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Lohnt es sich, das Fahrrad auf ein E-Bike umzurüsten?

Hersteller werben im Internet mit Umbausätzen für wenige Hundert Euro. Doch nicht jedes Rad ist geeignet. Und es gibt auch rechtliche Probleme.

Von Sylvia Miskowiec
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Der am Tretlager sitzende Motor unterstützt, der Akku sitzt am Getränkehalter: Auch Mountainbikes lassen sich zu einem Pedelec umrüsten. Ob sich der Aufwand lohnt, ist eine andere Frage.
Der am Tretlager sitzende Motor unterstützt, der Akku sitzt am Getränkehalter: Auch Mountainbikes lassen sich zu einem Pedelec umrüsten. Ob sich der Aufwand lohnt, ist eine andere Frage. © Pendix

Ab zehn Jahren ist bei Fahrrad Müller Schluss. „An ältere Fahrräder baue ich keinen Motor mehr dran. Das Risiko ist hoch, dass sie diese zusätzliche Kraft nicht mehr aushalten“, sagt Lutz Müller, Inhaber eines Fahrradladens in Dresden. In seiner Werkstatt elektrifiziert er Fahrräder, von denen Kunden sich nicht trennen wollen, aber mehr Komfort wünschen. Müller macht aus den liebgewonnenen Drahteseln also Pedelecs. So heißen jene Räder rechtlich korrekt, wenn der Motor Geschwindigkeiten bis 25 km/h unterstützt und eine sogenannte Nenndauerleistung von maximal 250 Watt vorweist. Ist er stärker, braucht das Rad ein Nummernschild und wird wie ein Moped behandelt.

Regionale Qualität kostet mehr

Ganz billig ist der eingebaute Rückenwind nicht: Im Netz gibt es zwar Umbausätze für rund 400 Euro. Viele der Antriebe sind aber made in China, etwa von Yose und Bafang. Letzterer ist nach eigenen Angaben einer der führenden Hersteller von E-Mobilitätskomponenten und kompletten E-Antriebssystemen und produziert auch in Europa, in seinem neuen Werk in Polen. Ebenfalls aus Europa stammt das britische Start-up Swytch, das statt eines einzelnen Motors gleich ein ganzes motorisiertes Vorderrad ab 1.199 Euro liefert.

Wer lieber in regionale Qualität investieren und Serviceleistungen vor Ort in Anspruch nehmen will, zahlt noch etwas mehr. Fahrradhändler Müller etwa verbaut nur Antriebe des Zwickauer Unternehmens Pendix. Diese kosten mindestens 1.649 Euro. Wer sie sich von Vertragshändlern wie Müller einbauen lässt, legt 50 bis 150 Euro drauf, zusätzlich zu den 100 bis 200 Euro, die Müller für einen gründlichen Check-up des Rades vor der Umrüstung aufruft. „Diese Kontrolle ist äußerst wichtig“, sagt Jürgen Bialek, Sachverständiger für Maschinensicherheit aus Freiberg. „Sobald ein Motor das Fahrrad unterstützt, sind das Rad und seine Komponenten zusätzlichen Kräften ausgesetzt.“ So muss das Rad etwa größere Beschleunigungen aushalten können, der Rahmen das Zusatzgewicht von Motor und Akku tolerieren und die Bremsen trotz des Zusatzgewichtes höhere als bisher gewohnte Geschwindigkeiten sicher abbremsen.

Aufs Alter kommt's an

Versteckte Schäden durch Unfälle und Altersermüdungen könnten schnell fatal sein, warnt auch Tim Salatzki, Leiter Technik & Normung beim Zweirad-Industrie-Verband. „Das umgerüstete Rad wird erfahrungsgemäß öfter und auf größeren Strecken gefahren, ist also einer längeren Belastung als früher ausgesetzt. Man tritt anders, etwa beim Bergauf- oder Anfahren. Auf einem E-Bike muss keiner mehr aus dem Sattel raus und im Stehen fahren.“

Rechtlich bedenklich

Zudem ändert sich noch etwas, was keiner der Hersteller der Umrüstsätze offen kommuniziert: Aus dem Rad wird durch den Umbau technisch und rechtlich gesehen eine Maschine. „Da greifen andere Vorschriften und zusätzliche Normen“, so der Sachverständige Bialek. Da wäre zum Beispiel die europäische Maschinenrichtlinie, die ganz klar sagt: Jeder, der eine Maschine baut, wird zum Hersteller, ob Hobbybastler oder Händler. Und derjenige muss dafür geradestehen, wenn mit dem Rad ein Unfall passiert, der auf den Umbau zurückzuführen sein könnte. „Zum Glück ist bisher so wenig passiert, dass dieser Umstand der breiten Öffentlichkeit kaum bekannt ist“, sagt ZIV-Experte Salatzki.

Für Händler, die Bikes auf Wunsch umrüsten, ist die Lage sogar noch vertrackter als für Privatpersonen. „Ein Hersteller, zu dem der Händler durchs Umrüsten wird, muss sich im Rahmen des Produktsicherheitsrechts zum Beispiel an die Maschinenrichtlinie halten“, sagt Bialek. Diese schreibe ihm klare Verfahren vor, bevor er seine Ware in Verkehr bringt. Dabei sei das zur Maschine umgebaute Rad wie ein neues Produkt zu behandeln, so der Sachverständige. Und das bräuchte eigentlich ein neues CE-Zeichen, das dem Produkt attestiert, dass es gemäß EU-weiten Anforderungen in Bezug auf Sicherheit, gesundheits- und Umweltschutz geprüft wurde.

Hinzu kommt die EMV-Richtlinie, nach der die elektromagnetische Verträglichkeit des Pedelecs sichergestellt sein muss. „Es ist wichtig zu wissen, in wiefern der Motor von außen durch elektromagnetische Strahlung beeinflusst wird, etwa, wenn man mit seinem Pedelec neben einem E-Auto steht“, begründet Bialek den Sinn dieser Vorschrift. „Nur durch entsprechende fachmännische Installationen und Tests kann ausgeschlossen werden, dass elektromagnetische Impulse in die Steuerung des Pedelecs eingreifen und so etwa den Motor aktivieren oder stoppen können.“ Die Crux an der Sache: „All das ist sehr aufwendig. Händler können zudem nie hundertprozentig sicher sein, sie kennen die Vorgeschichte des Rads nur aus Aussagen der Kunden“, sagt Salatzki.

Achtung vor Garantieverlust

Also alles lieber selbst in die Hand nehmen? Immerhin gilt das Produktsicherheitsgesetz nicht für Privatpersonen, und die private Haftpflicht greift bei „leichten Modifikationen“ immer noch. Doch ob die Verwandlung eines Fahrrads zu einem Pedelec noch als „leichte Änderung“ einzustufen ist, ist fraglich. Eher nicht, meinen Experten wie Bialek. Zumindest braucht man handwerkliches Geschick, auch wenn Hersteller wie Pendix und Swytch mit nur einer Stunde Umrüstzeit werben. Nach dem Umbau erlöschen zudem Gewährleistung und Garantien des Herstellers des ursprünglichen Rads, so Bialek. „Das sollte man sich angesichts langer Garantien von meist mehr als den gesetzlich vorgegebenen zwei Jahren überlegen.“

Zwei wichtige Fragen für Selbst-Umrüster

Wo sitzt der Motor?

  • Der Allrounder unter den Antriebsarten ist der Mittelmotor. Er befindet sich direkt beim Tretlager. Motor- und die menschliche Strampelkraft werden so gebündelt über die Kette an das Hinterrad abgegeben. Die Vorteile: Das umgerüstete Fahrrad hat durch die tiefe Lage des Motors einen niedrigeren Schwerpunkt und fährt dadurch stabiler – gerade bei Mountainbikes ein wichtiges Kriterium. Zudem ist ein Mittelmotor mit allen Schaltungssystemen kompatibel.
  • Beim Nabenmotor ist das nicht der Fall. Da er fast immer in der Hinterradnabe sitzt, ist er nur mit einer Ketten-, nicht aber mit einer Nabenschaltung kompatibel. Dafür gibt er seine Kraft direkt ans Antriebsrad ab, was sportliche Fahrer von Rennrädern und Gravelbikes durchaus schätzen. Allerdings sorgt ein Nabenmotor für ein Ungleichgewicht, da er deutlich mehr Last auf das Rad bringt, in dem er sitzt, egal, ob wie üblich hinten der vorn. Schwierig wird es zudem, sollte das Rad ausgebaut werden müssen – zum Beispiel bei einer Reifenpanne.

Wo soll der Akku hin?

  • Manche Anbieter nutzen die Getränkehalterungen an der vertikalen Fahrradstange für die Akkumontage, andere bevorzugen die horizontale Sattelstange. Bei beiden Varianten fallen die Akkus im wahrsten Sinn des Wortes wenig ins Gewicht, denn die Last der Batterien verteilt sich in der Mitte des Rads gleichmäßig auf Vorder- und Hinterachse.
  • Am Gepäckträger angebracht ist dies nicht der Fall. Zudem braucht es für diese Art der Akkubefestigung passende Systemträger, die meist extra zu bezahlen sind.