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Gibt es den perfekten Arbeitgeber?

Die ideale Chefin, der vollkommene Chef - gibt es das überhaupt? Sächsische.de hat in Dresden einen kennengelernt, der dem Anspruch nahekommt – und kluge Ideen hat, wie man dem Fachkräftemangel beikommt.

Von Michael Rothe
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Alexander Rose ist als Chef der Radensleben Transporte GmbH in Dresden jobbedingt auch Hochstapler.
Alexander Rose ist als Chef der Radensleben Transporte GmbH in Dresden jobbedingt auch Hochstapler. © Foto: SZ/ Veit Hengst

Als Alexander Rose jüngst vor der Fachkräfteallianz Sachsen in der Hochschule Mittweida auftreten und von der wirtschaftlichen Basis berichten sollte, hatte der Geschäftsführer der Radensleben Transporte GmbH mächtig Bammel. „Ich war noch nie so aufgeregt“, gesteht der Dresdner Speditionschef. 100 Zuhörer vor Ort, darunter Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig, und dazu eine Liveübertragung im Internet.

Jene Allianz, eine sachsenweite Plattform für den Austausch zur Fachkräftesicherung, hatte sich am 3. Dezember 2015 konstituiert. Ihr gehören Vertreter der Wirtschaft, Kammern, Verbände, Gewerkschaften, der Freien Wohlfahrt, der Arbeitsagentur und der Staatsregierung an. Das Gremium war vor gut sieben Jahren ins Leben gerufen worden, um mit Empfehlungen und Initiativen genau jenen Zustand zu vermeiden, der jetzt allenthalben beklagt wird: akuten Fachkräftemangel und allgemeine Personalnot.

Die Organisatoren der Jahrestagung wussten über Mund-zu-Mund-Propaganda, dass sie sich mit Rose einen unkonventionellen Arbeitgeber ins Boot holen – nicht nur weil der mit der Frage „Lust am Laster?“ um Personal buhlt. Dem Unternehmer war wichtig, gegen die Weichmalerei solcher Meetings aufzubegehren. Wenn sich alle gegenseitig beteuerten, wie sie sich um Fachkräfte bemühten, dann stimmt das nicht, so Rose. Frank Schirrmacher habe mit dem Bestseller „Das Methusalem-Komplott“ schon 2004 auf die Vergreisung der Gesellschaft hingewiesen und zu einem Aufstand der Alten aufgerufen.

Es seien viele Fehler gemacht und die letzten 20 Jahre verpennt worden, kritisiert der Unternehmer. Es werde viel geredet, aber es passiere wenig. Dass der Fachkräftemangel kommt, sei lange bekannt, und doch steht man ratlos da, redet er sich fast in Rage. Doch das ist nicht sein Stil.

Das Bild des Streetart-Künstlers Banksy passt in das kleine Büro von Alexander Rose. Der Chef der Spedition Radensleben sieht sich auch als eine Art "Blumenwerfer".
Das Bild des Streetart-Künstlers Banksy passt in das kleine Büro von Alexander Rose. Der Chef der Spedition Radensleben sieht sich auch als eine Art "Blumenwerfer". © SZ/ Veit Hengst

An der Wand seines kleinen, ebenerdigen Büros gleich neben der Zeitenströmung im Dresdner Norden hängt der Blumenwerfer des britischen Streetart-Künstlers Banksy. Daneben ein alter Retro-Druck mit einem Zitat vom Dalai Lama: „In der Wut verliert der Mensch seine Intelligenz“. Die Bilder in dem unscheinbaren Hinterhof-Domizil sind ein Statement. Dieser Chef will keinen Krieg, setzt auf Sachlichkeit statt auf emotionale Entscheidungen. Und er hält nichts von Anwälten, die mit einer verbalen Kalaschnikow unterm Arm vor Gericht ziehen. Deshalb lebe er auch damit, dass sein am 8. Mai 1990 gegründetes Unternehmen weiter den Namen seiner Ex-Frau trägt, sagt der Vater von zwei erwachsenen Töchtern.

Zum Portfolio der Spedition gehören Stückguttransporte im Auftrag von Schenker und Dachser. Die Firma betreibt ferner einen Zeitungshandel, lagert Material, Möbel und Kunst für Dritte, fährt exklusive Umzüge und ist Haus- und Hofspedition von zwei Behinderten-Werkstätten. „Unser Vorteil ist, dass wir breit aufgestellt sind – aber das ist auch unser Nachteil“, sagt der Jeansträger mit dem Dreitagebart. Das sei Stress, „aber so kamen wir durch Corona“. Als die Galerien dicht gewesen seien, habe Radensleben statt Kunst eben andere Dinge transportiert. Er findet es schade, wenn Unternehmer nicht flexibel sind.

Rose ist ein Macher, ein Chef mit hochgekrempelten Ärmeln. Keine Rampensau, eher einer, der in der Gasse zwischen den schwarzen Vorhängen steht und von hinten dirigiert. Er verhandelt mit Kunden und anderen Geschäftsführern, ist sich aber auch nicht zu schade, mit seinen Leuten und einem Klavier im Gesicht die Treppe hochzujapsen. Da fallen ihm die täglich sechs bis acht Kilometer im Wald mit seinem schottischen Kurzhaarcollie leichter.

Als Chef auch Sozialarbeiter

Der Wortgewandte war früher sprachlos: als Mitglied der Dresdner Pantomimengruppe Salto Vitale um Rainer König und Alf Mahlo. Da entdeckte der Mann mit dem schelmischen Lächeln, dass er mit Leib und Seele Dienstleister ist: Fahrer, Beleuchter, Tonmann, Bierholer. Es war das Aha-Erlebnis, das sein Leben prägt. Nach der Trennung stand er da: mit Barkas, einem zweijährigen Kind, ohne Geld. In der Not klebte er einen Zettel an das Auto aus DDR-Zeit: „Übernehme Ihre Kleintransporte“. Der Beginn einer Spediteurskarriere.

„Wirst Du jetzt etwa Kapitalist?“, hatte ihn seine Schwester ungläubig gefragt. Er wurde Kapitalist – inklusive schneller, höher, weiter. Aber die Hatz nach dem Mammon tat dem einstigen Jogger nicht gut. Er und seine Familie sind daran gescheitert. Der gebürtige Berliner, der seit seinem sechsten Lebensjahr an der Elbe lebt, kennt einige Traumata: Das Hochwasser 2002, als seine Lkw im damaligen Betriebshof in Dresden-Friedrichstadt bis zur Türklinke in der Weißeritz standen. Seine Scheidung. Die Zahlungsunfähigkeit 2009 infolge der Wirtschafts- und Finanzkrise. Den Tod des besten Freundes und seines Vorarbeiters.

Zum Glück hatte die Flut auch ein neues Mädel angespült. Roses Rettung. Er hat aus den Fehlern gelernt – außerdem: Loslassen, Abgeben, Delegieren. Das sei der Schlüssel zum Glück, sagt der Macher. Er vertraut seinen Leuten. Alle seien interessiert, dass es dem Unternehmen gut geht. Niemand mache absichtlich Fehler, in jedem stecke ein Talent. Ein Chef müsse das nur erkennen und fördern, so der 56-Jährige. Als er nach seinem Urlaub mal einen Mitarbeiter „zusammenfalten“ wollte, riet ihm sein Coach, vorher aufzuschreiben, was der Mann gut kann und was nicht. Nach dem siebten Strich war klar: Nicht der Angezählte, sondern der Chef war schuld, weil er ihn falsch besetzt hatte. Der Mitarbeiter gehörte einfach nicht ins Büro – und wurde Montageleiter.

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„Wenn ich jemanden irgendwo reinpresse, nicht kommuniziere und nicht sage, was ich mir wünsche, funktioniert das nicht“, sagt Rose. Die Gratwanderung funktioniere nur mit mündigen Menschen. Es tue ihm in der Seele weh, wie manche Chefs mit ihrer Belegschaft umgehen, ihre Beschäftigten nicht führen und ihre Ideen hören. Ein „Das haben wir schon immer so gemacht“ bringe nicht weiter. Es brauche regelmäßige Mitarbeiter-Gespräche – und dort auch Fragen wie: Wie geht es deiner Frau, deinem Kind? Gibt es Probleme, Wünsche? Als Chef sei er auch Sozialarbeiter, oft mehr als Logistiker, und Motivator. Da werde spontan auch mal bei einer älteren Dame ein teures Bild angebracht – was ihr Ehemann zuvor binnen Wochen nicht geschafft hatte. Rose hat seinen Jungs diese Verkaufskultur beigebracht. Devise: Ihr könnt Euch durch Flirten coole Jobs ranholen. Derart angespitzt, waren sie auch schon am Wochenende unentgeltlich im Sozialeinsatz.

Ein Geschäftsführer muss nicht alles gemacht haben, was seine Leute tun, um sie zu verstehen. Rose hat sich hochgearbeitet, weiß, wie es sich anfühlt, wenn man an der Rampe steht, von Schlipsträgern automatisch geduzt und wie der letzte Dödel behandelt wird – obwohl man ein erwachsener Mann ist, drei Kinder hat, Guten Tag und Sie gesagt hat. Der Chef ruft seinen Leuten immer wieder zu, sich da nicht reinziehen zu lassen. Gegenseitige Achtung, Wertschätzung, Freude und Spaß sind Rose wichtig. Es gibt kostenlos Wasser und Kaffee, auch die Obstschale steht da.

Geld macht nicht glücklich

„Ich wollte immer eine kleine Blumen- Schmetterlingswiese auf dem Betriebshof haben“, sagt er und deutet auf den großen grauen Parkplatz vor der Tür. Seine Belegschaft quittierte das abfällig mit „Schwachsinn“ und „Öko“. Doch als das Hochbeet im vorigen Jahr fünf Monate durchblühte, sagten einige anerkennend, dass der bunte Fleck in der Betonwüste schon toll sei.

„Geld macht nicht glücklich“, sagt der Mann, für den Spenden – etwa an Erdbebenopfer in der Türkei und Syrien – über Lohnerhöhungen stehen. Es mache vielmehr glücklich, zufrieden nach Hause zu gehen, argumentiert der Unternehmer. Wenn man an der Arbeit glücklich sei, verdiene sich das Geld von allein, so Rose, dessen Betrieb selbst in der Corona-Pandemie schwarze Zahlen schrieb.

Das Fachkräfteproblem fuchst den Chef der Radensleben Transporte GmbH. Spediteur Alexander Rose könnte sofort fünf Leute einstellen, aber in Deutschland fehlen 80.000 Brummifahrer.
Das Fachkräfteproblem fuchst den Chef der Radensleben Transporte GmbH. Spediteur Alexander Rose könnte sofort fünf Leute einstellen, aber in Deutschland fehlen 80.000 Brummifahrer. © Foto: SZ/ Veit Hengst

Aber wie schafft man den Sprung vom resignierten Einzelkämpfer zum Erfolgsunternehmer, der auch schon im Auftrag des Freistaats international unterwegs war? Rose hatte sich das nie vorgenommen, zumal ihm in der Wendezeit noch ein FDJ-Fuzzi prophezeit hatte, dass er es nie packen würde. Doch den Zweiflern und vor allem sich selbst habe er es beweisen wollen: mit Mut, Ausdauer, Zielstrebigkeit – auch abseits ausgetretener Pfade.

Er habe im Lockdown den Grill angeworfen, Bier besorgt und seine ratlosen Auftraggeber rangeholt, erzählt der schmächtige aber wortgewaltige Typ. Sie hätten um das Feuer gestanden und überlegt, wie sie durch diese Zeit kommen. Unternehmer heißt: etwas unternehmen. Roses Rat: Man sollte immer einen Plan B haben und nicht darauf warten, dass man ihn von jemandem präsentiert bekommt.

Der Geschäftsführer, selbst ehrenamtlich engagiert bei den Dresdner Nachtcafés für Obdachlose, sorgt sich wegen der zunehmenden Spaltung der Gesellschaft. Pegida und Corona hätten etwas gemacht mit Familien, im Freundeskreis und in den Teams. Die Ossis seien vor 34 Jahren auf die Straße gegangen, damit jeder seine Meinung sagen darf. Das sollten die Sachsen auch tun – aber ebenso andere Meinungen achten. Der das sagt, stellt seine Lkw auch als Bühne zur Verfügung, damit Leute vor der Frauenkirche erklären können, wie wichtig Toleranz und Demokratie sind. Damit macht sich der Unternehmer manchmal auch unter seinesgleichen unbeliebt.

„Wenn wir als Gesellschaft nicht gemeinsam gehen, werden wir auch das Fachkräfteproblem nicht lösen“, ist der Firmenchef überzeugt, der seinen Worten dann und wann auch mit den Händen Nachdruck verleiht. Rose redet viel, aber überlegt und mit Tiefgang. Er organisiert Unternehmerstammtische und erzählt dort aus eigenem Erleben. Dann kramt die Quasselstrippe auch die Geschichte vom Kapitän hervor, der, im Hafen sitzend, seine Fehler verkauft. Doch die aus der Kneipe kommenden jungen Skipper lachen ihn aus und gehen weiter. Warum sollten sie Fehler kaufen! Bei ihrer nächsten Ausfahrt zerschellen sie an der nächsten Klippe.

Die Moral laut Rose: Man sollte sich nicht immer für den Schlauesten halten, sondern offen für Hinweise von außen sein. Das gelte aber auch für die Alten, die sich frischen Ideen der Jungen nicht verschließen dürften – inklusive deren neudeutschen Vokabulars. Die heutigen Kinder seien längst digitalisiert.

Andere Lagerfeuer-Runde

Der Spediteur mit 33 Jahren Berufserfahrung zieht gegenüber seiner Belegschaft auch Vergleiche mit einer Backstube. „Stellt Euch vor, wir backen das beste Brot von Dresden, haben Spaß, hören Musik, machen Witze. Am Morgen geben wir das Brot gegen gutes Geld flirtend über den Tisch und wünschen den Kunden noch einen schönen Tag. Wir gehen heim mit gutem Geld in der Tasche und beginnen unser Privatleben. Wir werden uns in der Backstube nicht zerstreiten, ob die FDP oder die SPD Recht hat. Wir machen Brot. Fertig.

Roses Devise: Wir lassen uns nicht den Spaß kaputtmachen. Die Lagerfeuer-Runde habe sich in den letzten sieben Jahren verändert. Das hätte er nie gedacht. Beste Freunde verschwinden, weil man keine gemeinsame Sprache mehr spricht. Andererseits habe er Mitarbeiter, die politisch anderer Meinung seien, als er. Aber sie würden nie gehen, und er werde sie nicht gehen lassen, weil sie sich achteten und ein super Arbeitsverhältnis hätten. Das Team lasse Befindlichkeiten zu langen Haaren oder gewöhnungsbedürftigen Hemden draußen.

Er habe Zimmermann gelernt, erzählt Alexander Rose, und auf dem Gerüst erst mal erklären müssen, dass er nicht der kleine Russe sei, obwohl ihn alle Sascha rufen. Der Bau und die anderthalb Jahre Armee hätten ihn geerdet – auch im Tagebau und im 3-Schichtsystem der Filmfabrik Wolfen.

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Der bodenständige Chef von 27 Deutschen, Tschechen, Belarussen und Syrern hat noch ein Hemmnis bei der Personalgewinnung ausgemacht: „die deutsche Arroganz“. Hierzulande spreche kaum einer Englisch oder Französisch – ganz im Gegensatz zu vielen geflüchteten Syrern. Wo sollten die Fachkräfte herkommen, wenn die Sachsen selbst nicht Englisch lernten? „Wir erwarten immer, dass sie Deutsch lernen.“ Warum arbeiten in Dresden kaum Tschechen und Polen? Warum fahren sie lieber 700 Kilometer weiter bis nach Freiburg, wo Roses Cousine Pflegdienstleiterin ist und zu zwei Dritteln Polen beschäftigt?

Er erinnert an Vorurteile gegenüber den Nachbarn und hat noch die Polen-Witze im Ohr. „Wir sind schnell dabei, uns über andere zu stellen und sie zu diskriminieren“ – da sei man schnell beim Fachkräftemangel. Berufskraftfahrer hätten ein schlechtes Image, wie manch anderer Beruf. „Willst Du etwa bei Netto an der Kasse landen, mach endlich mal Schule!“ – mit solchen, von ihm erlebten Sprüchen machten Eltern alles kaputt.

Ältere Semester gefragt

Der Logistikbranche in Deutschland fehlen 80.000 Brummifahrer. Jedes Jahr gehen 30.000 in Rente, aber nur 15.000 kommen nach. Das Fachkräfteproblem fuchst den Spediteur – auch weil er sofort fünf gute Kräfte einstellen könnte. Er verkaufe gern, und verknüpfe gern – es gebe so viel Arbeit, sagt der Chef. „Ich brauche nur noch Leute, die Lust darauf haben.“

Das könnten aus seiner Sicht auch ältere Semester sein. Viele Alte sitzen daheim im Sessel und gucken nur noch Sport, weil sie nicht mehr gebraucht werden. Dabei haben sie ein gewaltiges Wissen. „Warum nehmen wir die Alten nicht wieder ein Stück mit rein?“, fragt er. Doch dazu brauche es Anreize – für Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Lasst die Rentner selbstbestimmt und steuerfrei etwas dazuverdienen – als Urlaubs- oder Krankenersatz, so sein Vorschlag. Sie seien schließlich Fachkräfte. Außerdem: „Wer allein daheim hockt, hat niemanden zum Lachen oder Abklatschen nach einem Erfolgserlebnis.“

War Rose, der vor Ideen nur so sprüht, viel liest und mittwochs gern in der Kneipe sitzt und die ganze Nacht schwatzt, bei der Konferenz in Mittweida nur Gebender? Oder hat er von dort auch etwas mitnehmen können? Er habe mitgenommen, dass nicht ganz falsch ist, was er macht, kokettiert der Chef. Er habe Kontakte knüpfen können und viele Gespräche gehabt. Sein Fazit: Es gibt für Probleme immer eine Lösung – wenn man sie gemeinsam sucht.

Alexander Roses Kritik an den Versäumnissen der letzten Jahre blieb vom Adressaten indes ungehört. Als er sie bei der Konferenz in Mittweida vorbrachte, war Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD), zugleich Schirmherr der Fachkräfteallianz, bereits wieder verschwunden.