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"Fachlich gesehen ist dieser Preis völlig überzogen"

Experte Dr. Christoph Mackert spricht im SZ-Interview über den Wert der zum Verkauf stehenden Marienthaler Kunstschätze und darüber, dass dem Kloster neue Kosten drohen könnten.

Von Jan Lange
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Schwester Juliana Lindner (Mitte) vom Kloster St. Marienthal hat den Transport der Handschriften 2016 nach Leipzig begleitet. Hier kam sie auch mit Dr. Christoph Mackert vom Handschriftenzentrum (2. von links) zusammen.
Schwester Juliana Lindner (Mitte) vom Kloster St. Marienthal hat den Transport der Handschriften 2016 nach Leipzig begleitet. Hier kam sie auch mit Dr. Christoph Mackert vom Handschriftenzentrum (2. von links) zusammen. © UB Leipzig, Katrin Sturm

Jahrhunderte lang schlummerte der Marienthaler Psalter und andere mittelalterliche Handschriften in der Klosterbibliothek St. Marienthal. Wissenschaftler aus Leipzig erforschten und digitalisierten den Handschriftenbestand vor einigen Jahren. Mit dabei war Dr. Christoph Mackert, Leiter des Handschriftenzentrums der Universitätsbibliothek Leipzig. Er kennt das Kloster an der Neiße und seine Bibliothek seit über 15 Jahren.

Die damalige Priorin Schwester Hildegard, die auch für die Bibliothek zuständig war, hatte die Initiative ergriffen, die wertvollen Bestände wissenschaftlich aufarbeiten zu lassen. Projekte dieser Art werden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert. Laut Mackert brauchte es einige Zeit, um ein Projektformat zu entwickeln, in dem der Marienthaler Bestand erforscht werden konnte. Denn die DFG fördert eigentlich nur öffentlich-rechtliche Einrichtungen.

2013 gab es die freudige Nachricht, dass die Marienthaler Sammlung in ein von der DFG gefördertes Projekt aufgenommen werden kann. In der Folge wurden die Handschriften 2016 nach Leipzig gebracht, wo sie etwa eineinhalb Jahre erforscht und digitalisiert wurden.

Die Marienthaler Äbtissin Elisabeth Vaterodt will den Marienthaler Psalter und weitere Handschriften nun verkaufen - wofür sie von vielen Seiten kritisiert wird. Die SZ sprach mit Dr. Christoph Mackert über den Verkauf und die im Raum kursierenden Preise.

Herr Dr. Mackert, der Freistaat Sachsen hat für die wertvollen Handschriften laut Aussage der Äbtissin 1,2 Millionen Euro geboten. Diese Summe soll auf einer Schätzung beruhen, die das Kloster selbst in Auftrag gegeben haben soll. Wissen Sie, wie es zu der Summe von 1,2 Millionen Euro gekommen ist?

Im letzten Jahr hat das Kloster eines der namhaftesten internationalen Kunstauktionshäuser mit einer Schätzung der Bestände an Handschriften und frühen Drucken sowie zu einigen Kunstwerken beauftragt. Das von der Äbtissin genannte erste Angebot des Freistaates bezog sich auf diese Einschätzung.

Auf dem Kunstmarkt werden nun angeblich 4 Millionen Euro verlangt. Halten Sie diesen geforderten Preis für gerechtfertigt?

Das Angebot des Schweizer Luxus-Antiquars Jörn Günther in Höhe von 4 Millionen Euro bezieht sich auf den Marienthaler Psalter, eine reich ausgemalte Handschrift des frühen 13. Jahrhunderts. Fachlich gesehen ist dieser Preis völlig überzogen, doch ist die Preisdynamik auf dem internationalen Kunstmarkt, auf dem sich Günther bewegt, von fachlichen Erwägungen entkoppelt und letztlich irrational.

Wie viel sind die Kunstschätze aus der Marienthaler Klosterbibliothek aus Ihrer Sicht tatsächlich wert?

An den Preisspekulationen möchten wir uns nicht beteiligen. Bei den angebotenen Handschriften handelt es sich durchweg um Unikate, weshalb Schätzungen extremen Schwankungen unterliegen können. Klar ist aber gleichzeitig, dass der Freistaat zusammen mit großen Förderpartnern ein attraktives Lösungsangebot vorlegen kann. Nun muss sich das Kloster positionieren: zum Angebot des Freistaats, aber auch zur eigenen Verantwortung für das kulturelle Erbe Deutschlands und des eigenen Ordens.

Zwei Seiten des Marienthaler Psalters mit erlesenen Buchmalereien.
Zwei Seiten des Marienthaler Psalters mit erlesenen Buchmalereien. © Montage: SZ-Bildstelle / Fotos: Kloster St. Marienthal

Was macht die Handschriften so besonders, dass sie 4 Millionen wert sein sollen?

Die zum Kauf angebotenen Objekte sind zentrale Bestandteile einer geschlossenen, seit dem Spätmittelalter gewachsenen Sammlung klösterlicher Bildungskultur und herausragender Geschichtsquellen und gewinnen ihre einmalige kultur- und landeshistorische Bedeutung auch aus dem größeren Zusammenhang, in dem sie in Marienthal stehen.

Die historische Klosterbibliothek von St. Marienthal ist ein Sammelbecken, in das Bestände aus vielen geistlichen Einrichtungen der Region eingegangen sind, um dort sicher die nächsten Jahrhunderte zu überdauern. Umso wichtiger, dass dieses einmalige historische Ensemble ohne Verluste erhalten bleibt und uns auch künftig Auskunft über die Geistes- und Bildungswelten vergangener Zeiten unseres Raums geben kann.

Kann es bei der ersten Schätzungen zu Fehlern gekommen sein, dass der Wert „nur“ mit 1,2 Millionen Euro ermittelt wurde?

Wie gesagt, es wurde die erste Einschätzung von einem der renommiertesten internationalen Kunstauktionshäuser im Auftrag des Klosters vorgenommen.

Die DFG hat die Förderung an die Bedingung geknüpft, dass die Handschriften weiter öffentlich zugänglich sein sollen. Mit dem geplanten Verkauf könnten sie in private Hände gelangen und für die Öffentlichkeit verloren gehen. Wird die DFG die Fördermittel zurückfordern?

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat schriftlich erklärt, dass der "geplante Verkauf der Handschriften über ein Antiquariat [...] eine klare Verletzung der Förderbedingungen und der im Vorfeld erfolgten Zusagen" darstellt und ihre Erwartung ausgedrückt, dass es gelingt, "das Kloster St. Marienthal von der Notwendigkeit zu überzeugen, den für die Forschung in Deutschland bedeutsamen Handschriftenbestand weiterhin für die Öffentlichkeit zugänglich zu halten", zum Beispiel durch einen Verkauf an den Freistaat, womit die "Verletzung der Förderbedingungen" abgewendet werden könne.

Gebe es notfalls auch die Möglichkeit, die Erteilung einer Ausfuhrgenehmigung ins Ausland zu verhindern?

Bei der Frage einer Ausfuhrgenehmigung ist der Freistaat an die rechtlichen Rahmenbedingungen gebunden. Das Kulturgutschutzgesetz sieht keine automatische Unterschutzstellung für kirchliches Gut vor.