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Reisetipp Pitztal: Wie schmeckt Zirben-Cappuccino?

Und warum ist Zirbenholz so teuer? Antworten auf diese und andere Fragen findet man im Pitztal. Hier, im Westen von Tirol, wird der Kult um die edle Kiefer auf die Spitze getrieben.

Von Steffen Klameth
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Wo andere Bäume schon aufgegeben haben, trotzt die Zirbe allen Wettern – wie hier am Hochzeiger.
Wo andere Bäume schon aufgegeben haben, trotzt die Zirbe allen Wettern – wie hier am Hochzeiger. © Steffen Klameth

Der erste Blick: Sieht aus wie ein Cappuccino. Das erste Schnuppern: Wie in einem Tannenwald. Der erste Schluck: Nun ja, etwas gewöhnungsbedürftig. Oder, um es mit den Worten von Christina Hackl auszudrücken: „Ist halt Geschmackssache.“

Frau Hackl ist seit zehn Jahren die Chefin im Zeigerrestaurant. Hier, auf 2.000 Metern Höhe, steigen die Wanderer aus der Gondelbahn, um den Hochzeiger oder den Sechszeiger zu erklimmen. So heißen die nächstgelegenen Gipfel, rund 560 beziehungsweise 400 weitere Höhenmeter entfernt. Die ganz Faulen können auch den Sessellift nehmen, um die phänomenalen Rundumblicke zu genießen.

Nach der Rückkehr kehren dann alle im Zeigerrestaurant ein. Tolles Panorama, leckeres Essen. Und sehr spezielle Angebote, die das Wort Zirbe im Namen tragen. Zirbencremesuppe als Vorspeise, Zirbensenf zur Brettljause. Und zum Dessert – genau, Zirben-Cappuccino. Wer mag, kann auch noch Zirbeneis, Zirbensaft und Zirbenschnaps probieren.

Christina Hackl serviert Zirben-Cappuccino im Hochzeiger-Restaurant.
Christina Hackl serviert Zirben-Cappuccino im Hochzeiger-Restaurant. © Steffen Klameth

Kein Wunder: Der Rohstoff wächst schließlich direkt vor der Haustür. Große und kleine Zirben, alte und junge, schlanke und verkrüppelte. Die Botaniker nennen den Baum Pinus cembra, die Österreicher und die Deutschen kennen ihn als Zirbe oder Zirbelkiefer, die Schweizer sagen Arbe oder Arve.

"Frag den Sepp!"

Markenzeichen sind die Büschel mit jeweils fünf Nadeln, man findet sie im gesamten Alpenraum und in den Karpaten, aber nur an wenigen Orten in solcher Menge wie in den Höhenlagen des Pitztals, einem Seitental des Inntals im Westen von Tirol. Jeder zehnte Baum, heißt es hier, sei eine Zirbe. Und wohl nirgendwo wird der Kult um die edle Kiefer so auf die Spitze getrieben wie im Zirbendorf Jerzens.

Warum ausgerechnet hier? Wer das fragt, bekommt stets die gleiche Antwort: „Frag den Sepp!“ Der Sepp, das ist Josef Reinstadler, auch Zirben-Sepp genannt. Wenn die Zirbe die Königin der Alpen ist, dann ist Sepp der König der Zirbe. Wir treffen ihn in seinem Sägewerk beim Bretterstapeln. Zirbenbretter, was sonst. Mit 18 hat er den Betrieb des Vaters übernommen, heute ist er fast 73. Die Liebe zur Zirbe wurde ihm praktisch in die Wiege gelegt. Aber nur Holzfachmann, das war dem Sepp zu wenig.

Er war auch Hotelier, Landwirt und - Bürgermeister. „30 Jahre lang“, sagt er stolz. In dieser Zeit wurde der Naturpark Kaunertal gegründet, „und jede Mitgliedsgemeinde sollte sich auf ein Thema spezialisieren.“ Kaunertal wählte den Gletscher, St. Leonhard den Steinbock. „Und Jerzens wurde das Zirbendorf.“

Bei der Vermehrung hilft der Tannenhäher

Wer der Zirbe begegnen will, muss hochsteigen. Zum Beispiel von der Mittelstation der Zeigerbahn hinauf zur Kalbenalm. Der Weg heißt Zirbensteig und macht seinem Namen alle Ehre – man steigt durch einen richtigen Zirbenwald. Hier, oberhalb von 2.000 Metern, fühlt sich die Zirbe am wohlsten, während andere Bäume der Natur nichts mehr entgegenzusetzen haben. Die Zirbe trotzt Stürmen und Frösten, sie wurzelt tief und schützt die Dörfer so vor Lawinen und Erosion. Selbst Blitzschläge steckt sie dank ihrer Selbstheilungskräfte locker weg. Eigentlich hat sie nur einen Nachteil: Sie wächst sehr langsam.

„Zirben-Sepp“ Josef Reinstadler mit seiner Frau Roswitha.
„Zirben-Sepp“ Josef Reinstadler mit seiner Frau Roswitha. © Steffen Klameth

Bis zu 80 Jahre können vergehen, ehe sie Früchte trägt. Dafür wird sie dann sehr, sehr alt. Manchmal mehr als eintausend Jahre. Bei der Vermehrung hilft ihr übrigens der Tannenhäher. Er sammelt die nussartigen Samen als Wintervorrat, kann sich dann nur die vielen Verstecke nicht merken. Blöd für den Vogel, gut für die Zirbe. So keimt der Samen, und ein neuer Baum wächst heran. Dies und vieles mehr erfährt man in einer kleinen Ausstellung neben dem Tourismusbüro in Jerzens.

Als Bürgermeister Sepp Reinstadler im Jahr 2010 sein Amt aufgab – freiwillig, wie er betont –, suchte er nach einer neuen Beschäftigung. Er musste nicht lange suchen. „Ich wusste, dass in der Zirbe eine gewaltige Medizin steckt – die wollte ich rausholen.“ Er besuchte mit seiner Frau Roswitha ein Duftölseminar, schaffte sich einen Schnapsbrennapparat an und ließ ihn für seine Zwecke umrüsten.

Wohlgeruch allein kann schon Wunder bewirken

Seitdem produziert er Zirbenöl, hundert Prozent naturrein. Dafür werden frische Hackschnitzel aus Schadholz mit Nadeln und Quellwasser gemischt und erhitzt. Der Clou ist die Florentinerflasche („Die hat Leonardo da Vinci erfunden!“), die das ätherische Öl vom abgekühlten Wasser trennt. Das Wasser, sogenanntes Zirbenhydrolat, kann man sich draußen am Hahn zapfen; im Zeigerrestaurant bereitet Küchenchef Erik Hartmann daraus beispielsweise die leckere Zirbencremesuppe.

Dem Sepp kommt es aber vor allem auf das Öl an: „Hier steckt das Pinosylvin drin – das beruhigt, fördert die Konzentration, öffnet die Atemwege.“ Tatsächlich gibt es Studien, die die positive Wirkung von Pinosylvin auf Herz und Schlaf belegen. Allerdings werden sie von anderen Wissenschaftlern in Zweifel gezogen, Gerichte untersagten entsprechende Werbeversprechen. Egal: Den unverwechselbaren Duft kann der Zirbe niemand absprechen. Und Wohlgeruch allein kann ja bekanntlich schon Wunder bewirken. Seinen Duft entfaltet das Zirbenholz übrigens am besten im bearbeiteten Zustand.

Hobbyschnitzer Klaus Schrott mit seinem Paradestück – dem „Hirtenbua“.
Hobbyschnitzer Klaus Schrott mit seinem Paradestück – dem „Hirtenbua“. © Steffen Klameth

Das kann auch Klaus Schrott bestätigen. Im Sommer betreibt der 47-Jährige mit seiner Frau die Kalbenalm und kümmert sich um seine Kälber, Ochsen und Haflinger. Im Winter aber zieht er sich in seine Werkstatt zurück und schnitzt. Vögel, Gesichter, Blüten – ganz überwiegend aus Zirbe. „Das Holz ist sehr weich und duftet herrlich.“

1.200 Euro für einen Kubikmeter

Sein Paradestück ist der „Hirtenbua“. Überlebensgroß steht die Figur neben der kleinen Gaststube, in 250 Arbeitsstunden gefertigt. „Da stecken ungefähr 1,7 Kubikmeter Zirbe drin.“ Das allein ist schon ein kleines Vermögen. „Für den Kubikmeter zahlst du jetzt 1.200 Euro“, sagt Klaus. Er dürfe es sich immerhin zu einem günstigeren Tarif selbst aus dem Wald holen.

Der Hobbyschnitzer wittert Geschäftemacher hinter dem Hype: „Die Nachfrage treibt den Preis.“ Es gebe aber auch ganz objektive Gründe, erklärt Holzmacher Sepp: „Das Schlagen ist streng reguliert und der Abtransport ins Tal sehr aufwendig.“ Aber, ergänzt er, für jede abgeholzte Zirbe werden zwei neue gepflanzt. Die Zukunft des Zirbendorfs ist also gesichert.

Genug von Zirben? Im Pitztal gibt es noch mehr zu erleben

Sie heißen Zirbencarts, haben mit dem Baum aber rein gar nichts zu tun: Dreirädrige Wägelchen, mit denen man von der Bergstation am Hochzeiger bis zur Mittelstation saust. Den Lenker und die beiden Bremsen sollte man niemals loslassen, denn die fünfeinhalb Kilometer lange Piste ist kurvig und holprig, und manchmal kann auch urplötzlich eine Kuh im Weg stehen. Der Spaß dauert zwar kaum eine Viertelstunde, ist sein Geld (13 Euro) aber allemal wert. Alternative: Ein Mountainbike mieten und bis ganz hinunter nach Jerzens rollen.
Sie heißen Zirbencarts, haben mit dem Baum aber rein gar nichts zu tun: Dreirädrige Wägelchen, mit denen man von der Bergstation am Hochzeiger bis zur Mittelstation saust. Den Lenker und die beiden Bremsen sollte man niemals loslassen, denn die fünfeinhalb Kilometer lange Piste ist kurvig und holprig, und manchmal kann auch urplötzlich eine Kuh im Weg stehen. Der Spaß dauert zwar kaum eine Viertelstunde, ist sein Geld (13 Euro) aber allemal wert. Alternative: Ein Mountainbike mieten und bis ganz hinunter nach Jerzens rollen. © Hochzeiger Bergbahnen/Daniel Zangerl
Das Pitztal könnte man auch Tal der Wasserfälle nennen. An mindestens 50 Stellen stürzt das Wasser beidseits des 40 Kilometer langen Tals in die Tiefe - ein wahrhaft berauschendes Erlebnis. Erst recht, wenn man sie nicht nur aus der Ferne bestaunt. Viele Fälle erreicht man auf gut ausgeschilderten Wanderwegen, an manchen laden sogenannte Logenplätze mit Bänken zum Verweilen ein. Tipp: Vom Parkplatz in Schön erreichen Sie den Stuibenfall in etwa einer halben Stunde. Mit 160 Metern ist er einer der höchsten Wasserfälle Österreichs.
Das Pitztal könnte man auch Tal der Wasserfälle nennen. An mindestens 50 Stellen stürzt das Wasser beidseits des 40 Kilometer langen Tals in die Tiefe - ein wahrhaft berauschendes Erlebnis. Erst recht, wenn man sie nicht nur aus der Ferne bestaunt. Viele Fälle erreicht man auf gut ausgeschilderten Wanderwegen, an manchen laden sogenannte Logenplätze mit Bänken zum Verweilen ein. Tipp: Vom Parkplatz in Schön erreichen Sie den Stuibenfall in etwa einer halben Stunde. Mit 160 Metern ist er einer der höchsten Wasserfälle Österreichs. © Steffen Klameth
Österreichs höchster Aussichtspunkt, höchstes Café, höchstes Standesamt: An Superlativen mangelt es dem Pitztalgletscher wahrlich nicht. Mit dem Gletscherexpress und einer Gondelbahn gelangt man bequem bis auf
3.440 Meter Höhe und steht urplötzlich im ewigen Eis. Das Panorama reicht weit über die Ötztaler Alpen hinaus; mehr als 50 Dreitausender sollen von hier aus zu sehen sein – wenn das Wetter mitspielt. Und falls nicht, dann kann man immer noch ein Stück Torte aus der höchstgelegenen Konditorei genießen.
Österreichs höchster Aussichtspunkt, höchstes Café, höchstes Standesamt: An Superlativen mangelt es dem Pitztalgletscher wahrlich nicht. Mit dem Gletscherexpress und einer Gondelbahn gelangt man bequem bis auf 3.440 Meter Höhe und steht urplötzlich im ewigen Eis. Das Panorama reicht weit über die Ötztaler Alpen hinaus; mehr als 50 Dreitausender sollen von hier aus zu sehen sein – wenn das Wetter mitspielt. Und falls nicht, dann kann man immer noch ein Stück Torte aus der höchstgelegenen Konditorei genießen. © Steffen Klameth

Rund um die Zirbe

  • Anfahrt: Von Dresden mit dem Auto rund 690 km. Mit dem Zug bis Imst, weiter mit dem Bus bis Jerzens, etwa neun Stunden.
  • Sparen: Mit der Sommercard kann man täglich eine Bergbahn sowie unbegrenzt alle Busse im Pitztal gratis nutzen. Inkludiert sind auch die Maut auf der Kaunertaler Gletscherstraße und der Zutritt zu Attraktionen wie dem XP Abenteuerpark, der Kletterhalle Imst und dem Steinbockzentrum. Die Sommercard gibt es von Ende Mai bis Mitte Oktober. Sie ist nicht käuflich, man erhält sie nur in etwa 160 Partnerunterkünften.
  • Für Kinder: Der Zirbenpark an der Mittelstation der Hochzeigerbahn ist ein großer Abenteuerplatz mit Klettertürmen, Rutschen und Wasserspielen. Nebenbei erfährt man viele interessante Dinge über die Zirbe und kann sein Wissen bei einem Quiz testen. An der Hobelbank darf sich jeder sein eigenes Säckchen mit Zirbenspänen füllen.
©  SZ-Grafik/Gernot Grunwald
  • Für daheim: Im Zirmshop von Sepp und Roswitha Reinstadler in Jerzens bekommt man (fast) alles, was man aus der Zirbe herstellen kann: Bretter, Schnitzereien, Öl,Likör, Sirup, Gelee, Seife... Geöffnet ist Do/Fr 9 bis 17 Uhr, Sa 9 bis 12 Uhr.
  • Kulinarikkurs: Das Zeigerrestaurant bietet auf Nachfrage Kurse an, bei denen man eine Zirbencremesuppe zubereitet und Zirbenschnaps ansetzt (p. P. 18 Euro).
    Mail-Kontakt: [email protected]
  • Die Recherche wurde unterstützt vom Tourismusverband Pitztal.
  • Ein Video vom Abenteuer Zirbencart-Fahrt sehen Sie hier.