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Der Reisetipp: Auf Kur in Thüringen

Tiiief einatmen und entspannen: Die Kurorte unseres Nachbarlandes locken mit neuen Angeboten an ungewöhnlichen Orten. Gesundheit ist garantiert.

Von Steffen Klameth
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Singen sollte ärztlich verordnet werden, sagt Annelie König. Im Gradierwerk Bad Salzungen stimmt sie Lieder an.
Singen sollte ärztlich verordnet werden, sagt Annelie König. Im Gradierwerk Bad Salzungen stimmt sie Lieder an. © Steffen Klameth

Das darf doch nicht wahr sein! Vor unseren Augen kippt ein junger Mann eine Flasche Wein nach der anderen in einen Brunnen. Nicht irgendwelchen Wein, sondern einen Johanniter vom renommierten Weingut Zahn aus dem Saale-Tal. Eben durften wir uns den leckeren Tropfen noch auf der Zunge zergehen lassen – und nun dieser barbarische Akt. Ist der Mann ganz bei Sinnen?

Natürlich weiß Niklas Brünner genau, was er hier tut. Er ist Mitarbeiter des Gradierwerks in Bad Sulza und demonstriert gerade, wie mithilfe des Zerstäubungsbrunnens Wein in feinen Nebel verwandelt wird. Und den gilt es nun zu inhalieren. Also drehen wir Runde um Runde um den Brunnen, atmen die alkoholgeschwängerte Luft ein und fragen uns: Wie kommt man nur auf solch eine abgedrehte Idee?

Weingenuss mal anders: Niklas Brünner füllt in Bad Sulza einen Wein-Sole-Wasser-Mix in den Zerstäubungsbrunnen.
Weingenuss mal anders: Niklas Brünner füllt in Bad Sulza einen Wein-Sole-Wasser-Mix in den Zerstäubungsbrunnen. © Steffen Klameth

„Normalerweise wird hier Sole zerstäubt“, erklärt Elke Meinhardt von der örtlichen Kurgesellschaft. „Irgendwann meinte jemand, man könnte das doch mal mit Wein versuchen – der soll ja in Maßen auch gesundheitsfördernd wirken.“ Gesagt, getan. Die Versuchspersonen seien allerdings so benebelt gewesen, dass man den Wein nun mit einem Sole-Wasser-Gemisch verdünne. Alkohol und Aromen gelangen über die Nasenschleimhäute ins Blut.

Goethe höchstselbst hat dazu geraten

Inzwischen ist aus der spinnerten Idee ein beliebtes Angebot geworden. Einmal im Monat lädt die Kurgesellschaft zur After-Work-Weinzerstäubung ein. Für 20 Euro bekommen die Gäste zwei Gläser Wein, Häppchen und eben Weinnebel kredenzt. Und sie dürfen nebenbei das historische Gradierwerk „Louise“ besichtigen. Schauen zu, wie die Sole unablässig die meterhohen Wände aus Schwarzdornreisig herabrieselt, und atmen nun wirklich ganz gesunde, weil mit Salz angereicherte Luft ein.

Der alte Goethe höchstselbst soll den Sulzaern einst zu dieser therapeutischen Maßnahme geraten haben – der Anfang der Geschichte als Kurort. Ursprünglich dienten die Gradierwerke allerdings der Salzproduktion. Die Sole gewann beim Rieseln an Konzentration, sodass man beim anschließenden Sieden weniger Brennstoff benötigte. In Deutschland sind mehrere Dutzend solcher Anlagen erhalten. Bad Sulza wirbt damit, dass nirgendwo mehr Salinentechnik erhalten sei wie hier.

Der Aufenthalt in einem Solebad entfaltet eine ähnliche Wirkung wie ein Ostsee-Spaziergang. Vor allem Menschen mit Atemwegserkrankungen und Allergiker schätzen die saubere, mit Aerosolen angereicherte Luft. Annelie König ist überzeugt, dass sie auf diese Weise sogar ihre chronische Lungenkrankheit besiegt hat. „Ich bekam nur noch schlecht Luft. Mir ging es wirklich schlecht.“ Doch das verordnete Kortisonspray wollte sie nicht nehmen. Dafür fand sie einen anderen Weg: „Ich ging ins Gradierwerk hier in Bad Salzungen und begann zu singen.“

"Singen sollte ärztlich verordnet werden"

Mit dem Singen werde die Inhalation noch mal potenziert, sagt die 73-Jährige und tritt gleich den Beweis an. Sie verteilt Gesangbücher an die Gäste und beginnt fröhlich zu schmettern: „Wenn alle Brünnlein fließen …“ Später wird sie noch ins Brunnenhaus wechseln und zum Schluss das Steigerlied in einem gefliesten Raum anstimmen, in dem die Sole mittels Ultraschall zu kleinsten Tröpfchen zerstäubt wird. So gelangt das Heilmittel tief in die Atemwege.

Dass sich der gemischte Chor ziemlich schräg anhört, interessiert hier niemanden. „Das Singen sollte ärztlich verordnet werden“, sagt Frau König. Aber natürlich geht das auch ohne Rezept. An Sonntagen kann man mit ihr durch die Salzunger Solewelt wandeln und nach Herzenslust singen. Und wer mag, steigt anschließend noch ins Solebad oder schwitzt in der Solesauna.

Die Weinzerstäubung in Bad Sulza und das Singen im Solenebel in Bad Salzungen sind nur zwei von rund 40 Angeboten einer neuen Kampagne, mit der das Land Thüringen mehr Gäste in seine 17 Kurorte locken will. „Ziel ist es, die natürlichen Heilmittel Sole, Thermalwasser, Moor und Heilklima mit Entspannungsangeboten zu kombinieren“, sagt Matthias Strejc, Präsident des Thüringischen Heilbäderverbandes und Bürgermeister von Bad Frankenhausen.

Reise durch den eigenen Körper

Auch sein Heimatort präsentiert ein einzigartiges Erlebnis: Yoga mit Lauf-Olympiasieger Nils Schumann und seiner Frau Doreen im Panorama-Museum, wo man sonst Werner Tübkes Monumentalgemälde zur frühbürgerlichen Revolution bestaunt. Sonnengruß unter den Blicken von Adam und Eva, Krieger-Pose im Angesicht der Apokalypse – das fällt garantiert aus dem Rahmen.

Gesunde Luft und meditative Klänge: Andrea Röttig lädt zur Klangschalen-Entspannung im Heilstollen von Saalfeld.
Gesunde Luft und meditative Klänge: Andrea Röttig lädt zur Klangschalen-Entspannung im Heilstollen von Saalfeld. © Steffen Klameth

Dann doch lieber einfach ausstrecken, Augen schließen und eine Reise durch den eigenen Körper unternehmen. Gut, es könnte etwas wärmer sein. Aber hier unter Tage, in den Saalfelder Feengrotten, herrschen nun mal nie mehr als elf Grad Celsius. Das ehemalige Bergwerk gilt als farbenreichste Höhle der Welt, und obendrein ist sie eine der gesündesten. 4.000 Menschen wollen jedes Jahr im Heilstollen die superreine Luft inhalieren, darunter vor allem Menschen mit kranken Lungen, kaputten Psychen und neuerdings auch Long-Covid.

Und Leute, wie wir, die einfach nur entspannen wollen. Therapeutin Andrea Röttig unterstützt das Ganze mit ihren Klangschalen. Gong, gong, gong. Beinahe wäre ich eingeschlafen. Aber meine Nachbarin war schneller und schnarcht schon mit den meditativen Klängen um die Wette.

Wein und Gesang

  • Weinzerstäubung im Gradierwerk Bad Sulza, einmal im Monat, eine Stunde, 20 Euro (ab 18, keine Schwangeren).
  • Singen in der Solewelt Bad Salzungen, unregelmäßig an Sonntagen, eine Stunde, 7,50 Euro inkl. Eintritt Gradierwerk.
  • Klangschalen-Entspannung im Heilstollen Saalfeld: alle 14 Tage, 1,5 Stunden, 22 Euro.
  • Yoga im Panorama-Museum Bad Frankenhausen: einmal im Monat, 1,5 Stunden, 59 Euro.
  • Alle Angebote müssen in der Regel vorher gebucht werden. Übersicht im Internet unter natur-kur-thueringen.de und entspannen.thueringen-entdecken.de
  • In der Sole baden und Unterwassermusik hören – das kann man in der Toskana-Therme in Bad Sulza; zwei Stunden 20 Euro.
  • Die Recherche wurde unterstützt von der der Thüringer Tourismus GmbH.

Recht auf Kur

  • Gesetzlich Versicherte haben alle drei Jahre Anspruch auf eine ambulante Vorsorgekur. Sie dient der Erhaltung der Gesundheit.
  • Voraussetzung ist eine ärztliche „Anregung“. Der Antrag sollte gemeinsam mit dem Arzt ausgefüllt werden. Patienten dürfen ihren Wunsch-Kurort angeben.
  • Die Krankenkasse prüft den Antrag. Bei Ablehnung können Versicherte in Widerspruch gehen.
  • Krankenkassen zahlen in der Regel 90 Prozent der Kosten für die Anwendungen sowie meist auch bis zu 16 Euro pro Übernachtung.