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Der Reisetipp: Thüringens Porzellanstraße

Zauberhafte Landschaften und Orte prägen den Südosten Thüringens ebenso wie das Porzellan. In Handarbeit entstehen kleine Meisterwerke. Entdecken kann man sie in den Manufakturen und Museen entlang der Porzellanstraße.

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Ilka Kunze von der Stiftung Leuchtenburg bringt einen Herzenswunsch per Porzellanbruch auf die Reise.
Ilka Kunze von der Stiftung Leuchtenburg bringt einen Herzenswunsch per Porzellanbruch auf die Reise. © Carsten Heinke

Von Carsten Heinke

Mit hochgekrempelten Hosenbeinen steht Svenja Märkner in der Schwarza. Nur bis zu den Knien reicht der Wanderin das Wasser. Der felsenreiche Fluss ist hier, am Nordrand des Thüringer Schiefergebirges, ziemlich flach. Dicht gesäumt von Laub- und Nadelbäumen, bahnt er sich seinen Weg, vorbei an steilen Hängen, durch ein Tal, das zugleich rau und lieblich ist.

Die Erfurterin schaut aufmerksam ins seichte Wasser. Sucht sie nach Gold, das es hier tatsächlich gibt? Nein, die 55-Jährige hat anderes im Sinn – und endlich in ihren nassen Händen. „Ich habe eins, ich hab ein Bein gefunden!“ jubelt sie und präsentiert den Unterschenkel einer Porzellanfigur, kaum größer als ihr kleiner Finger.

So routiniert, wie Svenja dieses Bruchstück zwischen all den Kieselsteinen aufgestöbert hat, so lange ist es her, dass sie die letzten derartigen Schätze barg. „Als Kind verbrachte ich viel Zeit im Schwarzatal. Während andere den Fluss nach funkelndem Metall durchkämmten, begnügte ich mich mit dem weißen Gold – oder was davon noch übrig war“, erzählt sie.

Manch Missglücktes gelangte in den Fluss

Quelle ihrer sonderbaren Funde in den 1970ern war die Porzellanfabrik in Sitzendorf, direkt am Schwarza-Ufer. Heute wieder in Privatbesitz, gehörte sie zu jener Zeit zu einem Staatsbetrieb der DDR. „Was bei der Herstellung zerbrach oder missglückte, kam auf einen Abfallhaufen, von dem manches in den Fluss geriet“, so die Scherbensammlerin. Porzellan liebt sie bis heute – ob in Form verschnörkelter Figürchen oder neuestem Design-Geschirr. Nicht zufällig liegen einige von ihren Lieblings-Ausflugszielen an der Thüringer Porzellanstraße.

Über 340 Kilometer ziehen sich die Routen dieses touristischen Netzwerks durch die Mittelgebirge im Südosten des Freistaates. Es verbindet Museen zwischen Erfurt und Eisfeld, Eisenach und Altenburg, aber auch die Galerien und Ateliers von Künstlerinnen wie Kati Zorn in Cursdorf oder Cosima Göpfert in Bechstedtstraß bei Weimar.

Die meisten der über 40 Stationen der Porzellanstraße sind Manufakturen mit ihren Schauwerkstätten, Ausstellungen und Fabrikverkäufen. Einige davon bieten originelle Gastronomie wie etwa die historische Fabrik von Wagner & Apel in Lippelsdorf. Mit Blick auf liebevoll geformte Tiere und andere Figuren kann man dort Kaffee und Kuchen auch in einem ausgedienten Brennofen genießen. Eine umfangreiche Werkschau und Führungen durch die Produktion bietet auch die Manufaktur Reichenbach im Holzlandkreis. Hier verjüngen Star-Designer tradiertes Kunsthandwerk mit elegantem Zeitgeist und ungewöhnlichen Ideen.

Ein zwölf Meter hohes "Sahnehäubchen"

Im wunderschönen Schwarzatal, wo auch Svenja Märkner ihre Scherbenschätze fand, stand die Wiege des Thüringer Porzellans. Unweit von Sitzendorf entdeckte 1757 der Prediger Georg Heinrich Macheleid (1723–1801) die richtige Mixtur aus einheimischer weißer Tonerde (Kaolin), Feldspat und Quarzsand, formte daraus Porzellan und brannte es. 1760 eröffnete der Hobby-Chemiker die erste Porzellanfabrik in Thüringen. Schon kurz darauf holte ihn damit der Schwarzburg-Rudolstädter Fürst nach Volkstedt in die Nähe seines Hofes.

Wagner & Apel in Lippelsdorf: Regina Kästner bearbeitet ein Nashorn.
Wagner & Apel in Lippelsdorf: Regina Kästner bearbeitet ein Nashorn. © Carsten Heinke

Heute zählt die „Aelteste Volkstedter“ zu den beliebtesten Adressen der Thüringer Porzellanstraße. Besucher können hier den Kunsthandwerkern auf die geschickten Finger schauen – zum Beispiel beim „Ankleiden“ der Tänzerinnen. Modelleurin Katrin Himmelreich nimmt dazu einen Streifen Baumwoll-Tüll und bestreicht ihn mit dickflüssigem Porzellan. Falte für Falte heftet sie den Stoff mit einer Nadel an der Figurine fest. „Beim Brand verschwinden die textilen Fasern. Übrig bleibt allein das feine Gittermuster“, verrät die Fachfrau. Das verblüffende Ergebnis und viele andere schöne Stücke kann man in der Werkschau sehen.

Noch viel mehr zeigt das Schloss Heidecksburg. Als Landesmuseum zeigt es Kostbarkeiten wie ein filigranes Fantasiereich aus Rokoko-Miniaturen sowie eine reiche Kollektion Thüringer Porzellans. Wichtigstes Exponat ist der barocke Prunkbau selbst, sein „Sahnehäubchen“ der zwölf Meter hohe Festsaal voller Marmor, Gold und Malerei.

Henkelkrebs und Schüsselechse

Zwischen Rudolstadt und Jena schlängelt sich die Saale durch ein malerisches Tal. Vorbei an weiten Wiesen, waldbedeckten Sandsteinkuppen und aus hellem Muschelkalk geformten Kantenfelsen führt ihr Weg zur Leuchtenburg. Auf einem Berg thront sie wie Dornröschens Schloss. Ihr runder, mittelalterlicher Turm mit Zinnenrand und Zipfelmütze verleiht ihr etwas Märchenhaftes. Das passt ideal zu ihrem Inneren. Denn mit viel Fantasie und Kreativität entstand dort die Erlebnisausstellung „Porzellanwelten“.

„Wir pusten hier die Staubschicht ab vom Weißen Gold, erzählen seine Geschichten, zeigen, was es kann und welchen Zauber es in sich birgt“, kommentiert Ilka Kunze von der Stiftung Leuchtenburg das zeitgenössische Konzept des Hauses. Was dessen künstlerisch geprägte Inszenierung am meisten von einem klassischen Museum unterscheidet, sind ihr spielerischer, interaktiver Charakter, aber auch ihr Charme und Witz.

Gleich am Anfang geben Henkelkrebs und Schüsselechse Rätsel auf. Die merkwürdigen Kreaturen sind mutmaßliche Kreuzungen aus Tieren und Geschirr. Im Alchemie-Labor kann jeder selbst bizarre Ingredienzen mixen. „Wie wär’s mit Engelshaar und Maniokwurzel?“ schlägt Ilka Kunze schmunzelnd vor.

Der "Steg der Wünsche"

Der Rundgang durch die „Porzellanwelten“ gleicht einer amüsanten und lehrreichen Entdeckungsreise durch die Zeit. Stationen sind etwa das kaiserliche China, thüringische Herrscherhöfe oder alt- und neumodische „Wunderkammern“ wie der Raum der Weltrekorde. „Ihn teilen sich das größte und das kleinste Porzellangefäß: die acht Meter hohe Vase des russischen Künstlers Alim Pasht-Han und eine nur wenige Millimeter messende Teekanne“, so Kunze. Mit einem raumhohen Vorhang aus Porzellan-Lamellen sowie einem Taufbecken aus Porzellan habe man die einstmalige Burgkapelle in eine Porzellankirche verwandelt. Auch sie sei weltweit einzigartig.

Porzellanmanufaktur Reichenbach: Caroline Leier verziert einen Fisch.
Porzellanmanufaktur Reichenbach: Caroline Leier verziert einen Fisch. © Carsten Heinke

Es klirrt. Ein Teller ist zerbrochen – nicht aus Zufall. Die Besucherin, die ihn geworfen hat, schaut auf die Scherben unter sich. Die schmale Aussichtsplattform, auf der sie steht, ragt 20 Meter aus dem Burgberg wie eine Brücke in den Himmel. „Unser ‚Steg der Wünsche‘", präsentiert die Leuchtenburgerin den beliebten Außenposten der modernen Schau. „Wer möchte, kann hier seinen Herzenswunsch per Porzellanbruch auf die Reise schicken“, sagt sie und schickt sich an, es zu tun.

Was in Erfüllung gehen soll, schrieb Ilka Kunze vorher – unsichtbar, im Schwarzlicht einer Wunschkabine – auf den weißen Teller, den sie nun hoch überm Saaletal zerschellen lässt. „Scherben bringen Glück!“ ruft sie, den Augenblick genießend. Der Ort dazu könnte nicht besser passen.

Rund um Rudolstadt

  • Anreise: Die Städte Erfurt, Jena und Weimar sind gut mit der Bahn erreichbar, per Regionalzug oder Bus von dort aus auch Rudolstadt und Saalfeld. Um möglichst viel zu sehen und auch in kleine Ortschaften zu gelangen, empfehlen sich eine Autofahrt oder eine kombinierte Wandertour per Fahrrad und zu Fuß. Eine Fahrt von Dresden nach Rudolstadt dauert mit dem Zug etwas mehr als drei Stunden, mit dem Auto sind es ungefähr zweieinhalb Stunden.
  • Übernachten und Essen: Flair Hotel Waldfrieden (EZ/DZ ab 51/82 Euro) in Schwarzatal; Gasthaus & Pension Zum Roten Hirsch im Grünen Wald (EZ/DZ ÜF ab 45/55 Euro); Waldhotel Mellestollen (EZ/DZ ab 70/95 Euro, Halbpension 25 Euro, zehn Euro/Tag Hund) in Saalfeld.
  • Manufakturen: Die Aelteste Volkstedter Porzellanmanufaktur bietet neben Werksführungen (ab fünf Personen, eine Stunde, zehn Euro) auch Porzellanmalen und das Formen einer Porzellanrose an (jeweils ab zwei Personen, zwei Stunden, ab 15 Euro). Werksverkauf Mo–Fr 10–17 Uhr, Sa 10–15 Uhr, Breitscheidstraße 7, 07407 Rudolstadt; Führungen: 0151 28141279.
  • Porzellanmanufaktur Reichenbach: Ausstellung und Werksverkauf Mo–Fr 9–17 Uhr, jeden ersten Samstag im Monat 9–13 Uhr, Führungen auf Anfrage, Tel.: 036601 880.
  • Wagner & Apel: Ausstellung, Werksverkauf und Café Mo–Fr 9–17 Uhr, häufig auch Sa/So Tel.: 036701 61071.
  • Museen: Porzellanwelten Leuchtenburg: Nov–März tgl. 10–17 Uhr, April–Okt tgl. 9–18 Uhr, Eintritt zwölf Euro, Burgschänke Nov–März Sa/So, April – 7. Nov, tgl. ab 11.30 Uhr, Sonntagsbrunch 10–13 Uhr 29,90 Euro, Kloßseminar drei Stunden/45 Euro, Tel.: 0364 247 133 33.
  • Thüringer Landesmuseum Heidecksburg: Di–So 10–17 Uhr (April–Okt 10–17 Uhr), Eintritt acht Euro, Kombiticket mit Schillerhaus und Bauernhofmuseum elf Euro.
  • Lesetipp: „Kleines Thüringer Porzellanbuch“ von Dr. Ulrike Kaiser und Ilka Kunze (2020, Rhino Verlag Ilmenau, 5,95 Euro)
  • Auskünfte: www.saaleland.de, www.thueringerporzellanstrasse.de; www.thueringen-entdecken.de