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Immer flexibel am Start?

Wer sich seine Arbeitszeit selbst einteilen kann, ist ausgeglichener und produktiver, sagen Studien. Das eröffnet neue Möglichkeiten für Unternehmen und Mitarbeiter – allerdings nicht in allen Branchen.

Von Annett Kschieschan
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Klischee oder Wirklichkeit? Wer von überall aus arbeiten kann, hat viele Freiheiten. Studien zufolge erhöht das die Produktivität und die Loyalität zum Arbeitgeber.
Klischee oder Wirklichkeit? Wer von überall aus arbeiten kann, hat viele Freiheiten. Studien zufolge erhöht das die Produktivität und die Loyalität zum Arbeitgeber. © AdobeStock

Liane Ferst war einkaufen. Am Montag gegen 11 Uhr packt sie Obst und Gemüse, Wasserkiste und eine Stiege Frühjahrsblüher aus dem Sonderangebot in ihr Auto. Zuhause angekommen, verräumt sie die Einkäufe und setzt sich an ihren Dienst-Laptop. Denn Liane Ferst hat an diesem Tag nicht frei. Sie arbeitet ganz normal – nur eben nach einem flexiblen Zeitmodell. Die knappe Stunde, die sie gerade unterwegs war, hatte sie schon am Morgen vorgearbeitet. Früher begann ihre Arbeitszeit um 8 Uhr. „Da meine Tochter aber ohnehin um 7 aus dem Haus muss, setze ich mich gern schon früher an den Laptop“, erzählt die Marketingfachfrau.

Vor vier Jahren stellte ihr Leipziger Arbeitgeber seinen Mitarbeitern frei, in welchem Modus sie arbeiten wollen. Ob im Büro, im Homeoffice oder im Wechselmodell, ob zu festen Zeiten und flexibel. Liane Ferst entschied sich für die flexible Variante und den Wechsel zwischen Büro und Homeoffice. „Seitdem hat mein Tag irgendwie mehr Stunden“, erzählt die Mittdreißigerin lachend. Mehr Stunden steht in diesem Fall eher für mehr Freiheit, denn weil Liane Ferst weitgehend selbst entscheidet, wie sie Beruf, Familie und Freizeit eintaktet, ist viel Stress aus dem Alltag verschwunden.

Dem Biorhythmus folgen

Eine Erfahrung, die viele Beschäftigte machen. Das zeigt ein Blick auf eine Untersuchung der Internationalen Arbeitsorganisation (Ilo). In einer Studie wurden die Erfahrungen aus den ersten Jahren der Corona-Pandemie ausgewertet. Ein Ergebnis: Wer flexibel arbeitet, ist nicht nur ausgeglichener, er arbeitet auch produktiver. Das liegt offenbar oft schon allein daran, dass der eigene Biorhythmus nicht zwangsweise einem starren Zeitplan unterworfen ist. Wer morgens schon früh fit und motiviert ist, profitiert nicht von einem Arbeitsbeginn um 9 Uhr. Wer eher am späteren Nachmittag oder frühen Abend kreativ ist, kann mit einem „nine to five-Job“ kaum sein Potenzial ausschöpfen.

Der Ilo-Studie zufolge arbeitet die Mehrheit der Beschäftigten weltweit entweder länger oder kürzer als acht Stunden pro Tag an fünf Tagen die Woche – also 40 Stunden. Mehr als ein Drittel arbeitet regelmäßig sogar mehr als 48 Stunden pro Woche; ein Fünftel arbeitet indes weniger als 35 Stunden pro Woche.

Starre Arbeitszeitmodelle – da sind sich die Experten sicher – werden künftig immer weniger zum Einsatz kommen. Auch, weil man damit keine begehrte Fachkraft ins Unternehmen locken kann. Im Gegenteil. Die Ilo empfiehlt, dass die Politik Arbeitszeitverkürzungen und eine gesunde Work-Life-Balance fördern soll. Das würde nicht zu Produktivitätseinbußen führen, sondern – im Gegenteil – sogar messbar bessere Ergebnisse bringen.

Das haben auch Liane Ferst und ihr Team so erlebt. „Manchmal kommt auch bei uns ein Auftrag, der ganz schnell erledigt werden muss. Durch unsere flexiblen Arbeitszeiten findet sich immer jemand, der sich das im Zweifel auch mal am Abend vornimmt – und dafür dann an einem anderen Tag ein paar Stunden für Privates nutzt. Am Ende hat der Kunde sein gewünschtes Resultat in kurzer Zeit und niemand ist frustriert, weil er oder sie Überstunden leisten musste“, erzählt sie.

Viele Unternehmen teilen die guten Erfahrungen. Fakt ist aber auch, dass nicht jeder Beruf ein Maximum an Flexibilität erlaubt. Wer als Verkäufer arbeitet, kann das Geschäft nicht tagsüber für zwei Stunden zuschließen und dafür am späten Abend nochmal öffnen. Genau wie das Homeoffice bleiben flexible Arbeitszeitmodelle oft Menschen mit höheren Bildungsabschlüssen vorbehalten. Trotzdem könnten die Erfahrungen, die durch die Pandemie großen Anschub bekommen haben, zum Schrittmacher in Sachen Work-Life-Balance werden, schätzen Experten ein. Die aktuellen Streiks bei der Bahn zeigen, dass viele Beschäftigte eine Veränderung der starren Arbeitszeitmodelle wollen und um Zweifel auch für die Durchsetzung kämpfen. Es liege bei den Unternehmen, aber auch bei der Politik, die Rahmenbedingungen so auszugestalten, dass die Bedürfnisse der Mitarbeiter genauso Beachtung finden wie die wirtschaftlichen Anforderungen.

Die Chancen der Digitalisierung

Der Arbeitsmarkt ist in Bewegung – und zwar so stark wie lange nicht. Das hat nicht nur mit den Krisen zu tun, die die Betriebe beuteln, sondern auch mit der Frage, wie die Arbeit der Zukunft aussehen soll. Die Digitalisierung hat längst viel verändert – und wird das auch weiterhin tun. Das Homeoffice wäre ohne sie nicht denkbar. Flexible Arbeitszeiten funktionieren deshalb so gut, weil man heute eben von nahezu jedem Ort aus und zu jeder Zeit arbeiten kann. Natürlich birgt auch das Risiken, zum Beispiel das Aufweichen der Trennung zwischen Arbeit und Freizeit. „Das kommt schon mal vor“, weiß auch Marketingfachfrau Liane Ferst und schiebt nach: „Aber die Vorteile überwiegen deutlich. Ich würde nicht mehr anders arbeiten wollen“.