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Die Bahn, die zur Werkstatt will

Dutzende Sensoren liefern in den nächsten Jahren Daten für eine intelligente Straßenbahn, die mitdenkt.

Von Jana Mundus
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Wann muss die Straßenbahn in die Werkstatt? Das sollen die DVB-Bahnen künftig selbst melden.
Wann muss die Straßenbahn in die Werkstatt? Das sollen die DVB-Bahnen künftig selbst melden. © René Meinig

Wenn sich die Straßenbahn verspätet, dann ist das ärgerlich. Manchmal ist ein technischer Defekt schuld daran. Trotz regelmäßiger Reparaturintervalle können winzig kleine Teile Straßenbahnen zum Stillstand bringen, wenn sie nicht mehr richtig funktionieren.

Dresdner Forscher verfolgen nun einen neuen Ansatz. Sie wollen erreichen, dass die Fahrzeuge selbst permanent über ihren Zustand Auskunft geben. Für Kunden sollen sich dadurch Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit von Straßenbahnen weiter erhöhen. Das Forschungsprojekt der TU Dresden bindet gleich zwei sächsische Mobilitätsunternehmen ein: die Dresdner Verkehrsbetriebe (DVB) und die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB). Bei denen rollen dafür ganz spezielle Trams durch die Städte.

Sie ist vollgestopft mit leistungsfähiger Messtechnik. Von außen ist die aber gar nicht zu erkennen. Im Verborgenen hat sie im Blick, was während der Fahrt mit der Bahn passiert. Seit 2009 fährt die Mess-Straßenbahn im ganz normalen Linienverkehr der DVB durch die Stadt. Nebenbei sammelt sie wichtige Informationen. Mechanische Größen, die verraten, wie künftige Bahnen komfortabler und leiser werden. Elektrische Messwerte, die energieeffizientere Fahrweisen oder Fahrzeuge ermöglichen. „Für die Forschung an der TU Dresden waren diese Daten schon bisher sehr wertvoll“, beschreibt es Markus Kästner, Inhaber der Professur für Numerische und Experimentelle Festkörpermechanik am Institut für Festkörpermechanik. Nun soll die Bahn aber Basis für etwas Neues werden.

Der Zwilling weiß Rat

Für die LVB statten die Wissenschaftler gemeinsam mit Partnern im Rahmen des Projekts „LRVTwin“ nun eine weitere Bahn mit hochmodernen Sensoren aus. Sie sind Keimzellen für neues Wissen darüber, wie sich Prozesse rund um die Straßenbahn effektiver gestalten lassen. Normale Bahnen verfügen bereits über rund 50 Sensoren, im Projekt kommen in den Mess-Bahnen noch einmal über 60 hinzu. Doch das ist kostenintensiv. „Wir können, damit wir den Zustand der Fahrzeuge im Blick haben, in Zukunft deshalb nicht einfach alle mit Sensoren versehen“, erklärt es Kästner. Die Idee der Wissenschaftler: Aus den Daten der beiden Bahnen und mithilfe maschinellen Lernens entstehen Modelle, die auf andere Straßenbahnen übertragen werden können. Es ist einer dieser digitalen Zwillinge, auf die Wissenschaft und Wirtschaft heute ihre Hoffnungen setzen.

Auf Grundlage der Daten lassen sich komplexe Zusammenhänge zwischen Fahrzeugzustand und Signalen der Sensorik sowie des Fahrzeugsystems herstellen, die standardmäßig in jeder Bahn verfügbar sind. All das ermöglicht Rückschlüsse für die effiziente Überwachung Bahnen sowie über den Zustand der Infrastruktur. Gibt es einen Defekt am Gleis? Funktioniert eine Signalanlage nicht? Durch die Kopplung der Informationen zum Fahrzeugeinsatz und der daraus resultierenden Entwicklung möglicher Schäden an der Bahn lassen sich Wartungszeitpunkte optimal gestalten. „Momentan gibt es dafür einen regelmäßigen Turnus“, erläutert Kästner. Dann landen Bahnen in der Werkstatt, wenn noch gar kein Schaden besteht. „Sinnvoller und kostengünstiger wäre eine zustandsabhängige Wartung, die sich auf den wirklichen Verschleiß bezieht.“ In Zukunft soll genau das möglich sein.

Mit zwei Rädern fing alles an. Ein spezielles Mess-Fahrrad nutzten die Forscher in einem früheren Projekt. Die dadurch programmierten Algorithmen helfen bald auch den Straßenbahnen.
Mit zwei Rädern fing alles an. Ein spezielles Mess-Fahrrad nutzten die Forscher in einem früheren Projekt. Die dadurch programmierten Algorithmen helfen bald auch den Straßenbahnen. © TU Dresden

Um zu testen, ob die Idee in der Realität funktioniert, kommt in Dresden und Leipzig eine kleine digitale Flotte zum Einsatz. Das sind je zehn Straßenbahnen, die auf die Daten ihres digitalen Zwillings zurückgreifen. Der Ursprung dieses Ansatzes hatte lediglich zwei Räder, erklärt der Professor. Mit einem speziellen Mess-Fahrrad gab es vor einiger Zeit bereits ein Forschungsprojekt. Auch das sammelte Daten, schlaue Algorithmen werteten diese aus. Eine kleine Fahrrad-Flotte nutze das neue Wissen, um Informationen zum Zustand an die Nutzer zu vermitteln. „Wir konnten damals schon im Kleinen ausprobieren, was nun hoffentlich auch im Großen funktioniert.“

Fahrrad meldet sich

Zur Langen Nacht der Wissenschaft am 8. Juli können Besucher selbst eine Runde mit der digitalen Rad-Flotte drehen und dabei gleich neue Daten liefern. Seitens der ­TU Dresden sind die Institute für Festkörpermechanik sowie für Leichtbau und Kunststofftechnik an dem Vorhaben beteiligt. Dabei ist auch das Fraunhofer-Institut für Keramische Technologien und Systeme IKTS mit seinen Standorten in Dresden und Cottbus. Hinzu kommen mehrere Industriepartner. Vom Bundesverkehrsministerium erhält das Projekt insgesamt 2,2 Millionen Euro. Ein Teil der Ergebnisse in Bezug auf die künstliche Intelligenz können laut Kästner vom Rad-Projekt übernommen werden. „Wir müssen die KI-Algorithmen aber natürlich weiterentwickeln.“

Dieses Vorgehen zeigt auch: Theoretisch ließen sich solche Szenarien in Zukunft nicht nur auf die Straßenbahn übertragen. „Interessant ist das Ganze zum Beispiel auch für die Agrartechnik“, nennt der Forscher ein weiteres Beispiel. Auch dort ist der Ausfall von Technik problematisch, wenn beispielsweise gerade Erntezeit ist oder Felder bestellt werden müssen. Theoretisch wäre es auch möglich, die Ergebnisse aus dem Projekt zum Mess-Fahrrad weiter zu nutzen, um den digitalen Check den Bürgern direkt zur Verfügung zu stellen. Dann würde sich das Fahrrad melden, wenn der Reifendruck nicht mehr stimmt, die Kette dringend gewechselt werden müsste oder das Licht wohl bald den Geist aufgeben könnte. Technisch wäre so etwas machbar, aber dafür brauche es natürlich den Willen und auch das Geld der Fahrradindustrie, sagt Kästner. Zunächst wollen die Forscher nun aber erst einmal das Straßenbahnfahren effektiver machen.