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Nach Kretschmer-Aussage: Ist Deutschland für zwei Prozent CO2-Ausstoß verantwortlich? Ein Faktencheck

Kretschmer fordert, die Klimaziele aufzuweichen. Fridays for Future ruft am Freitag zum Gegenprotest vor die Staatskanzlei in Dresden. Doch was steckt hinter Kretschmers These? Sächsische.de hat die Fakten geprüft.

Von Luisa Zenker
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Kretschmer will die deutschen Klimaziele nicht so genau nehmen. Seine Argument ist aber irreführend.
Kretschmer will die deutschen Klimaziele nicht so genau nehmen. Seine Argument ist aber irreführend. © Archivbild: kairospress

Deutschland muss bis 2045 klimaneutral werden. Um das zu erreichen, liegt eine Mammutaufgabe vor der Bundesrepublik. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) forderte deshalb bereits mehrmals, die Klimaziele aufzuweichen. "Wir haben zwei Prozent des weltweiten CO₂-Ausstoßes: Mein Gott! Ja, dann dauert es eben mal ein oder zwei Jahre länger." Als Reaktion auf dieses Statement protestiert Fridays for Future am Freitag um 17 Uhr vor der Staatskanzlei in Dresden.

Denn mit der Aussage bedient sich Kretschmer eines populistischen Arguments gegen mehr Klimaschutz, das da heißt: Mit den bisschen CO₂-Emissionen retten wir doch nicht die Welt. Was überzeugend klingt, führt in die Irre. Saechsische. de hat einen Faktencheck erstellt.

Argument 1: Die statistische Rechnung

Es stimmt, dass der deutsche Anteil am gesamten Ausstoß der Treibhausgase rund zwei Prozent beträgt. Doch die Statistik zeigt noch mehr: Denn mit einem Ausstoß von 700 Millionen Tonnen Kohlendioxid liegt Deutschland bereits auf Platz 7 der größten CO2- Verbraucher weltweit. Dabei lebt in Deutschland nur ein Prozent der Weltbevölkerung.

Noch klarer wird die deutsche Pflicht zum Klimaschutz, wenn man auf die Pro-Kopf-Emissionen der Bürger schaut. Hier kommen die USA auf 15,7 jährliche Tonnen pro Einwohner, Deutschland auf 9,7 Tonnen und China auf 7,7 Tonnen. Der weltweite Durchschnitt liegt unter fünf Tonnen – also bei rund der Hälfte des deutschen Werts. Übrigens: Könnte jeder der 200 Staaten den derzeitigen globalen Verbrauch ausstoßen, dürfte jedes Land nur 0,5 Prozent schmutzige Gase in die Luft blasen. Da liegt Deutschland derzeit deutlich drüber.

Argument 2: Der Blick in die Geschichte und auf den Erdball

Die Zwei-Prozent sind dabei nur eine Momentaufnahme. Hier hilft ein Blick in die Geschichte: Seit Beginn der Industrialisierung steigt der Ausstoß an Treibhausgasen. Betrachtet man ihn zum Beispiel zwischen 1850 und dem Jahr 2002, ändert sich das Bild deutlich: Die USA kommen auf 29,3 Prozent, China auf 7,6 Prozent, Deutschland auf 7,3 Prozent aller Emissionen in diesem Zeitraum. Damit steigt Deutschlands Verantwortung. Zumal die Folgen des Klimawandels wie Dürre oder Meeresspiegelanstieg besonders in anderen Regionen der Welt spürbar sein werden oder bereits sind.

Nicht zu vergessen ist, dass die Bundesrepublik in den vergangenen Jahren einen erheblichen Teil ihrer CO₂-Emissionen in andere Weltregionen "ausgelagert" hat. Durch die stark gestiegenen Handelsverflechtungen sind gerade energieintensive Betriebe in Länder des sogenannten "globalen Südens" ausgewandert. Güter werden dort mit viel CO₂- Ausstoß produziert und in die Bundesrepublik importiert. Die Emissionen Deutschlands wären um etwa 15 Prozent höher, wenn man das in importierten Gütern "versteckte" Kohlenstoffdioxid berücksichtigt.

Argument 3: Deutschland als Vorbild

Die Bundesrepublik gehört zu den weltweit wichtigsten Industriestaaten und ist die viertgrößte Volkswirtschaft überhaupt. Deutschland ist zudem Mitglied in wichtigen Zusammenschlüssen wie G7 oder G20. Die Bundesrepublik ist also maßgeblich verantwortlich, wohin die Reise geht. Länder mit niedrigerer Wirtschaftsleistung orientieren sich an Industriestaaten wie Deutschland. Das zeigt etwa die Energiewende. Erneuerbare Technologien sind weltweit zum Exportschlager schlechthin geworden. Die Bundesrepublik als Nation der Macher und Denker ist Vorbild für viele, warum sich also mit solchen populistischen und einfachen Argumenten zufriedengeben?

Zudem ist Klimaschutz inzwischen eine wirtschaftliche Notwendigkeit geworden, große Unternehmen wie TSMC oder Intel setzen grünen Strom voraus. Wenn sich Deutschland jetzt abwendet, verpasst es den Sprung in die Welt der zukunftsträchtigen Technologien. Das sagt auch der Vorsitzende des BUND Sachsen Felix Ekardt: "Erneuerbare Energien und Energieeffizienz sind auf Dauer wirtschaftlich, ökologisch und für die Versorgungssicherheit günstiger als fossile Brennstoffe. Nur so werden fatale Abhängigkeiten von autokratischen Lieferstaaten überwunden, und nur so werden Preisspiralen bei Strom, Wärme und Mobilität vermieden."

Rechtlich ist die Frage übrigens längst geklärt: Deutschland hat sich mit dem Pariser Klimaabkommen völkerrechtlich verpflichtet, das 1,5 Grad Ziel einzuhalten. Im EU-Klimagesetz haben sich die EU-Mitgliedsstaaten zudem geeinigt, klimaneutral zu werden. Sollte Deutschland den Vertrag brechen, drohen Sanktionen, wie die Zurückhaltung von Finanzhilfen oder Strafzahlungen.

Den Faktencheck hat das Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung mit wissenschaftlichen Statements unterstützt.

Empfehlenswert ist hierbei auch der Blogbeitrag von dem bekannten Klimaforscher Stefan Rahmstorf. Darin fragt er ironisch: "Würde man die gesamte Weltbevölkerung in 50 Gruppen einteilen, von denen jede zwei Prozent der globalen Emissionen verursacht – folgt daraus dann, dass niemand etwas machen muss?"