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Ostsachsens Handwerk mit dem Rücken zur Wand

Die Dresdner Handwerkskammer nennt das Geschäftsklima „schlimmer als zur Finanzkrise 2008“. Angesichts fehlender Hilfe schwindet das Vertrauen in die Politik.

Von Michael Rothe
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Gegen allgemein schlechtes Geschäftsklima ist auch ein Experte wie die Firma Tiegel in Radeberg machtlos. Der innovative Heizungs- und Lüftungsbauer - im Bild Fertigungsleiter Silko Fiedler an einer mobilen Klimaanlage - sieht sich selbst auf gutem Weg.
Gegen allgemein schlechtes Geschäftsklima ist auch ein Experte wie die Firma Tiegel in Radeberg machtlos. Der innovative Heizungs- und Lüftungsbauer - im Bild Fertigungsleiter Silko Fiedler an einer mobilen Klimaanlage - sieht sich selbst auf gutem Weg. © ronaldbonss.com

Die Radeberger Tiegel GmbH mag es nach eigenem Bekunden „heiß – aber auch luftig, kühl und trocken“. Entsprechend wirbt „Ihr Spezialist für das perfekte Klima seit 1914“ im Internet für Sachsens Woche der offenen Unternehmen Mitte März 2023. Der Familienbetrieb hat sich von der Ullersdorfer Hufschmiede des Urgroßvaters zum gefragten Partner für die Herstellung von Kühlanlagen, Heizsystemen und Lüftungstechnik entwickelt – ob in der Wüste oder am Polarkreis. Seine Heiz- und Kühlcontainer, mobilen Kaltwasser- und Lüftungszentralen vertragen Temperaturen von minus bis plus 50 Grad Celsius etwa bei humanitären Einsätzen und in Regionen ohne Infrastruktur.

Von perfektem Geschäftsklima ist das Handwerk in Ostsachsen weiter entfernt denn je. Nur noch 43 Prozent der Betriebe nennen ihre wirtschaftliche Situation gut, und fast jeder zweite geht von weiterer Verschlechterung aus. Die Dresdner Kammer nennt den Index von 85 Punkten – vor einem Jahr waren es 121 – „den niedrigsten Wert seit langem“ und „gefühlt noch schlechter als in der Finanzkrise 2008“. Wegen statistischer Veränderungen lasse sich das in der Konjunkturumfrage aber nicht mit Zahlen belegen“, sagt der Präsident Jörg Dittrich.

Viele der noch knapp 21.500 Mitgliedsbetriebe im Kammer- und Direktionsbezirk, Tendenz weiter fallend, stünden mit dem Rücken zur Wand, heißt es. Demnach belasten explodierende Preise für Energie, Material und Rohstoffe, steigende Zinsen, der auf zwölf Euro pro Stunde erhöhte Mindestlohn und unterbrochene Lieferketten die Unternehmen, lässt sie die Inflation mit großer Sorge in die Zukunft blicken.

Vor allem Fleischer, Bäcker und Konditoren leiden

Auch Uwe Tiegel, der den Radeberger Familienbetrieb mit rund 30 Beschäftigten und zuletzt knapp 1,7 Millionen Euro Jahresumsatz in 4. Generation führt, kennt diese Probleme. „Wir spüren deutlich längere Lieferzeiten für Ventilatoren und andere Komponenten“, beklagt er. Viele Fristen von Projekten könnten nicht gehalten werden. Folge: ständiges Nachverhandeln – was gerade bei Neukunden nicht einfach sei. Zudem liege der in Jahrzehnten aufgebaute Absatzmarkt in Russland seit den Sanktionen des Westens brach, sei der Kontakt zum Partner im sibirischen Tjumen gekappt. Zwar sterbe die Hoffnung auf Wiederaufnahme zuletzt – „aber nicht um jeden Preis“, sagt der 55-Jährige mit Blick auf den russischen Angriff auf die Ukraine.

Trotz der Krisen steht der Klima-Spezialist Tiegel glänzend da. Angesichts guter Auftragslage könnte der Betrieb sogar noch ein paar Kälteanlagenbauer, Installateure, Lüftungstechniker und Elektriker gebrauchen. Nach SZ-Informationen soll der Umsatz 2022 mehr als verdoppelt werden, bei erneut schwarzen Zahlen. Die Radeberger haben ihr Portfolio weiterentwickelt, bieten nachhaltige und effiziente Produkte an wie einen Kühlcontainer mit Wärmepumpe oder einen Speicher, der Abwärme für heißes Wasser und warme Luft nutzbar macht. „Wir haben Antworten auf aktuelle Fragen, einzig die Finanzierung fehlt“, sagt Tiegel – das sei frustrierend. Banken seien sehr zurückhaltend bei solchen Projekten.

Wie Tiegel geht es laut Dresdens Handwerkspräsident Dittrich derzeit all jenen gut, die in Sachen Heizung, Klima, Sanitär und Elektro unterwegs sind. Doch das sei die Minderheit, sagt der Dachdeckermeister, der im Dezember zum Präsidenten des Zentralverbands und so zu Deutschlands Oberhandwerker gewählt werden will. Vor allem das an regulierte Preise gebundene Gesundheitshandwerk leide, aber auch Fleischer, Bäcker und Konditoren, weil sich die Kundschaft beim Einkauf zurückhalte. Manche sorge sich gar um seine Existenz.

Forderung: Gaspreisbremse mindestens ab Januar

Der Radeberger Klimaspezialist war nach eigenen Angaben halbwegs durch die Corona-Pandemie gekommen, fühlte sich aber laut seinem Chef und Inhaber von der Politik alleingelassen. „Die Vorgaben des Staates haben wehgetan“, sagt Uwe Tiegel. Außerdem hätten Antworten auf viele Fragen gefehlt – wie jetzt in all den Krisen. Mit seiner Kritik spricht der Handwerksmeister Mittelständlern aus der Seele, die in den vergangenen Wochen unter anderem mit offenen Briefen protestiert hatten, weil Bundeshilfen gegen hohe Energiekosten aus ihrer Sicht zu spät kommen.

Die Unternehmen spürten nicht nur eine wirtschaftliche Krise, sie seien auch mit dem Agieren der Bundespolitik sehr unzufrieden, sagt Andreas Brzezinski, Hauptgeschäftsführer der Dresdner Handwerkskammer. „Das Ausbleiben konkreter Hilfen macht die Firmen betroffen, so geht Vertrauen in die Politik verloren.“ Demonstrationen wie Mitte Oktober in Dresden oder beim Annaberger Berggeschrey in dieser Woche seien Ausdruck dieser Vertrauenskrise, so der Kammerchef.

Laut Präsident Dittrich ist Eile geboten, würden doch fast alle Unternehmen von teils extrem gestiegenen Energie- und Materialpreisen sowie unterbrochenen Lieferketten berichten. „Der Gaspreisdeckel muss mindestens ab Januar gelten“, fordert er. Und für die Strompreisbremse brauche es „endlich konkrete Vorschläge“. Dittrich plädiert ferner für eine Absenkung der Energiesteuern auf europäisches Mindestmaß, Hilfen für Härtefälle und ein „All-In bei der Nutzung der Energieressourcen“.

Herbstblues im Dresdner Handwerk

  • Laut Konjunkturanalyse der Dresdner Handwerkskammer bewerten 43 Prozent der Betriebe ihre Lage als gut. Im vorigen Herbst waren es 61 Prozent.
  • Jedes zweite Unternehmen erwartet eine rückläufige Auftragsentwicklung, besonders im Gesundheits- und dem Lebensmittelhandwerk sowie am Bau.
  • Fast alle Befragten berichten von gestiegenen Einkaufspreisen, 70 Prozent wollen auch ihre Preise anheben.
  • Die meisten Firmen investieren weniger, auch wegen gestiegener Zinsen.
  • Für die Analyse wurden 3.178 der 21.446 Mitgliedsfirmen befragt, etwa jede fünfte hat geantwortet. (mr)