Das wäre mal ein Rohr: Würde man das Leitungsknäuel auseinander knoten und die Stücke aufreihen, käme eine Strecke zustande, die von dieser Leupoldishainer Wiese bis zum Großen Garten in Dresden reicht. Zweiundzwanzig Kilometer. Es ist ein Gedankenspiel, aber die Röhren sind kein Spielzeug. Die Schilder davor warnen nicht umsonst: Radioaktiv!
Tote Pulsadern eines Mega-Betriebs
Gebraucht werden diese Leitungen nicht mehr. Die Sowjetisch-Deutsche Aktiengesellschaft Wismut, deren Hauptbetriebsgelände sich hier in Leupoldishain befand, ist Geschichte, und ihr Erbe, der Sanierer Wismut, hat die Gewinnung von Uran, das zwangsläufig bei der Reinigung des Grubenwassers anfiel, im Sommer 2021 eingestellt. So steht die einstige Herzkammer des Betriebs mit ihren Lagersilos, Pumpen und all den metallenen Adern tot in der Landschaft.
Thomas Albrecht kennt diese Anlage noch aus den Tagen, als sie Puls besaß. Der hochgewachsene Pirnaer ist seit beinahe vierzig Jahren bei der Wismut. 1984 heuerte er als Lehrling beim Betrieb Königstein an, hier, wo schon sein Vater als Obersteiger beschäftigt war. Dessen Vorbild und der Hauch des Geheimnisvollen aus der untertägigen Welt zogen ihn zum Bergbau hin. "Und dann nahm alles seinen Lauf."
Alter Chef nach 46 Wismut-Jahren in Rente
Dieser Lauf hat dazu geführt, dass Thomas Albrecht heute für das Verschwinden seines einstigen Arbeitsplatzes zuständig ist. Als der langjährige Sanierungschef Carsten Wedekind nach 46 Jahren in Wismut-Diensten vorigen November in den Ruhestand ging, hat Albrecht dessen Funktion in Königstein übernommen, und damit eine bereits weitgehend aufgeräumte Baustelle. Tempo und Qualität der Sanierung seien beispielhaft, sagt Albrecht. "Da kann man stolz sein."
Als die alte Wismut die Urangewinnung, Grundlage der sowjetischen Atomindustrie, vor über dreißig Jahren beendete, war es für Albrecht, der damals als Mess-, Steuer- und Regelmechaniker unter Tage arbeitete, kaum vorstellbar, dass die Königsteiner Bergbaulandschaft verschwinden könnte. Hier stand ein Megabetrieb mit 2.000 Beschäftigten, der sich unterirdisch auf sechs Quadratkilometer ausdehnte, durchzogen von über sechzig Kilometern offener Grubenbaue.
Bereits zwei Kilometer Rohrleitung abgebaut
Das Besondere an der Königsteiner Grube: Statt Erz zu fördern, wurde hier ab 1984 das Uran mit Schwefelsäure aus dem Berg gewaschen. Untertage ließ man die Lösung durch Gesteinsblöcke rieseln, groß wie Hochhäuser. War die Säure hindurch gesickert, wurde sie an die Oberfläche gepumpt und der begehrte Inhalt herausgefiltert.
Als junger Mechaniker war Thomas Albrecht hautnah dran an diesem Kreislauf. Heute kann er nur noch unbestimmt ins Grüne deuten, in Richtung der geschleiften Schächte 388 und 390, wo die Lösung aus dem Berg kam und dann im Rohrsystem weiter floss, entweder zur Urangewinnung oder zur Zwischenlagerung in die Pufferbecken. Daher ist an dieser Stelle das Rohrgeflecht besonders dicht. "Hier lief alles zusammen."
Aber schon ist die erste Bresche im Verhau der Leitungen zu sehen. Zum Jahresende hat eine Schrottschere zwei Kilometer Röhrentrasse zerlegt. Nur die Fundamente sind noch übrig. Und ein Haufen daumendicker Schrauben, der mit grüner Farbe besprüht ist. Grün heißt frei gemessen. Die Schrauben dürfen zum Schrotthändler.
Die Rohre aber nicht. Sie sind kontaminiert und wurden auf der betriebseigenen Halde Schüsselgrund entsorgt, in einem besonders abgedichteten Bereich. Dort werden auch die anderen Teile des Urangewinnungs-Komplexes enden. Eine immense Masse. Allein die Anlagen der Beckenwirtschaft, deren Abbau dieses Jahr beginnen soll, sind kaum zu überblicken. Es handelt sich um ein System aus sieben Reservoirs, die zum Ansetzen der Lauge und als Zwischenlager für die Uranlösung dienten.
Schadstoffe sind noch immer mobil
Auf die Halde kommt aber auch ein Teil des monströsen Verwaltungsgebäudes aus DDR-Zeiten. Der Abriss, seit 2020 aufgeschoben, um Ersatzwohnungen für Fledermäuse und Schwalben zu bauen, soll im Spätsommer anlaufen. Man rechnet mit 4.500 Kubikmetern Schutt. Radioaktiv ist der Abfall nicht. Aber man will ihn beim Einbau von Filterrückständen aus der Grubenwasserreinigung nutzen, zur Stabilisierung.
Es ist dieser gepresste Filterkuchen, in dem nun das Uran und andere problematische Stoffe aus der Königsteiner Grube drinstecken. Denn bei allen Erfolgen: Eine Hinterlassenschaft hat die Wismut noch nicht beseitigen können: die Versauerung der Tiefe. Noch immer stecken Reste der Säure im Gestein und halten die Schadstoffe mobil. Damit sie nicht entweichen, darf das Wasser in den alten Grubenbauen nicht über ein gewisses Level steigen. Also wird permanent abgepumpt und gefiltert.
Chemikalienspritze gegen die Versauerung
Weil man aber nicht bis zum "Sankt Nimmerleinstag", wie Carsten Wedekind es gern ausdrückte, die Grube waschen will, hat sich seit September vorigen Jahres ein Bohrtrupp der Wismut bei Langenhennersdorf durch Geschiebelehm, Sandstein und Granit gearbeitet. Mitte Januar hatte die Bohrung 255 Meter Tiefe erreicht, und damit praktisch das Ziel: die alten Grubenbaue von Schacht 398.
Durch die Röhre, etwa 20 Zentimeter im Durchmesser, soll ein Fluidum, geplant sind dreihundert Tonnen pro Jahr, in das Bergwerkssystem injiziert werden, das die Versauerung des Wassers abmildert und somit die Herauslösung des Urans aus dem Gestein unterdrückt. Zum Ende dieses Jahres hin, denkt Thomas Albrecht, wird die Anlage einsatzbereit sein.
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Dann will die Wismut mit der Flutung der Grube weiter machen. Zunächst soll der Wasserspiegel um zehn Meter steigen. Etwa achtzig Messstellen kontrollieren, wie das auf die Umgebung wirkt. Zwei Jahre wird beobachtet, dann würde der nächste Zehn-Meter-Schritt folgen. Und immer so weiter.
Geht alles glatt, könnte der natürliche Wasserstand in etwa zwanzig Jahren erreicht sein, könnten die Pumpen abgestellt werden. Thomas Albrecht hofft, dass es so kommt, auch wenn er selbst, der jetzt 55 ist, diesen Erfolg nicht mehr als Chef am Königstein erleben würde. Er macht sich nichts draus. Er will seinen Teil leisten, sagt er, "und andere werden das weiterführen."