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Sensationsfund in Thüringen: Leipziger Forscher entdecken unsere ältesten Vorfahren

Der Homo sapiens kam tausende Jahre früher nach Mitteleuropa als bisher bekannt war. In einer Höhle in Thüringen wurden die uralten Fossilien entdeckt.

Von Stephan Schön
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Nach chemischer Aufbereitung und Reinigung werden sehr kleine Proben von Tierzähnen in das Magazin eines Massenspektrometers geladen, Das gibt Aufschluss über das vergangene Klima, in dem die frühen Menschen und die Tiere damals lebten.
Nach chemischer Aufbereitung und Reinigung werden sehr kleine Proben von Tierzähnen in das Magazin eines Massenspektrometers geladen, Das gibt Aufschluss über das vergangene Klima, in dem die frühen Menschen und die Tiere damals lebten. © Max Planck Institute for Evolutionary Anthropology, License: CC-BY-ND

Leipzig. Mitteleuropa wurde von den Neumenschen deutlich früher besiedelt als bislang angenommen. Das haben Wissenschaftler des Leipziger Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie (Eva) jetzt herausgefunden. Bereits vor 45.000 Jahren lebten unsere unmittelbaren Vorfahren, die Homo sapiens, hier. Sie teilten sich damit das Terrain und die Ressourcen mit den Neandertalern über einen erheblich längeren Zeitraum. Erst vor 30.000 Jahren verschwanden die letzten Neandertaler in Südwesteuropa.

Der Beweis für die bisher ältesten Homo sapiens kommt aus einer Höhle in Thüringen. In der Ilsenhöhle unter der Burg Ranis nahe Saalfeld fand ein internationales Forscherteam die Fossilien.

Unzählige speziell bearbeitete Steinwerkzeuge wurden dort zudem gefunden. Es handelt sich um beidseitig bearbeitete Klingen. Genau dies war zuvor den Neandertalern zugeschrieben worden. Damit muss auch die Deutung solcher Funde an anderen Orten neu bewertet werden. Die Geschichte der Besiedlung Europas und die unserer Vorfahren muss damit in Teilen neu geschrieben werden.

Die Ilsenhöhle unter der Burg Ranis nahe Saalfeld.
Die Ilsenhöhle unter der Burg Ranis nahe Saalfeld. © Tim Schüler TLDA, License: CC-B

Unter der Leitung von Jean-Jacques Hublin, Shannon McPherron und Marcel Weiss vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie sowie von Tim Schüler vom Thüringischen Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie in Weimar führte ein internationales Forschungsteam von 2016 bis 2022 Ausgrabungsarbeiten direkt vor der Ilsenhöhle in Ranis durch. Es sollten die Abfolge der Schichten mit den Funden ermittelt und die zeitliche Bestimmung der Fundschichten bestimmt werden.Die wissenschaftlichen Ergebnisse wurden am Mittwochnachmittag in Nature und in Nature Ecology & Evolution veröffentlicht.

Die Wissenschaftler konstruieren aber auch den Lebensraum der frühen Neumenschen und die damaligen klimatischen Bedingungen im nördlichen Mitteleuropa. Sie beschreiben zudem, wovon sich diese ersten Homo sapiens ernährten.

Die Ausgrabung in der Ilsenhöhle.
Die Ausgrabung in der Ilsenhöhle. © Marcel Weiss, License: CC-BY-ND

Hyänen, Bären und Menschen wohnten in der Höhle

Tausende kleinteilige Knochenbruchstücke wurden an der Fundstelle geborgen. „Die archäozoologischen Untersuchungen zeigen, dass die Höhle in Ranis abwechselnd von Hyänen, überwinternden Höhlenbären und kleinen Menschengruppen genutzt wurde“, erklärt Archäozoologe Geoff Smith von der University of Kent in Großbritannien. „Obwohl diese Menschen die Höhle nur über kurze Zeiträume nutzten, verzehrten sie Fleisch einer Reihe von Tieren, darunter Rentiere, Wollnashörner und Pferde“, sagt Smith. „Obwohl die Knochen in kleine Stücke zerbrochen waren, sind sie außergewöhnlich gut erhalten und erlauben die Anwendung der neuesten Methoden aus den archäologischen Wissenschaften, der Proteomik und der Genetik“, erklärt Smith.

Analysen stabiler Isotope von Tierzähnen und -knochen ermöglichen Einblicke in die Klima- und Umweltbedingungen, die diese frühen europäischen Homo sapiens im Raum Ranis vorfanden. Indem es Informationen aus einem breiten Spektrum verschiedener stabiler Isotopenverhältnisse miteinander kombinierte, konnten die Forscher zeigen, dass damals ein sehr kaltes Kontinentalklima vorherrschte. Offene Steppenlandschaften, ähnlich denen im heutigen Sibirien oder Nordskandinavien mussten das gewesen sein.

Die Analyse der Tierknochen aus Ranis zeigte, dass Homo sapiens Hirsche, aber auch Raubtiere, wie Wölfe, zerlegte.
Die Analyse der Tierknochen aus Ranis zeigte, dass Homo sapiens Hirsche, aber auch Raubtiere, wie Wölfe, zerlegte. © Geoff M. Smith, License: CC-BY-ND 4.0

Während dieser ersten Besiedlung dürften sich die klimatischen Bedingungen sogar noch weiter verschärft haben und es wurde noch kühler. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass selbst diese frühen Homo sapiens-Gruppen, als sie sich über Eurasien ausbreiteten, schon in der Lage waren, sich an solch raue klimatische Bedingungen anzupassen“, sagt Sarah Pederzani von der Universidad de La Laguna und dem Max-Planck-Institut, die die Paläoklima-Studie an der Fundstätte leitete. „Bisher ging man davon aus, dass die Widerstandsfähigkeit des Menschen gegen kalte Klimabedingungen erst mehrere tausend Jahre später entstand." Vielleicht waren kalte Steppen mit größeren Herden von Beutetieren für diese Menschen attraktiver als bisher vermutet.

Diese frühen Siedler bewegten sich in kleinen Gruppen durch die Landschaft, die sie mit großen Fleischfressern wie Hyänen teilten. - Und sie stellten wunderschöne blattförmige Steinwerkzeuge her. „Die Resultate der Forschungen an der Ilsenhöhle in Ranis führen nun zu einem fundamentalen Umdenken zur Besiedlungsgeschichte am Beginn der Epoche des modernen Menschen und zu deren Zeitabläufen", sagt Tim Schüler vom Thüringischen Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie in Weimar. „Es ist besonders erfreulich, dass wir die ältesten bekannten Homo sapiens-Funde hier in Thüringen haben.“