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Fahrradfirma VanMoof ist pleite - wie fahren die smarten E-Bikes weiter?

Lars Müller aus Dresden vernetzt auf Facebook Tausende Fans des insolventen Anbieters. Ihr Problem: Einigen Funktionen der Pedelecs droht der digitale Tod.

Von Andreas Rentsch
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Lars Müller aus Dresden-Cossebaude fährt seit 2016 VanMoof. Sein mattschwarzes S1 mit dem typischen  Oberrohr, in dem auch die Beleuchtung steckt, hat knapp 3.500 Euro gekostet.
Lars Müller aus Dresden-Cossebaude fährt seit 2016 VanMoof. Sein mattschwarzes S1 mit dem typischen Oberrohr, in dem auch die Beleuchtung steckt, hat knapp 3.500 Euro gekostet. © SZ/Veit Hengst

Lässt sich das Rad auch ohne App benutzen?

Sollte die These stimmen, dass gutes Design polarisiert, sind VanMoof-Fahrräder extrem gut gelungen. Die einen finden E-Bikes der holländischen Marke potthässlich, die anderen geradlinig und schick. Er selbst sei „geflasht“ gewesen, sagt Lars Müller aus Dresden. „Es war aber auch mein erstes elektrisches Fahrrad.“ Seit 2016 fährt der Softwareentwickler aus Dresden mattschwarzes VanMoof S1 mit Zwei-Gang-Automatikschaltung.

Fast schon genauso lange betreut der heute 54-Jährige als Administrator die Facebook-Gruppe „VanMoofing“. Das Netzwerk mit mehr als 10.000 Mitgliedern verzeichnet seit Anfang vergangener Woche starken Zuwachs. Schuld ist die Insolvenz von drei VanMoof-Firmen in den Niederlanden am 17. Juli. Seitdem führen Treuhänder die Geschäfte – und versuchen, Möglichkeiten eines Neustarts auszuloten. Das Auslandsgeschäft soll nicht betroffen sein.

Trotzdem ist unklar, wann und wie Reparaturen abgewickelt werden oder ob die Server für die markeneigene App abgeschaltet werden. Dieser Schritt hätte ärgerliche Konsequenzen für die VanMoof-Fahrer. Was empfehlen Lars Müller und seine Mitstreiter in dieser Situation? Welche Auskünfte geben regionale Werkstätten, was sagen Branchenbeobachter? Sächsische.de hat sich umgehört.

Wird mein bereits bestelltes E-Bike noch ausgeliefert?

Der Verkauf von VanMoof-Rädern pausiere „vorübergehend, um die Produktion und Auslieferung bestehender Aufträge nachzuholen“, heißt es auf der deutschen Website von VanMoof. Wer etwas über den genauen Zeitpunkt wissen wolle, solle seine Mail-Adresse hinterlassen. In Foren beklagten sich Nutzer aber schon länger über monatelang ausbleibende Lieferungen.

Wer repariert VanMoof-Räder, wie läuft die Abwicklung?

Grundsätzlich gilt: Servicefälle werden über autorisierte Partner abgewickelt. Von denen gibt es in Sachsen zwei: einen in Dresden und einen in Leipzig. Schon einige Tage vor der Insolvenzanmeldung erklärte Wolfgang Schlicht von der Leipziger eBike-Haus.de GmbH, vorerst führten seine Mitarbeiter keine kostenpflichtigen Reparaturen an VanMoof-Rädern aus. Dies habe damit zu tun, dass Ersatzteile bis zur Montage am Rad Eigentum des Herstellers blieben. Kunden müssen Reparaturtermine demnach direkt über die VanMoof-Website buchen.

Mittlerweile sagt Schlicht, sein Plan bestehe darin, „möglichst viele Probleme unserer Kunden unabhängig von VanMoof zu lösen“. Dabei gehe es vorrangig um defekte Akkus und Ärger mit den Gangschaltungen. „Für die Reparatur der sogenannten E-Shifter haben wir inzwischen eine Lösung gefunden“, so Schlicht.

Kann ich Verschleißteile auch in anderen Werkstätten tauschen lassen?

Ja, bei Reifen, Speichen oder einer Kette ist das kein Problem. „Wir reparieren ein VanMoof wie jedes andere Rad“, sagt André Hans von der in Dresden und Chemnitz ansässigen Firma Fahrrad XXL. „Was wir nicht können, ist die Elektronik und spezifische Teile.“

Die Crux liegt darin, dass VanMoof stark auf firmeneigene, einzigartige Komponenten setzt. Selbst der Lenker und der Sattel zählen dazu. Der Fokus auf diese proprietären Teile hat zum Image vom „Apple der Fahrradbranche“ beigetragen, aber auch eine Menge Kritik ausgelöst.

Lässt sich mein VanMoof-E-Bike weiter wie gewohnt benutzen?

Fakt ist: Viele Besitzer sorgen sich um die Bedienbarkeit ihrer smarten Pedelecs. Denn durch die Pleite droht der virtuelle Tod der firmeneigenen App. Zumindest dann, wenn die für deren Betrieb nötigen Server abgeschaltet werden. Über die Software lässt sich das E-Bike schlüssellos ver- und entriegeln, der Batteriestand prüfen, die Motorunterstützung und Licht-Einstellungen anpassen, das Rad orten oder als gestohlen melden. Das alles funktioniert aber nur, wenn die App per verschlüsselter Bluetoothverbindung mit dem Bike gekoppelt ist. Für jedes Login muss die App einen digitalen Schlüssel von den VanMoof-Servern herunterladen.

Was, wenn diese Datenwolke („Cloud“) nicht mehr da ist? Der belgische E-Bike-Produzent Cowboy hat hastig eine Lösung entwickelt: eine Smartphone-App namens Bikey, die den notwendigen Schlüssel „herausziehen“ und lokal abspeichern kann. Leider funktioniert die iOS- und Android-Software des VanMoof-Mitbewerbers bislang nur für die Modelle S3 und X3. „Das S5 und das A5 werden bald folgen. Das S2, X2 und S1 sind auf lange Sicht geplant, werden aber wahrscheinlich nicht unterstützt werden“, schreibt Müllers Admin-Kollege Daniel Cox in einem Beitrag für die Facebook-Gruppe. Einen weiteren „Encryption Key Exporter“ können Interessenten hier benutzen.

Ja, mit verringertem Bedienungskomfort. Am ehesten lasse sich der Status quo mit einem Fernseher ohne Fernbedienung vergleichen, meint Lars Müller. So gilt beim Thema Sicherheit, dass sich ein VanMoof auch ohne App aufschließen und fahren lässt – sobald der Fahrer einen vorher definierten Entsperrcode am Lenker eingibt.

Sollte ich mein VanMoof-Rad möglichst schnell verkaufen?

„Wenn alles funktioniert, rate ich nicht zum Panikverkauf“, sagt Müller, der mit seinem S1 täglich ins Büro in der Dresdner Innenstadt pendelt. Eigentümer müssten aber mit dem Hintergedanken leben, dass ihr Rad beim Defekt des Tretlagersensors oder Elektromotors unbenutzbar werde. Der Verkauf eines reparaturintensiven Exemplars könne dagegen durchaus sinnvoll sein. „Die Frage ist nur, was Sie dem Käufer erzählen wollen – wenn Sie einen finden.“

Denn auch der künftige Eigentümer sei ja auf funktionsfähige App-Server angewiesen. „Der muss ein neues Nutzerkonto anlegen, einen neuen Schlüssel generieren und seine Smartphone-App mit der Cloud verbinden.“ All das funktioniert nur, wenn ein Investor VanMoof übernimmt und auch für den Weiterbetrieb der Rechner-Infrastruktur sorgt.

Ist der Trend zum vernetzten Fahrrad also Humbug?

Zumindest offenbart die Causa Van Moof Schattenseiten der Technologie. Die Abhängigkeit von Daten in einer Cloud sei seiner Einschätzung nach „extrem gefährlich für Kundinnen und Kunden“, sagt Robert Peschke, Geschäftsführer der Fahrradladenkette Little John Bikes. Und Konrad Krause vom Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC) Sachsen ergänzt: „Es ist ja gerade der Witz von Fahrrädern, dass sie einfach zu benutzen sind, ohne viele Voraussetzungen funktionieren und Grundlegendes von Jedermann repariert werden kann.“

Nichtsdestotrotz wächst das Angebot von vernetzten Fahrzeugen, Haushaltsgeräten und Alltagsgegenständen kontinuierlich weiter. Dass derlei Technik plötzlich zu nichts mehr taugt, hat Lars Müller aus Dresden schon erlebt. „Ich hatte mehrere Schrittzähler von Runtastic gekauft“, erzählt er. „Nach der Übernahme der Firma durch Adidas waren die Dinger von einem Tag auf den anderen Elektronikschrott.“

Müller hofft, dass seinem E-Bike dieses Schicksal erspart bleibt. Nicht zuletzt deswegen, weil er in den vergangenen sieben Jahren „beim Fahrradfahren immer ein Lächeln im Gesicht hatte“.