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Das Reiseverhalten ist fast wieder das Alte, aber mit mehr Rücksicht

Zum Welttourismustag eine Bilanz, wie nachhaltig die Deutschen verreisen.

Von Nora Miethke
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Wenn schon in die Ferne schweifen, dann die Wirtschaft im Urlaubsland unterstützen. In Lissabon würden sich die Tuk-Tuk-Fahrer über Kundschaft freuen.  F
Wenn schon in die Ferne schweifen, dann die Wirtschaft im Urlaubsland unterstützen. In Lissabon würden sich die Tuk-Tuk-Fahrer über Kundschaft freuen. F © picture alliance

Für 300 Euro im November mit einem Direktflug der norwegischen Fluggesellschaft Norse nach New York fliegen – Rückflug inbegriffen. Oder für 224 Euro mit dem Nachtzug von Amsterdam nach Dresden fahren, hin und zurück inklusive zwei Übernachtungen im Stadthotel. Für welchen Urlaubstrip würden sich die meisten Deutschen entscheiden, für den umweltschädlichen Langstreckenflug oder für die nachhaltige Zugreise?

Schwer zu beantworten. Die Mehrheit der Reisenden bekundet in Befragungen zwar zuverlässig, dass sie gern nachhaltig reisen möchten. Aber tun sie es auch?

Das Umweltbundesamt und die Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen untersucht das regelmäßig auf Basis der Daten aus der Reiseanalyse. Am vergangenen Montag wurde der aktuelle Monitoringbericht 2023 vorgestellt. Auf den ersten Blick stellt sich Ernüchterung ein. Die positiven Einstellungen zur sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit bei Urlaubsreisen sind rückläufig. Bejahten im vergangenen Jahr noch 64 Prozent der Befragten, dass ihnen bei ihrem Urlaub faire Arbeitsbedingungen und Respektieren der Bevölkerung wichtig ist, sind es in diesem Jahr nur noch 56 Prozent. Auch die Einstellung, dass der Urlaub möglichst ressourcenschonend und umweltverträglich sein sollte, teilen nur noch 42 Prozent, vor zwei Jahren waren es noch 49 Prozent.

Auch das Reiseverhalten ist fast wieder das alte wie vor der Corona-Pandemie. Allerdings sind die Fernstrecken noch nicht wieder auf demselben Niveau wie zuvor. Aber nicht, weil die Urlauber aus Gründen der Nachhaltigkeit verzichten würden. Da sind andere Faktoren entscheidender: Einzelne Länder in Asien wie China und Japan haben ihre Grenzen erst später geöffnet, der Ukraine-Krieg beeinträchtigt alle angrenzenden Länder gen Osten, in anderen Ländern wie zum Beispiel Sri Lanka herrschten Unruhen.

Die Anzahl von Urlaubs- und Kurzurlaubsreisen ist im Jahr 2022 wieder rapide in Richtung der Werte von vor drei Jahren geklettert. Auch bei der Wahl des Verkehrsmittels haben sich die gewohnten Verhältnisse eingestellt. Das Flugzeug hat im Vergleich zum Vorjahr den stärksten Zuwachs erfahren. Der Anteil der CO2-kompensierten Urlaubsreisen ab fünf Tagen ging von 9 auf 5 Prozent zurück. Urlauber verursachen Emissionen an Treibhausgasen. Sie können dafür bei der Buchung extra Geld zahlen, das in Projekte zur Aufforstung von Regenwald oder anderes investiert wird.

Jede vierte Kurzreise wird mit Umweltsiegel gebucht

Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch: Es wird häufiger kompensiert als vor fünf Jahren. Wurde damals bei 1,4 Millionen Urlaubsreisen für CO2-Emissionen extra gezahlt, waren es im vergangenen Jahr 3,4 Millionen Reisen. Bei den Kurzurlaubsreisen ist der Trend noch stärker, da wurden 13,5 Millionen Reisen kompensiert, ein Anteil von 19 Prozent.

Jede vierte Kurzreise wird inzwischen auch mit einem Nachhaltigkeitskennzeichen oder Umweltsiegel gebucht, vor fünf Jahren waren es nur acht Prozent. Bei den längeren Urlaubsreisen liegt der Anteil bei elf Prozent. „Wir sehen keine Trendwende, aber auch keine grundlegende Verschiebung hin zu nachhaltigerem Verhalten“, sagt Friedericke Kuhn von der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen.

Dennoch kommt sie zu der Einschätzung, „dass die Mehrheit der Bevölkerung nachhaltig reisen möchte“. Die Reisebranche sollte nicht auf Nachfrage warten, sondern mehr nachhaltige Angebote machen, fordert sie. Auch müssten diese Angebote sichtbarer werden. Viele Befragte hätten angegeben, dass sie nachhaltige Reiseangebote nur unter hohem zeitlichem Aufwand finden würden.

Der Reisekonzern Tui will mit Partner wie Nightjet/ÖBB das Angebot von Pauschalreisen per Bahn ausbauen.
Der Reisekonzern Tui will mit Partner wie Nightjet/ÖBB das Angebot von Pauschalreisen per Bahn ausbauen. © © ÖBB/Harald Eisenberger

TUI hat genau das vor. Der größte Reisekonzern will mit Partnern ein attraktives europäisches Netzwerk für touristische Zugreisen aufbauen. In den nächsten fünf Jahren werden bis zu zehn Verbindungen für grüne Städtereisen angepeilt, kündigte das Unternehmen im August an. Laut dem Tagesspiegel hat die Vermarktung der ersten Verbindung mit dem „Tui City Express“ nach Prag schon begonnen. In der Nacht zu Freitag fährt der Zug hin und in der Nacht zu Montag zurück. Buchbar sind die Angebote über tui.com, in Reisebüros oder bei Kooperationspartner Green City Trip. Auf der Internetseite von Green City Trip gibt es auch eine fünftägige Pauschalreise mit dem Nachtzug nach Dresden zu buchen.

Forum Anders Reisen empfiehlt zwei Siegel

Petra Thomas, Geschäftsführerin vom Forum Anders Reisen e.V., dem Dachverband für nachhaltigen Tourismus, stellt fest, dass die Reisenden sich zunehmend für soziale und ökologische Aspekte interessierten und auch mehr hinterfragten. „Auch die Nachfrage nach klimafreundlicheren Anreisen mit der Bahn steigt. Das ist zumindest innerhalb Europas eine gute Alternative zum Flug oder Auto“, so Thomas. Im Forum Anders Reisen haben sich rund 140 Reiseveranstalter zusammengeschlossen, die sich für einen nachhaltigen Tourismus engagieren.

Nach Ansicht von Petra Thomas findet in der deutschen Reisebranche ein Umdenken statt, auch weil sich die gesetzliche Lage verändert hat. Gemeint ist das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, das 2024 in Kraft tritt und für Unternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten gilt. Das Gesetz stellt hohe Anforderungen an eine Berichterstattung zu ökologischen und sozialen Wirkung des Wirtschaftens. Unmittelbar betreffe dies nur einige wenige Tourismusunternehmen, da die Branche mittelständisch geprägt sei. „Aber mittelbar sind die kleineren Betriebe als Teil der Lieferketten in die Berichtspflicht einbezogen“, so Thomas. Auch müsse das Fehlen von Arbeitskräften durch attraktivere Arbeitsbedingungen kompensiert werden. Auch wenn es noch einige Jahre dauern wird, bis das Fliegen umweltfreundlicher wird, müssen Urlauber nicht aus Nachhaltigkeitsgründen aufs Reisen verzichten. „Gerade bei Reisen in ferne Länder geht es darum, wie oft wir reisen und wie lange wir vor Ort bleiben. Wir empfehlen, lieber seltener zu reisen und dafür mehr Urlaubstage zu bündeln“, sagt die Tourismusexpertin. Und für die entstehenden Emissionen könne man die Verantwortung durch eine Klimaschutzspende in ein zertifiziertes Projekt übernehmen.

Sie empfiehlt zwei Zertifikate: das Siegel von Tourcert mit Sitz in Stuttgart und das niederländische Siegel Travelife. Beide erfüllten die internationalen Standards des Global Sustainable Tourism Council (GSTC).Gerade in der Unterstützung lokaler Gemeinden in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht liege großes Potenzial im Tourismus in ferne Länder. Dabei sei es gut, darauf zu achten, bei wem das Geld vor Ort ankommt, indem zum Beispiel man einheimisch geführte, private Unterkünfte bucht. „Alles was regional ist, hat Vorrang, das meint sowohl lokal produzierte Lebensmittel als auch lokale Transportmittel – von Fahrradrikscha, über Tuk Tuks bis hin zu Eisenbahnen“. sagt Thomas. So begegne man Menschen im Alltag und komme in den Austausch. Zugleich erhöht man die Wertschöpfung vor Ort, und mehr Menschen profitieren vom Tourismus.