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Warum Müller Berthold in Zittau demonstrieren geht

"Die Bundespolitik macht uns kaputt", sagt Jürgen Berthold aus Oderwitz. Der 60-Jährige kämpft ums Überleben seines 400 Jahren alten Familienbetriebs und montags um Gehör.

Von Jana Ulbrich
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Müllermeister Jürgen Berthold vor seiner Mühle in Oberoderwitz, die er jetzt in siebenter Generation führt. Jeden Montag demonstriert er in Zittau gegen die aktuelle Politik der Bundesregierung.
Müllermeister Jürgen Berthold vor seiner Mühle in Oberoderwitz, die er jetzt in siebenter Generation führt. Jeden Montag demonstriert er in Zittau gegen die aktuelle Politik der Bundesregierung. © Foto: Matthias Weber

An diesem Mittwochmorgen steht die Mühle still. Beim Blick auf den aktuellen Strompreis an diesem Tag hat Jürgen Berthold entschieden, die Mahlwerke gar nicht erst anzuschalten. Erst mittags um zwölf beginnt er mit seinem Tagwerk. Um zwölf kostet ihn der Strom 33 Cent im Grundpreis. Am Morgen war es doppelt so teuer. Aber auch die 33 Cent sind für den Betrieb viel zu viel. Jürgen Berthold ist Müllermeister in siebenter Generation. Über 400 Jahre hat die Mühle hier am Landwasser in Oberoderwitz schon Krisen und Kriege überlebt. Und jetzt? Jürgen Berthold holt tief Luft.

Gerade hat er eine Grundschulklasse durch die Mühle geführt, hat den Kindern gezeigt und erklärt, wie Korn zum Mehl wird. Er hat gescherzt dabei, wie es seine Art ist. Die Kinder haben viel gelernt, gestaunt und gelacht. Dem Müllermeister aber ist überhaupt nicht nach Lachen zumute. Er wirkt ernst und sieht müde aus, wie er da jetzt vor seinem Computer sitzt und sich heißen Kaffee nachschenkt in seine Tasse, die kalt geworden ist über der Büroarbeit, die der 60-Jährige bisher überhaupt nicht kannte, die aber nun ein täglich gehasstes Ritual für ihn ist.

Gemahlen wird am Wochenende und mittags

Jürgen Berthold muss die Strombörse im Blick behalten. 100.000 Kilowattstunden braucht die Mühle im Jahr. Für diese Menge hat er von keinem einzigen Anbieter mehr einen Stromvertrag bekommen, der für den Betrieb auskömmlich gewesen wäre. "Voriges Jahr hatte ich noch einen Vertrag über knapp fünf Cent im Grundpreis, inzwischen soll ich 80 Cent oder noch mehr bezahlen", sagt er. "Das kann ich nicht."

Er ist deshalb auf den sogenannten Spotmarkt ausgewichen und kauft den Strom immer genau zu dem Preis, zu dem er gerade an der Börse gehandelt wird. Der Preis ändert sich stündlich. Um die Mittagszeit und an den Wochenenden ist er meistens niedriger. "Dann mahlen wir jetzt eben über den Mittag und an den Wochenenden", sagt Berthold. Sie sind zu fünft in dem kleinen Betrieb. Der Müllermeister und seine Frau, sein Sohn, der gerade in Leipzig noch ein Betriebswirtschaftsstudium dranhängt, und zwei Angestellte. Der Sohn will die Mühle übernehmen.

Protest gegen Impfpflicht und Energiepolitik

"Ich weiß nicht, wie lange wir auf diese Art noch weiter wirtschaften können", sagt Jürgen Berthold. Und da hat er noch gar nicht vom Gaspreis gesprochen, der von 2,9 Cent pro Kilowattstunde im vorigen Januar über knapp acht Cent im Dezember auf inzwischen 16 Cent gestiegen ist. "Diese Bundespolitik macht uns kaputt", sagt Berthold und schüttelt den Kopf.

Er sieht das nicht nur in seinem Familienbetrieb. Er sieht das bei seinen Berufskollegen und bei den Bäckern, die er beliefert. "Die Bäcker wissen nicht mehr ein noch aus", weiß der Müller. Auch als langjähriger Gemeinderat in Oderwitz bekommt er die Probleme mit - im ganzen Dorf. "Ich bin eigentlich ein sehr fröhlicher Mensch", sagt er und trinkt seinen lauwarmen Kaffee. "Wir hatten immer Spaß, wenn ich zu den Kunden gekommen bin. Aber jetzt? Jetzt sehe ich nur noch ernste Gesichter, Sorgenfalten und Existenzangst."

Und deshalb, sagt Jürgen Berthold, fahren seine Frau und er nun schon seit Wochen jeden Montag zur Demo nach Zittau. "Wir müssen doch irgendetwas tun", sagt er. "Es kann doch nicht sein, dass hier sehenden Auges die ganze Wirtschaft an die Wand gefahren wird." Schon seit Corona mache es ihn fassungslos, was die Politiker in Berlin entscheiden. Seit der Ampelkoalition erst recht.

"Ich war nicht bei den ersten, die in Zittau auf die Straße gegangen sind", erzählt der Müllermeister. Aber als die Impfpflicht für die Pflegekräfte kam, an der trotz vieler Proteste und Bedenken auch weiterhin festgehalten wird, da habe es ihn nicht mehr zu Hause gehalten. "Ich bin da ja selber gar nicht betroffen", sagt er, "aber ich kenne viele, die betroffen sind, die erst beklatscht wurden und dann in den Medien regelrecht kriminalisiert. Ich kann das nicht nachvollziehen."

Und jetzt diese Energiepolitik, von der das "Wall Street Journal" 2019 schrieb, sie sei "die dümmste der Welt". "Das glaube ich inzwischen auch", sagt Jürgen Berthold. Denn dass diese Politik klug sein soll, daran hat der Handwerksmeister erhebliche Zweifel: "Uns und unserem Betrieb macht das seit über einem Jahr zu schaffen, nicht erst seit dem Krieg in der Ukraine", sagt er. Man könne doch jetzt nicht stur am Abschalten der Kern- und Kohlekraftwerke festhalten. "Dieses Land braucht doch Energie. Sonst bricht doch hier alles zusammen."

Bei der Montagsdemo in Zittau, die nicht von einer Partei, sondern von einem Bürgerbündnis veranstaltet wird, fühle er sich mit seinen Sorgen wahrgenommen, sagt Berthold. "Wir treffen da Handwerker, Gewerbetreibende, Unternehmer, Lehrer, Beamte, medizinisches Personal - alles Leute, die den Laden hier am Laufen halten", erzählt er.

"Wenn es immer heißt, wir laufen mit den Falschen, dann kann ich nur sagen, wir laufen selber, wir denken selber und wir lassen uns auch nicht in irgendeine rechte Ecke stellen." Er sei sicherlich nicht immer mit allem einverstanden, was manche Redner da sagen, gibt er zu. "Aber zu demonstrieren ist ein Grundrecht. Und das müssen wir uns auch nehmen, wenn wir sehen, dass es nicht mehr anders geht", ist der Müllermeister überzeugt. Und deshalb werden er und seine Frau wohl auch nächsten Montagabend wieder nach Zittau fahren.