Reisetipp Kärnten: Bergwandern ohne Klettersteige in den "Nocky Mountains"
Laut, kurz und nicht zu früh: Das Krähen des gefiederten Gockels weckt mich und noch ein paar andere Nachbarn: Zwei Esel trotten los und zupfen saftiges Gras, während sich eine Gans vor dem heranhoppelnden Hasen duckt. Anton und Paula, die beiden Ziegen, beobachten das Geschehen aus sicherer Entfernung. Die Kühe sind längst gemolken.
Allmählich durchbricht die Sonne den Frühnebel, und der Blick reicht nun von den Almen der Kärntener Nockberge bis ins Tal. In der Millstätter Hütte auf 1.880 Metern lässt sich der Tag ruhig angehen. In der Küche duftet es nach Kaffee. Edith, die Wirtin, zählte gestern zwölf Übernachtungsgäste. Einige sitzen mit am Frühstückstisch, darunter Fabienne aus der Schweiz, die allein auf dem Alpe-Adria-Trail unterwegs ist.
Zwölf der 27 Etappen bis nach Triest hat sie schon geschafft. „Die Strecken sind teilweise schon recht anstrengend, aber die Natur mit ihren vielen schönen Seiten entschädigt allemal“, meint Fabienne, die sich gerade eine kleine Auszeit vom Berufsleben nimmt. Jaqueline, eine gebürtige Holländerin, lebt seit zehn Jahren in Österreich und vermietet Appartements am See. „Ich wandere mehrmals im Jahr zur Millstätter Hütte, übernachte hier, genieße die Ruhe und den Sonnenaufgang“, erzählt sie.
Hügelig und sanft
Ich bin auf dem Nockberge-Trail unterwegs und habe bereits drei von vier Etappen hinter mir. Bis zum Ziel, dem Millstätter See, geht es noch über 1.400 Höhenmeter bergab. Wer den kompletten Weitwanderweg absolvieren möchte, schnürt an acht Tagen die Schuhe. Dann sind es 128 Kilometer – vom Katschberg auf die Turracher Höhe, den Falkert, nach Bad Kleinkirchheim und weiter bis zum lang gestreckten Millstätter See.
Hügelig und sanft – so könnte man die Nockberge am besten beschreiben. Einheimische nennen sie scherzhaft „Nocky Mountains“ – in Anlehnung an die Rocky Mountains in Nordamerika. „Nocke“ leitet sich von den abgerundeten Formen der Gipfel ab. Sie bilden den westlichen Teil der Gurktaler Alpen. Eine Region, die vor etwa 60 Millionen Jahren entstand und bis heute geformt wird. Bäuerliches Leben und Almwirtschaft prägen seit Jahrhunderten die Hochtäler. Bis weit ins 19. Jahrhundert spielte auch der Bergbau eine Rolle. Heute ist der Tourismus wichtigster Wirtschaftszweig.
Seit 2018 gibt es den Nockberge-Trail; als Weitwanderweg führt er die Wanderer fast durchweg auf 1.500 bis 2.400 Metern Seehöhe. Vor allem an heißen Sommertagen ist man hier oben gut aufgehoben. „Anfangs gab es nur fünf Etappen, 2021 wurde der Trail um drei Tagestouren erweitert“, sagt Nathalie Reichhold. Sie kennt auch die Statistik: „60 Prozent aller Wanderer kamen aus Deutschland, davon zehn Prozent aus Sachsen.“
Auf der Suche nach dem "Alpenbaldrian"
Nathalie gehört zum Team der Trail Angels. Diese Gruppe Gleichgesinnter ist nicht nur ein Info- und Buchungscenter, sondern engagiert sich auch für einen nachhaltigen Tourismus – nicht nur in Kärnten. Derzeit betreut das Team 43 Projekte in 15 Ländern.
Auf der letzten Etappe lasse ich die Tour gedanklich noch einmal Revue passieren. Anfangs dominieren Fichtenwälder, auf über 1.700 Metern Höhe breiten sich zunehmend Zirben und Lärchen aus. Zirbenholz wird gern für Möbel verwendet, der Schlaf im Zirbenbett soll geradezu himmlisch sein, heißt es. Das witterungsbeständige Lärchenholz findet man oft als Dachschindeln auf Berghütten.
Meine Augen grasen die Wiesen nach einer besonderen Pflanze ab: Valeriana Celtica Subspezies Norica, besser bekannt als Speickpflanze oder „Alpenbaldrian“. Die zierliche Heilpflanze wird maximal 15 Zentimeter hoch und hat zartgelbe Blüten; in den Wurzeln ist Baldrian enthalten. Speick ist in den Alpen weitverbreitet, doch die Gattung Norica gedeiht nur hier in den Nockbergen. Um den Artenerhalt zu garantieren, wurde das duftende Gewächs unter Naturschutz gestellt. Die Erntemenge ist auf 25 Kilo pro Saison beschränkt, lediglich zwei Bauernfamilien dürfen sie überhaupt ernten.
Belebt Körper und Geist
Aus den getrockneten Pflanzen wird durch schonende Extraktion ätherisches Öl gewonnen, das in verschiedenen Naturkosmetik-Produkten Verwendung findet. Was heute an der Wirkung der Speick-Pflanze bewundert wird, schätzte man bereits vor mehreren Hundert Jahren: Der Speick entspannt, ohne müde zu machen – und belebt Körper und Geist. Das könnte ich jetzt auch ganz gut gebrauchen, denn das stetige Bergab bremst den Wander-Elan gehörig.
Da kommen die köstlichen Blaubeeren gerade recht, die am Wegesrand zur Rast einladen. Ich beobachte zwei ältere Herren, die die Früchte mit einem Beerenkamm schnell und effizient von den Stielen trennen. Im Wechsel von Forststraßen, schmalen Waldpfaden und asphaltierten Strecken erreiche ich nach etwa fünf Stunden das Ziel: Seeboden, eine kleine Gemeinde am Millstätter See.
Zeit für ein Resümee. Grüne Almen, schattige Wälder, aussichtsreiche Kammwege und von einem Gipfel zum nächsten: Der Nockberge-Trail begeistert mit einer abwechslungsreichen Landschaft und scheinbar grenzenlosen Panoramen. Er ist die richtige Wahl für ambitionierte Wanderer, die moderate Steige bevorzugen und deren Etappen inklusive Pausen bis zu acht Stunden dauern. Wer eine oder zwei Hüttenübernachtungen als urige Ausnahmen akzeptiert, aber mehrheitlich in komfortablen Unterkünften logiert, wird am Nockberge-Trail Gefallen finden.
Steigen, genießen, entspannen – Das bieten die Nockberge in Kärnten:
Wanderservice:
- Anreise: mit dem Auto von Dresden rund 700 km; mit der Bahn etwa zehn Stunden (viermal umsteigen).
- Trail-Angebote mit Komfort: z. B. „Aussteiger-Paket“ (ab 309 Euro p. P. im DZ/HP) mit zwei zusammenhängenden Etappen, oder das Komplettpaket (acht Etappen, ab 1.278 Euro p. P. im DZ/Frühstück) mit Gepäckservice, Shuttle- u. Rücktransfer, Hotline der Trail Angels, Reiseunterlagen.
- Bewährt hat sich die App Outdooractive. Dort können die einzelnen Etappen heruntergeladen und offline genutzt werden.
- Sehr empfehlenswert sind Wanderstöcke. Für die Hüttenübernachtung werden Schlafsäcke benötigt.
- Die Recherche wurde unterstützt vom Tourismusverband Millstätter See.