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Was verspricht die neuartige Krebstherapie mit mRNA-Impfstoff von Biontech?

Die Fälle schienen hoffnungslos – doch eine neue Krebstherapie konnte das Tumorwachstum bei einigen Patienten eindämmen. Wie groß ist das Potenzial der mRNA-Impfung gegen Krebs?

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Biontech teilt erste Erfolge bei der klinischen Erprobung einer Krebstherapie mit. Bei der Therapie wird unter anderem die mRNA-Technologie eingesetzt.
Biontech teilt erste Erfolge bei der klinischen Erprobung einer Krebstherapie mit. Bei der Therapie wird unter anderem die mRNA-Technologie eingesetzt. © dpa

Von Birgit Herden

Einige Formen von Krebs können heute gut therapiert werden, bei anderen sind die Ärzte machtlos. Das deutsche Unternehmen Biontech hat nun Daten einer Studie vorgestellt, bei der Ärzte ein weit fortgeschrittenes Krebswachstum zumindest vorläufig eindämmen konnten. Die Arbeit demonstriert eine neue Art, Krebszellen zu bekämpfen: Sie kombiniert gentechnisch veränderte körpereigene Immunzellen mit einer Stimulation mittels mRNA-Technologie, wie sie auch bei den Coronaimpfstoffen zum Einsatz kam.

Eine mRNA-Krebsimpfung könnte somit in der Zukunft eine bedeutsame Rolle bei der Behandlung der Krankheit spielen. Wichtig ist es, dabei zu verstehen: Es handelt sich nicht um eine Impfung nach landläufigem Verständnis, vielmehr geht es um die Immuntherapie erkrankter Menschen.

Experiment in auswegloser Situation

Die neuen Ergebnisse wurden am Montag auf einem onkologischen Fachkongress in Madrid vorgestellt. Am selben Tag erschien eine Veröffentlichung in „Nature Medicine“ über den ersten Teil der Studie. In sechs deutschen und einer niederländischen Klinik wurden 44 Patient:innen behandelt, die an Hodenkrebs, Eierstockkrebs oder anderen Tumoren im fortgeschrittenen Stadium litten. Bei allen waren die Therapieoptionen erschöpft, der Tumor inoperabel.

In dieser Situation bekamen die Patienten zum einen eine Infusion mit Car-T-Zellen. Darunter versteht man körpereigene Immunzellen, die den Patient:innen zunächst entnommen und dann gentechnisch so verändert werden, dass sie den Tumor gezielt angreifen. Zusätzlich erhielt ein Teil der Patient:Innen den von Biontech entwickelten mRNA-Impfstoff CARVac.

Die Car-T-Zelltherapie hat bereits vor einigen Jahren die Behandlung von Leukämien und Lymphomen revolutioniert. Sie wirkt allerdings bislang nur gegen Krebszellen, die im Blutstrom schwimmen und daher leicht erreichbar sind. Bei soliden Tumoren scheitert das Konzept, weil sich hier die Tumorzellen tarnen oder durch Barrieren schützen.

Bei dem nun vorgestellten Ansatz wurden daher Car-T-Zellen mit mRNA-Impfstoff kombiniert. Die mRNA sorgt dafür, dass der Körper das Molekül Claudin-6 produziert, das auf der Oberfläche vieler Tumorzellen vorkommt. Der Angriff der Car-T-Zellen gegen Tumorzellen mit Claudin-6 wird damit verstärkt.

Die Mehrheit der Patienten profitierte

In der Folge bildete sich bei fast der Hälfte (45 Prozent) der Patient:innen der Tumor zurück, bei drei von Vieren (74 Prozent) wuchs er zumindest nicht weiter. Die mRNA-Impfung verstärkte die Verweildauer der Car-T-Zellen im Körper. „Die Mehrheit der Patienten hat von der Therapie profitiert, einige von ihnen konnten in ihren Beruf zurückkehren“, sagte Andreas Mackensen, leitender Prüfarzt der Studie und Direktor der Klinik für Hämatologie und Internistische Onkologie am Universitätsklinikum Erlangen dem Tagesspiegel.

Er betont: „Das ist noch kein Durchbruch, aber ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.“ Die Beobachtungszeit von maximal einem Jahr sei noch zu kurz, um von Heilung zu sprechen. „Wir müssen abwarten, ob der Krebs wiederkommt“, sagt Mackensen.

„Das Ergebnis ist schon ziemlich spektakulär für eine zelluläre Therapie bei soliden Tumoren, wenn man bedenkt, wie weit fortgeschritten der Krebs war“, kommentiert Niels Halama vom Deutschen Krebsforschungszentrum die Studie, der daran nicht beteiligt war. Dabei hätten die mRNA-Impfstoffe bei der Krebstherapie noch längst nicht ihr volles Potenzial gezeigt. „Das ist ein erster Schritt, der aber zeigt, wie spannend das Konzept aus zellulärer Therapie und Impfung ist.“

„Unser Ziel ist es, das Potenzial von CAR-T-Therapien für solide Tumore zu erschließen und dazu beizutragen, das Behandlungsergebnis für eine Reihe von Tumoren zu verbessern, für die die Möglichkeiten gegenwärtig noch sehr begrenzt sind“, so wird Özlem Türeci, Mitbegründerin von Biontech, in einer Pressemitteilung des Unternehmens zitiert.

Noch sind Andreas Mackensen und seine Kollegen aber damit beschäftigt, die optimale Dosierung der Car-T-Zellen zu ermitteln. Wichtig für den Erfolg war, dass die Zellen nicht mehr manuell, sondern automatisch hergestellt wurden. Das ist nicht nur entscheidend für einen künftigen breiten Einsatz. Die Zellen erwiesen sich aus bisher nicht verstandenen Gründen auch als wirksamer.

Fieber, Übelkeit, Atemnot

Allerdings nahmen damit auch die Nebenwirkungen zu. Bei 24 von 44 Patienten kam es zum sogenannten „Cytokine Release Syndrom“, eine bekannte Komplikation der CAR-T-Therapie. Weil das Immunsystem überreagiert, kann es zu Fieber, Übelkeit und anderen Symptomen kommen. Ein Patient litt dabei unter akuter Atemnot, verbrachte eine Zeit auf der Intensivstation, erholte sich aber wieder. „Die Therapie wurde insgesamt gut vertragen, die Nebenwirkung lagen im Rahmen des Erwartbaren“, urteilt Niels Halama.

Wie wirksam die neue Therapie ist, wird man erst wissen, wenn mehr Patient:innen in einer Phase-2-Studie behandelt wurden. Falls die vorliegenden Ergebnisse halten, was sie versprechen, könnten zuallererst Männer mit Hodenkrebs davon profitieren. Für das kommende Jahr ist laut Mackensen eine Phase-2-Studie mit solchen Patienten geplant. Falls die Daten dann wiederum sehr überzeugend sind, könnte die Behandlung auch ohne eine noch umfangreichere Phase-3-Studie zugelassen werden.