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Die Zukunft nicht verspielen

Der Branchenverband Bitkom warnt vor der riesigen Fachkräftelücke im IT-Bereich. Noch sei freilich die Hoffnung nicht verloren – wenn endlich alle Akteure an einem Strang zögen.

Von Annett Kschieschan
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Die sogenannten Silver Ager - Menschen über 60 - sollen einen Teil der Fachkräftelücke schließen helfen, auch in der IT-Branche.
Die sogenannten Silver Ager - Menschen über 60 - sollen einen Teil der Fachkräftelücke schließen helfen, auch in der IT-Branche. © AdobeStock

Genau 819 Treffer ergab an diesem Donnerstagnachmittag die Suche nach einem IT-Job in Sachsen auf der Stellenplattform Stepstone. Die Bandbreite reicht von der System-Administratorin bis zum Netzwerk-Architekten, viele Jobs sind teilweise oder komplett im Homeoffice möglich. Die Unternehmen werben mit flexiblen Arbeitszeitmodellen, Firmenwagen, Gesundheitsboni und der Möglichkeit zur Weiterbildung bei internationalen Partnern. Viele von ihnen werden trotzdem vergeblich suchen, denn der Markt für IT-Fachkräfte ist noch ein bisschen leerer als der für viele andere Berufsbilder.

Das ist kein exklusiv sächsisches, noch nicht einmal ein primär deutsches Problem – aber es setzt dem hiesigen Wirtschaftsstandort zu. „Der sich seit Jahren verschärfende Mangel an IT-Fachkräften betrifft das ganze Land und bremst die dringend notwendige Digitalisierung. Eine immer größer werdende Fachkräftelücke in der IT bedeutet einen Verlust von Wettbewerbsfähigkeit, Wertschöpfung, Wachstum und Wohlstand. Ohne IT-Spezialistinnen und -Spezialisten verspielt Deutschland seine digitale Zukunft“, so Dr. Ralf Wintergerst, Präsident des Branchenverbandes Bitkom. Er will den Finger einmal mehr in die Wunde legen, aber dennoch nicht nur Pessimismus verbreiten: „Die gute Nachricht ist: Wenn wir jetzt konsequent handeln, muss diese Projektion nicht Realität werden. Notwendig ist, dass in allen Bereichen gleichzeitig die richtigen Maßnahmen eingeleitet werden.“

Bedarf steigt auf 1,92 Millionen

Aber wie können sie aussehen, die richtigen Maßnahmen? Unternehmen – auch in Sachsen – werben seit Jahren auf allen möglichen Kanälen, Initiativen im Freistaat wollen zum Beispiel auch durch den neuen MINT-HUB den Nachwuchs bereits in der Schule motivieren, die Digitalagentur setzt auf Vernetzung der Möglichkeiten. Die Fachkräftelücke bleibt. Schließen lassen kann sie sich nach den Analysen von Bitkom nur, „wenn umgehend massiv gegengesteuert wird“. Den Berechnungen zufolge könnten bis 2040 durch die Förderung des Quereinstiegs rund 129.500 zusätzliche IT-Fachkräfte gewonnen werden. Weitere 108.000 ließen sich durch „Maßnahmen im Bereich Studium und Ausbildung“ motivieren, immerhin 68.500, indem ältere Beschäftigte länger im Job bleiben – sofern die das wollen. Auch hier, das dürfte außer Frage stehen, werden Anreize gebraucht. Derzeit ist nicht einmal ein Prozent der IT-Beschäftigten 65 Jahre alt oder älter. Die sogenannten Silver Ager gelten auch in vielen anderen Berufen als wichtiger Faktor für die Zukunftsfähigkeit.

Außerdem müssten aus Bitkom-Sicht weitere 321.000 IT-Expertinnen und -Experten aus dem Ausland nach Deutschland kommen. Bis 2024 wird der Bedarf an IT-Fachkräften demnach von aktuell 1,29 auf 1,92 Millionen steigen. Durch das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz sollen nach dem Willen der Bundesregierung pro Jahr 75.000 zusätzliche Fachkräfte aus Drittstaaten außerhalb der EU nach Deutschland kommen, auf IT-Berufe bezogen wären das laut Bitkom 4.000 pro Jahr. Ein vergleichbarer Anstieg müsse auch für EU-Staaten erreicht werden. „Wir werden mit dem inländischen Potenzial und der bisherigen Zuwanderung die IT-Fachkräftelücke nicht schließen können. Deutschland muss als Arbeits- und Lebensmittelpunkt für IT-Fachleute viel attraktiver werden“, so Wintergerst. Und: „Wenn wir uns extrem anstrengen, können wir die absehbare Fachkräftelücke etwa zur Hälfte aus dem Inland schließen. Die andere Hälfte aber braucht zwingend qualifizierte Zuwanderung aus allen Teilen der Welt“, so Wintergerst. Die Möglichkeiten hier müssten dementsprechend weiter vereinfacht, Deutschland als Land zum Arbeiten und Leben attraktiver werden.

Liest man die Empfehlung des Branchenverbandes, ist Sachsen hier schon auf einem ganz guten Weg. Die Förderung von Kooperationen zwischen Schule und Wirtschaft steht weit oben auf der Liste. Ebenfalls denkbar seien ein Pflichtfach Informatik an Schulen sowie zusätzliche Informatik-Lehrstühle

Mehr Informatik- Lehrstühle

Einmal mehr verweist Bitkom auf die Förderung von Frauen. Aktuell seien nur rund 21 Prozent der Studierenden und zehn Prozent der Auszubildenden im Bereich Informatik weiblich. Es gebe „keinen wirklichen Grund, warum nicht genauso viele Frauen einen IT-Beruf anstreben und ergreifen sollten wie Männer“, so Ralf Wintergerst. Seine Rechnung: Wenn der Frauenanteil unter allen, die ein Studium beziehungsweise eine Ausbildung abschließen, auf 50 Prozent erhöht würde, könnten bis 2040 weitere 25.500 IT-Fachkräfte zur Verfügung stehen. Derzeit ist die Abbrecherquote mit 42 Prozent hoch – oft, weil junge Leute mit falschen Erwartungen an die Fächer herangehen. Retten kann die IT-Branche also nur ein Gesamtpaket beziehungsweise eine konzertierte Aktion in Sachen Fachkräfterekrutierung.