Leben und Stil
Merken

Per Rad von Berlin nach Dresden an einem Tag

Der neue Fernradweg führt 250 Kilometer durch Landschaften mit Industriekultur, Sandpisten und Funklöchern. Unser Autor hat ihn getestet.

 5 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Der Radfernweg Berlin–Dresden führt auch durch die märchenhafte Landschaft des Spreewaldes. Wie hier in Raddusch radelt man eine Weile neben dem Fließ entlang.
Der Radfernweg Berlin–Dresden führt auch durch die märchenhafte Landschaft des Spreewaldes. Wie hier in Raddusch radelt man eine Weile neben dem Fließ entlang. © Peter Becker

Von Martin Morgenstern

Mein erstes Fahrrad habe ich mit zwölf Jahren geschenkt bekommen. Es begleitete mich auf unserer ersten großen Klassenradwanderung nach Weimar, trug mich treu durch Zivildienst und Studium. Dann stand es jahrelang in einem Berliner Keller und wäre wohl irgendwann bei einem Frühjahrsputz auf dem Sperrmüll gelandet, wenn ich nicht Ende April einen Artikel in der Sächsischen Zeitung gelesen hätte. „Von Dresden nach Berlin: Neuer Radfernweg für Sachsen“ hieß die Überschrift – und bei mir, dem gemütlichen Freizeitpedalritter, machte es klick!

Die 250 Kilometer seien gut in zwei bis vier Tagen zu schaffen, rechnete ADFC-Geschäftsführer Konrad Krause in dem Text vor. Tja – er hatte nicht mit meinem Kellerrad gerechnet. Ich gönnte mir Mitte Mai eine Erste-Klasse-Bahnfahrkarte in die Hauptstadt, genoss am Abend quasi als Motivationsschub eine harte musikalische Bergetappe (die Staatskapelle Berlin spielte Richard Strauss' „Alpensinfonie“), und stellte mir danach den Wecker auf fünf Uhr früh vor.

Wenn schon, denn schon. Ich hatte mir, vielleicht im Anfall einer sich ankündigenden Midlife-Crisis, vorgenommen, die Strecke nach Hause am nächsten Tag am Stück abzureißen.

„Sockenhandschuhe“ zum frostigen Start

Es wurde hart, so viel kann ich schon mal zusammenfassend sagen. Die fast frostigen Temperaturen kurz nach Sonnenaufgang konnten mich nicht schocken, ich zog mir ganz schnell mein Extrapaar Socken über die Hände und hatte mich bis Königs Wusterhausen warmgestrampelt. Meinen Proviant (drei hart gekochte Eier, eine Tafel Schokolade, eine Packung Kekse) hatte ich kurz darauf schon schnell komplett aufgefuttert.

Aber nun wurde es warm und die Strecke durch den Spreewald wirklich wunderschön! Der ADFC hatte das nächste Wegstück des ja noch im Bau befindlichen Radwegs mit einem warnenden Ausrufezeichen versehen: „Da die ausgeschilderte Route zwischen Groß Wasserburg und Krausnick wegen Sand teilweise nur zu Fuß und mit Traktor befahrbar ist, empfehlen wir, die Landstraße L71 auf 3, 2 km zu benutzen“, heißt es etwas holprig auf der entsprechenden Internetseite .

Ich gönnte mir auch ein Stückchen des Weges zu Fuß und erledigte im zugegeben schwachen Funknetz derweil einige Telefonate. Zwei kleine Dorffriedhöfe an der Strecke boten frisches, kaltes Wasser aus dem Hahn und die Gelegenheit für ein paar Gespräche.

Radler, Wiener und ein „echter Calauer“

Südlich des Spreewalds konnte man dann viele Wahlplakate sehen. Die Themen der Kommunalpolitiker reichen von „Windkraft – nein danke“ bis „Wir fühlen uns abgehängt“. Rund um Calau pries ein Möchtegern-Bürgermeister sich als „echten Calauer“ an.

Mir als durchfahrendem Großstädter blieb das Lachen im Halse stecken. Berlin schien hier schon unendlich weit weg und Dresden noch nicht in Sicht zu sein. Da halb die Musik von „Element of Crime“ über die Kopfhörer und den Mittelstreckenblues hinweg.

Selfie in Lüttich – es sind noch knapp 35 Kilometer.
Selfie in Lüttich – es sind noch knapp 35 Kilometer. © Martin Morgenstern

Entgegen der ADFC-Empfehlung hielt ich mich im Folgenden westlich der Autobahn A13, um zumindest im Vorbeifahren der alten Förderbrücke F 60 zu blinzeln. Lauchhammer flog vorbei, in Ruhland gönnte ich mir – was auch sonst – ein Radler und ein paar Wiener. Das Radler hätte ich vielleicht lieber erst in Dresden trinken sollen, denn bis dahin drohten nun noch weitere knapp 50 Kilometer. Und die hatten es dann verdammt noch mal wirklich in sich.

Polizeikontrolle und Riesenumweg

Ich schweige besser über meinen dummen Riesenumweg, weil ich meinte, dieser Weg vor mir sei doch wohl viel schöner und gerader als der vorgeschlagene. Ich schweige auch über die darauf folgende Polizeikontrolle und die wutentbrannte Umfahrung eines großen Schweinepestgebiets, als ich mich schon auf der Zielgeraden wähnte.

Da war nichts als unendliche Erleichterung und ein großes Glücksgefühl, als ich auf meiner Jugendmöhre ohne Licht kurz nach Sonnenuntergang in Dresden die Großenhainer Straße in Richtung Leipziger Vorstadt hinunterrollte. Nein, bis zur Frauenkirche bin ich nicht weitergefahren, sondern erst einmal seufzend in die Badewanne gesunken.

Meinem wunderbaren, lieben alten Fahrrad habe ich an einem der folgenden Tage eine edle mattgraue Lackierung verpasst, und ihm – also eigentlich eher mir – einen neuen Sattel gegönnt. Das darf alle 30 Jahre mal sein.

Wichtigstes Gepäckstück: Sonnencreme

Mein Fazit: Die Strecke ist so schön, dass man sie eigentlich jedes Jahr einmal fahren müsste, wenn denn der Radweg im kommenden Jahr offiziell eingeweiht ist und dann auch die letzten Holperstrecken beseitigt sind.

Ich würde in Zukunft aber besser zwei Tage und auch eine Übernachtung im Spreewald für die Tour einplanen – am besten auf dem Zeltplatz „Am Schlosspark“ Lübbenau, den ich bereits von Paddelausflügen her kenne und sehr mag. An einem Tag ist es doch eine ganz schöne Quälerei, vor allem, wenn man wie ich nicht regelmäßig Fahrrad fährt.

Und noch eine wichtige Empfehlung für Nachahmer: Sonnencreme nicht vergessen!

Radlerfreundliche Unterkünfte vorher wählen

  • Übernachtungstechnisch ist die Spreewaldregion etwas speziell. Viele Herbergen wollen keine Gäste für nur eine Nacht. Der ADFC rät daher, gezielt nach Bett+Bike-Unterkünften zu suchen, von denen es in der Region rund zwei Dutzend gibt. Sofern dort etwas frei ist, sind die Betreiber verpflichtet, auch für nur eine Nacht ein Dach über dem Kopf anzubieten. Eine weitere preiswerte Option sind Campingplätze.
  • Der ADFC verweist auf eine über die Website mapfox.de bestellbare Broschüre, die neben dem Kartenmaterial auch alle Infos zu fahrradfreundlichen Unterkünften entlang der Strecke enthält und 4,50 Euro kostet. Alternativ kann die Route gratis aus dem Internet heruntergeladen werden. Die GPS-Koordinaten lassen sich in Navigationsgeräten oder Smartphone-Apps wie Komoot und Google Maps darstellen. Aber Achtung: Zuletzt aktualisiert worden sind die Daten im März 2021.