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Turow: Werden jetzt Sanktionen verhängt?

Polen hält sich nicht an den Abbau-Stopp, Tschechien fordert ein Zwangsgeld - obwohl beide gerade im Geheimen verhandeln. So ist der Stand.

Von Thomas Christmann
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Blick in den Tagebau Turow, wo der Abbau weitergeht - trotz Gerichtsentscheid.
Blick in den Tagebau Turow, wo der Abbau weitergeht - trotz Gerichtsentscheid. © Rafael Sampedro (Archiv)

Unabhängig von Gerichtsentscheidung und Gesprächen wird in Turow weiter Braunkohle gefördert, wirbt Polen um den Erhalt von Kraftwerk und Grube. Fast 10.000 Karten haben Einwohner der Region geschrieben, um auf die Folgen eines plötzlichen Abbau-Stopps aufmerksam zu machen. Sie sollen nun der Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen übergeben werden. "Wir haben keine Zweifel, dass der Transformationsprozess notwendig ist, aber er sollte nicht ungeplant und plötzlich stattfinden, was zu einer sozialen und wirtschaftlichen Katastrophe führt", sagt Polens Europaabgeordnete Anna Zalewska, welche die Aktion unterstützt. "Bei einer so wichtigen Entscheidung sollten alle Argumente sorgfältig abgewogen und die Stimmen der Einwohner der Region nicht ignoriert werden."

Turow ist der größte Arbeitgeber für die Stadt und Gemeinde Bogatynia (Reichenau). An Kraftwerk und Grube hängen fast 3.000 Lieferanten und Subunternehmer, hauptsächlich kleine und mittelständische Unternehmen der Region. Insgesamt erhält die Kommune durch Turow jährlich etwa 48 Millionen Zloty (über 10,6 Millionen Euro) an Steuern und Abgaben. Fallen die Einnahmen weg, muss Bogatynia sparen - Einrichtungen aufgeben, Stellen abbauen. "Wir sprechen über Kulturzentren, Tochtergesellschaften und schließlich das städtische Krankenhaus", sagt der frisch gewählte Bürgermeister Wojciech Dobrołowicz.

Offene Fragen zu Strafgeld

Ein Szenario, das schon jetzt drohen könnte. Weil Polen die einstweilige Anordnung des Gerichtshofs zur sofortigen Stilllegung Turow ignorierte, hat Tschechien basierend darauf die Zahlung eines Strafgeldes von täglich fünf Millionen Euro beantragt. Nachdem die Frist für eine Stellungnahme verstrichen ist, dürfte die Sanktion seit dieser Woche verhängt werden. Doch der Gerichtshof tut sich anscheinend schwer damit. So existiere bisher keine Rechtsprechung, ob er auf Antrag eines Mitgliedstaats überhaupt Sanktionen erheben könne, erklärt sein Sprecher Balasz Lehóczki. "Und sollte der Gerichtshof dazu ermächtigt sein, nach welchen Grundsätzen diese verhängt werden." Deshalb bleibt auch die Frage nach dem Wann offen. Das Gericht sei an keine Frist gebunden, so Balasz Lehóczki.

Mehr Druck hätte dabei die deutsche Seite ausüben können, wenn sie sich einer Klage angeschlossen hätte. Vor allem Zittaus OB Thomas Zenker (Zkm), aber auch Abgeordnete von Grünen und Linken hofften darauf. Doch nachdem schon die Sächsische Landesregierung den Bund nicht dazu auffordern wollte, hat auch der inzwischen von einer Klage abgesehen. Die Gründe in beiden Fällen: Diplomatisch-nachbarschaftliche Erwägungen.

Abkommen als gemeinsames Ziel

Große Hoffnung setzen alle betroffenen Seiten nun auf die derzeit laufenden Gespräche hinter verschlossenen Türen zwischen Polen und Tschechien, die am Donnerstag vor zwei Wochen gestartet sind.

Kritik an der Vorgehensweise kommt von der Frank Bold Society, welche von Tagebau Betroffene der Region Liberec (Reichenau) in Rechtsfragen unterstützt . "Tschechien und Polen halten sich sehr bedeckt, was die Fortschritte angeht, während die Menschen vor Ort zusehen, wie die Bagger immer weiter in Richtung ihrer Häuser vorrücken", berichtet Anwältin Petra Urbanová und fragt sich, warum die Europäische Kommission nicht mit am Verhandlungstisch sitzt. Polnische Vertreter erklären dazu, dass der Streit ohne deren Beteiligung beigelegt werden soll. Allerdings hätte es erst der EU-Institutionen bedurft, um das Land zu Verhandlungen zu zwingen, meint Petra Urbanová.

Für die Entscheidung des Gerichtshofs zur Klage Tschechiens haben die Gespräche hingegen keine Auswirkung. "Solange sie die offizielle Positionen der Länder in dem vorliegenden Verfahren nicht verändern", erklärt Sprecher Balasz Lehóczki.

Doch genau das ist das Ziel beider Länder: Ein Abkommen, wonach Tschechien seine Klage zurückzieht - und kein Gerichtsverfahren. Deshalb ist Polens Premier Mateusz Morawiecki auch davon überzeugt, dass seinem Land keine finanziellen Strafen drohen. "Einerseits haben wir gewichtige Argumente energetischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Natur, andererseits wollen wir die Auseinandersetzung mit Tschechien auf gütliche Art regeln", sagt er dem TV-Sender Wrowlac (Breslau). Die Gespräche verliefen bisher in einer guten Atmosphäre und kämen voran, wenngleich diese müßig und nicht leicht seien. (mit kpl)