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Gefahr im Verzug im Zittauer Gebirge: Der Wald muss weg

Borkenkäfer haben im Zittauer Gebirge katastrophale Schäden angerichtet. In Lückendorf hilft nur noch eine radikale Maßnahme. Diese Woche hat sie begonnen.

Von Jana Ulbrich
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Am steilen Hang des Mühlsteinbergs hoch über der Lückendorfer Straße sind Kraft und Präzision gefragt. Die Bäume hier sind alle vom Borkenkäfer befallen - und müssen raus.
Am steilen Hang des Mühlsteinbergs hoch über der Lückendorfer Straße sind Kraft und Präzision gefragt. Die Bäume hier sind alle vom Borkenkäfer befallen - und müssen raus. © Rafael Sampedro/foto-sampedro.de

Evan Kura setzt die Motorsäge an. Die riesige Fichte stürzt zu Boden. Es kracht gewaltig. Kura, 18 Jahre alt, schiebt das Visier vom Schutzhelm nach oben. Seine Anspannung löst sich: Der Baum ist genau so gefallen, wie er fallen sollte. Ein schwieriges Kunststück hier an diesem steilen Abhang. Jens Herrmann, Kuras Lehrausbilder bei der WaldWirtschaft Waurig aus Hohendubrau, hebt den Daumen. Gut gemacht!

Das Bäumefällen hier am Mühlsteinberg hoch über der kurvigen Straße, die von Eichgraben aus in den Kurort Lückendorf führt, das ist beileibe kein Kinderspiel. Das ist Schwerstarbeit. "Und das kann auch ganz schnell kreuzgefährlich werden", weiß Evan Kura. Wenn er am steilen Hang keinen sicheren Stand findet zum Beispiel. Oder wenn der Baum auf einen der vielen Felssteine kracht, die hier überall liegen, und dann unkontrolliert wegspringt.

"Wir müssen uns ganz genau anschauen, in welcher Reihenfolge und in welcher Richtung wir die Bäume fällen, damit wir sie dann auch sicher abtransportieren können und sie nicht runter auf die Straße krachen", erklärt der angehende Forstwirt. "Manche dieser Felsen liegen auch noch locker. Das ist das nächste Problem." Erst vorhin ist bei den Arbeiten so ein loser Stein auf die Straße gerollt.

Und genau wegen dieser Gefahr ist die Straße nach Lückendorf zwischen Abzweig Hartau und Forsthaus seit dieser Woche voll gesperrt. "Anders geht das gar nicht", sagt Jens Herrmann vom Waldwirtschafts-Unternehmen. Genau in diesem Moment strampeln unten auf der Straße zwei Mountainbiker vorbei, die die Absperrung und das zwei Meter große Warnschild des Zittauer Forstbetriebs einfach ignoriert haben. "Ihr seid wohl lebensmüde", brüllt einer der Kollegen fassungslos nach unten.

Absprache über das weitere Vorgehen am Mühlsteinberg: Die Baumfällarbeiten im unwegsamen Gelände an der Straße nach Lückendorf sind schwierig, umfangreich und gefährlich. Die Straße muss deshalb voll gesperrt bleiben - voraussichtlich bis zum 11. September.
Absprache über das weitere Vorgehen am Mühlsteinberg: Die Baumfällarbeiten im unwegsamen Gelände an der Straße nach Lückendorf sind schwierig, umfangreich und gefährlich. Die Straße muss deshalb voll gesperrt bleiben - voraussichtlich bis zum 11. September. © Rafael Sampedro/foto-sampedro.de
Im flacheren Bereich - wie hier am Straßberg ein paar hundert Meter weiter bergan - kommen tonnenschwere Harvester zum Einsatz. Die Waldwege werden anschließend wieder instandgesetzt, verspricht Revierförsterin Denis Goldhahn.
Im flacheren Bereich - wie hier am Straßberg ein paar hundert Meter weiter bergan - kommen tonnenschwere Harvester zum Einsatz. Die Waldwege werden anschließend wieder instandgesetzt, verspricht Revierförsterin Denis Goldhahn. © Rafael Sampedro/foto-sampedro.de
Mit Rückezügen wird das geschlagene Holz aufgestapelt und anschließend gleich von den Lagerplätzen in das Sägewerk nach Kodersdorf gebracht.
Mit Rückezügen wird das geschlagene Holz aufgestapelt und anschließend gleich von den Lagerplätzen in das Sägewerk nach Kodersdorf gebracht. © Rafael Sampedro/foto-sampedro.de

Denis Goldhahn ist gekommen. Die zuständige Revierförsterin vom Zittauer Forstbetrieb will mit den Männern der WaldWirtschaft die nächsten Schritte besprechen. Die Forstarbeiter, die seit Montag im Einsatz sind, werden lange zu tun haben hier oben an der Lückendorfer Straße, vier Wochen, voraussichtlich bis zum 22. September. Alle großen Bäume, die hier links und rechts der Straße stehen, müssen weg. Alle!

"Auch das geht nicht anders", sagt Denis Goldhahn, und es hört sich sehr nach Verzweiflung an: "Die Fichten hier sehen ja grün und gesund aus", sagt sie. "Und die Leute wundern sich." Dann bückt sich die Försterin zu einem der gefällten Stämme hinunter und zieht ein kleines Stück Rinde ab. "Das Problem aber sitzt hier", weiß sie. Die Rinde lässt sich leicht lösen. Darunter unzählige Gänge, von Borkenkäfern ins frische Holz gezogen.

Die Försterin seufzt: "Wir kommen nicht mehr hinterher, es ist eine Katastrophe". Sehr bald würden auch diese noch grünen Fichten hier oben abgestorben und braun sein. Es gibt keine Rettung für die Bäume. Im Frühjahr hat Denis Goldhahn in der Haarnadelkurve ein riesiges neues Käfernest entdeckt. Das breitet sich jetzt rasant in alle Richtungen aus.

Ein anderes Nest ganz in der Nähe, das sie regelmäßig beobachtet, sei in drei Tagen 200 Meter im Radius gewachsen, erzählt sie und schüttelt den Kopf: "Ich konnte mir bis dahin nicht vorstellen, dass es das gibt." Der Buchdrucker, der naturgemäß zum Wald gehört, hat im Zittauer Gebirge die Oberherrschaft im Fichtenbestand übernommen. "Es ist ein Wahnsinn", sagt Denis Goldhahn.

In diesem Frühjahr also, als sie das neue Käfernest in der Haarnadelkurve entdeckte, haben sie beim Zittauer Forstbetrieb entschieden, jetzt so schnell wie möglich zu handeln. Ein radikaler Holzeinschlag kann den Wald vielleicht noch retten. Radikal heißt aber auch: Neben den befallenen Fichten müssen auch alle Birken und Buchen am Straßenrand weg.

"Sie sind ja Teil dieses Waldsystems", erklärt die Revierförsterin. "Sie stehen im Verband mit anderen Bäumen, ihre Wurzeln und Kronen sind oft einseitig ausgebildet. Wenn der Verband rundherum weg ist, sind sie auch nicht mehr vom Wind geschützt." Die Buchen würden ohnehin schon große Trockenschäden aufweisen.

Die Försterin zeigt auf den Rest eines Baumstamms, ungefähr vier Meter hoch. "Eine Weißtanne", sagt sie, "beim Gewitter letzten Sonntag einfach abgebrochen". Daneben liegt die Krone einer Fichte am Straßenrand. Auch die im Gewitter vom Wind gefällt. "Wir sind verantwortlich für die Verkehrssicherheit", erklärt Denis Goldhahn. "Wir können hier keine einzelnen Bäume stehen lassen, die beim Sturm auf die Straße stürzen könnten. Das wäre unverantwortlich."

Und so arbeiten sich jetzt die Männer vom beauftragten Forstunternehmen beiderseits der Lückendorfer Straße entlang. Zehn Kollegen sind im Einsatz. Sie arbeiten in mehreren Trupps: im steilen und schwer zugänglichen Gelände mit der Motorsäge, in flacheren Bereichen wie am Straßberg mit zwei tonnenschweren Harvestern.

Zwei Rückezüge bringen das Holz zu großen Sammellagern am Straßenrand. Von dort wird es verladen und zum Sägewerk nach Kodersdorf gebracht. Danach, versichert Denis Goldhahn, werden die Wege, die von den Harvestern zerfahren werden, wieder instand gesetzt.

In vier Wochen sollen die Arbeiten beendet sein. "Dann wird es hier anders aussehen", weiß die Revierförsterin. Aber kahl wird es links und rechts der Lückendorfer Straße trotzdem nicht: "Der Wald erneuert sich hier schon von selbst", sagt Denis Goldhahn und zeigt auf die vielen kleinen Rotbuchen, Bergahorn, Fichten, Kiefern und Lärchen, die hier überall schon aus dem Boden sprießen. "Und etwas Positives hat die Sache ja auch noch", fügt die Försterin im Mut der Verzweiflung hinzu: "Wir bekommen jetzt viele ganz neue und schöne Ausblicke."