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Urlaub auf dem Moselradweg

Geradewegs zum Ziel: Das ist auf dem Moselradweg unmöglich. Und es wäre auch töricht: Hinter jedem Bogen wartet eine Überraschung. Ein Tourenvorschlag.

Von Steffen Klameth
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Zwei Superlative auf einen Blick: Der Bremmer Calmont gilt als steilster Weinberg Europas – und die Moselschleife als engste des gesamten Flusslaufs.
Zwei Superlative auf einen Blick: Der Bremmer Calmont gilt als steilster Weinberg Europas – und die Moselschleife als engste des gesamten Flusslaufs. © Steffen Klameth

Stau. Was sonst. Wer mit dem Auto nach Trier rein oder aus Trier raus oder einfach nur durchfahren will, braucht starke Nerven. Denn regelmäßig wird man irgendwo ausgebremst.

Schuld sind, na klar, die Römer. Als sie vor über 2000 Jahren den Grundstein für ihr Augusta Treverorum legten, hatten sie zuallererst die strategisch gute Lage im Blick. Links und rechts Berge, dazwischen der Fluss, den sie Mosella nannten, die heutige Mosel. Autoverkehr konnte den Stadtplanern ziemlich schnuppe sein.

Nun, auch uns lässt der Stau heute kalt. In gemütlichem Tempo überholen wir Auto um Auto – auf dem Radweg. Der soll uns bis nach Koblenz führen, dort, wo die Mosel in den Rhein mündet. Knapp 200 Kilometer, immer am Fluss entlang und nahezu ohne jede Steigung. Sportliche Radler schaffen das an einem Tag. Wir teilen die Tour in vier Etappen. So bleibt genügend Zeit für Entdeckungen – und davon gibt es in dem Tal zwischen Eifel und Hunsrück jede Menge. Einige dürfen sich sogar mit einem Superlativ schmücken.

Tag 1: Das älteste Haus

Die Römer haben in Trier nicht nur viel zu schmale Straßen hinterlassen, sondern auch eine ganze Reihe beeindruckender Bauwerke: das Stadttor Porta Nigra, die Konstantinbasilika, die Kaiserthermen, das Amphitheater. Manche sind wiederaufgebaut, andere nur noch ein Trümmerhaufen. Wir haben kaum die Stadt verlassen, da empfiehlt unser Tourenbuch schon den nächsten Stopp: In dem kleinen Dorf Pfalzel soll das älteste noch bewohnte Steinhaus Deutschlands stehen! Das klingt freilich spektakulärer, als es aussieht. Ein Wohnhaus eben, dessen Fassade den Blick auf Teile der typischen römischen Rundbögen freigibt.

Mehr Eindruck schindet da schon die Villa Rustica in Mehring, die wir eine knappe Stunde später flussabwärts erreichen. Auf einer Anhöhe wurden die Überbleibsel eines Landhauses in den 1980er-Jahren so akribisch rekonstruiert, dass man sich heute ein lebhaftes Bild vom Alltag der Römer machen kann – kostenlos. Zur Ausstattung gehörte einst sogar eine Badeanlage mit Warm- und Kaltbad sowie Latrine.

Am Nachmittag erreichen wir unser erstes Etappenziel: Piesport. Und auch hier hat man Erstaunliches ausgegraben und hübsch hergerichtet: eine römische Kelteranlage aus dem dritten oder vierten Jahrhundert. Das Weinanbaugebiet an der Mosel ist nämlich das älteste in Deutschland. Darauf stoßen wir am Abend mit einem Gläschen „Piesporter Goldtröpfchen“ an.

Trier – Piesport (50 km)

Tag 2: Die größte Sonnenuhr

Links Weinberge, rechts Weinberge, dazwischen der Radweg. Große Lettern verkünden weithin die Namen der Lagen: Bernkasteler Doctor, Graacher Himmelreich, Kröver Nacktarsch. Um viele dieser Namen ranken sich lustige Legenden, bei manchen ist die Erklärung auch offensichtlich. So wie bei der Zeltinger Sonnenuhr: Man kann sie einfach nicht übersehen, die wohl größte und am besten erhaltene Sonnenuhr in deutschen Weinbergen. Seltsam nur, dass sie etwa anderthalb Stunden nachgeht. Dem Schatten zufolge müsste es halb zwölf sein, die Armbanduhr zeigt aber schon kurz vor eins an. Ach ja, die Sommerzeit! Aber was ist mit der halben Stunde? Eine Infotafel liefert die Erklärung: Die Sonnenuhr zeige die „wahre Ortszeit“, lesen wir. Demnach ist es zwölf Uhr mittags, wenn die Sonne ihren höchsten Punkt erreicht. Dem Winzer von anno dazumal genügte diese Auskunft vollkommen.

Ürziger Würzgarten, Erdener Treppchen, Wolfer Goldgrube: Der Appetit auf ein kühles Gläschen Moselwein wächst von Kilometer zu Kilometer. Endlich kommt unser Tagesziel in Sicht. Traben-Trarbach ist so ganz anders als die meisten anderen Moselorte. Eindrucksvolle Villen im Jugendstil künden von einer Zeit, als es den Leuten hier richtig gut ging. Um 1900 lechzte die Welt nach Riesling von der Mosel, und Traben-Trarbach machte Bordeaux Konkurrenz beim Ruf als größter Weinhandelsplatz Europas. Um die großen Mengen lagern zu können, wurden weite Teile der Innenstadt unterkellert. Heute sind Führungen durch die Unterwelt ein beliebtes Touristenprogramm.

Piesport – Traben-Trarbach (40 km)

Tag 3: Der steilste Weinberg

Die Mosel zieht ihre Schleifen, wir tun es ihr gleich. Manchmal, aber nur manchmal, denkt man sich, um wie viel schneller man am Ziel wäre, wenn es eine direkte Verbindung gäbe. Aber bei dieser Tour ist nun mal der Weg das Ziel, da gehören die Schleifen dazu. Die angeblich engste befindet sich in Bremm. Und das ist nicht der einzige Superlativ, den der Ort zu bieten hat. Gleich hinter den letzten Häusern ragt der Calmont empor – der steilste Weinberg Europas. Bei einer Neigung von bis zu 65 Grad – manche sprechen sogar von 68 Grad – ist schon der Aufstieg über den Klettersteig ein Abenteuer. Wie muss es sich erst anfühlen, unter diesen Bedingungen Reben zu pflanzen, zu pflegen und Trauben zu lesen?

Wir begnügen uns mit einem Blick von unten. Der Radweg führt meist zwischen Fluss und Straße entlang. Nach weiteren drei Schleifen stoppen wir in Beilstein. Enge Gassen, romantische Winkel, steile Treppen und über allem die Ruine der Burg Metternich – wir wähnen uns wie im Märchen. Dies alles, nur ein paar Nummern größer, erwartet uns schließlich auch am Tagesziel: Cochem. Wobei Größe bekanntlich immer relativ ist. Offiziell gilt Cochem als kleinste Kreisstadt Deutschlands.

Traben-Trarbach – Cochem (55 km)

Tag 4: Der schönste Blick

Mit Superlativen kann die letzte Etappe nicht mehr aufwarten. Dafür mit jeder Menge Burgen, wobei sich die vielleicht berühmteste – Burg Eltz – leider fast fünf Kilometer abseits vom Moselradweg versteckt. Wie jeden Tag wechseln wir mehrmals die Flussseite, längere Abschnitte führen heute unmittelbar neben der Straße gen Ziel. In Gondorf radelt man so geradewegs durch ein Haus hindurch: Das Schloss von der Leyen stand Anfang der 1970er-Jahre der neuen Bundesstraße 416 im Wege. Damit man es nicht abreißen musste, wurde im Erdgeschoss ein Durchbruch geschaffen. Wohnen möchte man da nicht, putzig sieht es aber allemal aus.

Wo sich Rhein (vorn) und Mosel treffen: das Deutsche Eck in Koblenz.
Wo sich Rhein (vorn) und Mosel treffen: das Deutsche Eck in Koblenz. © Steffen Klameth

Bei Winningen staunen wir noch mal über die steilen Weinberge, dann ist schon das Ziel der Reise erreicht: Koblenz. Am Deutschen Eck mündet die Mosel in den Rhein. Hier herrscht so viel Gedränge, dass wir die Räder auf den letzten Metern schieben müssen. Ein übergroßer Kaiser Wilhelm I. schaut von seinem Pferd herab – eine Kopie, denn das Original wurde 1945 zerstört. In seinem Schatten stehen drei Betonklötze aus der Berliner Mauer. Den schönsten Blick auf diese Szenerie hat man aus einer Gondel der Rheinseilbahn.

Aber Blicke sind Ansichtssache. Nach Ansicht der Unesco stört die Seilbahn historische Blickbeziehungen am Mittelrhein. Deshalb darf sie allerlängstens bis zum Jahr 2026 fahren – oder der Welterbetitel ist futsch. Kommt uns Sachsen irgendwie bekannt vor.

Cochem – Koblenz (50 km)