisch geprägte Wirtschaft mit hohen Hürden für Auslandsaktivitäten, die Forschung und die Bearbeitung zunehmender Gesetze und Vorschriften.

"Kurzarbeit muss bleiben"

Der produzierende Bereich konnte im Gegensatz zur Gastronomie in der Pandemie weiterarbeiten. „Die Kurzarbeit, die wir selbst auch genutzt haben, ist ein Spitzeninstrument, das erhalten werden muss“, lobt Jakschik. Eine Pleitewelle im Maschinenbau sehe er nicht, der habe eher Wachstumsambitionen.

Doch dazu braucht es Personal. Aber woher? „Wir Arbeitgeber sind gefordert, uns attraktiv aufzustellen, um Mitarbeiter zu gewinnen.“2021 wurde in der Metallindustrie Ost der Einstieg in die 35-Stunden-Woche auf den Weg gebracht, wenn auch gestreckt. Arbeitgeber-Sprachrohr Jakschik „weiß, dass es in der Welt von heute mit ihrem Arbeitspensum mehr Erholungszeit braucht“.

Aber man dürfe es nicht übertreiben, die Arbeitskräfte müssten zur Verfügung stehen, argumentiert er. „Man merkt an den Forderungskatalogen, dass dem Nachwuchs suggeriert wurde, er könne sich die Arbeit aussuchen“, sagt Jakschik. Andererseits sei die Generation mit Digitalisierung aufgewachsen, komme mit enormen Wissen und Effizienz daher. „Ich verweise darauf, dass in Work-Life-Balance auch das Wort ‚Work‘ vorkommt. Und wir dürfen nicht vergessen, dass wir im internationalen Wettbewerb stehen und den Wohlstand von morgen sichern müssen.“

Maschinenbau in Sachsen

  • Sachsen ist die Wiege des deutschen Maschinenbaus, von dort kommen seit 200 Jahren Textil-, Werkzeug- und Druckmaschinen.
  • Mit 45.000 Mitarbeitern in etwa 1.000 Firmen ist die Branche eine der wichtigsten im Freistaat.Neben Schwergewichten in Chemnitz gibt es auch im Raum Dresden namhafte Adressen wie VEM, Mikromat, Theegarten-Pactec, KWD und Xenon.
  • Der VDMA hat sechs Regionalverbände – Ost ist mit gut 30 Prozent Anteil flächenmäßig der größte bei zehn Prozent der Mitgliedsfirmen. (SZ/mr)