Merken

Tradition auf dem Weg in die Zukunft

Handwerk ist Handarbeit, die Digitalisierung ist dennoch längst in den Werkstätten angekommen. Eine Töpferei aus der Oberlausitz hat ihren Weg gefunden.

Von Annett Kschieschan
 5 Min.
Teilen
Folgen
Die Zukunft im Blick: Joey Gräubig hat 2021 die Lehre zum Industriekeramiker, Fachrichtung Verfahrenstechnik, in der Neukircher Manufaktur begonnen.
Die Zukunft im Blick: Joey Gräubig hat 2021 die Lehre zum Industriekeramiker, Fachrichtung Verfahrenstechnik, in der Neukircher Manufaktur begonnen. © Steffen Unger

Filigran und rustikal – in der Kannegießer Keramik Saxonia Feinsteinzeug Manufaktur OHG kann man beides. Hier entstehen robuste Teller für den Familien-Frühstückstisch neben eleganten Vasen, feinen Stövchen und zarten Wein-Kelchen. Und Tassen. Tassen sind quasi der Dauerbrenner in der Manufaktur aus Neukirch im Oberland. Das hat sich inzwischen herumgesprochen. Seit 2015 werden in der Werkstatt die Glühweintassen für den Dresdner Striezelmarkt gefertigt.Spätestens seit dieser Zeit ist die Manufaktur weit über die Oberlausitz hinaus bekannt. Klar ist aber auch: Wird in Größenordnungen dieser Art produziert, muss auch in die entsprechende Technik investiert werden. Wer sich beim Gedanken an Keramik den Töpfer an der Töpferscheibe vorstellt, sieht heute nur noch einen Teil der Wahrheit. In der Neukircher Manufaktur dreht sich seit einigen Jahren auch ein Roboterarm.

Die Digitalisierung ist längst in den traditionellen Handwerksbetrieben angekommen. Aus vielen guten Gründen. In Neukirch ist Kollege Roboter vor allem für den Kassenschlager des Betriebs - die Tassen - zuständig. „Früher hatten wir häufig das Problem, dass Henkel beim Aufsetzen auf die Tasse gerissen sind. Das kommt heute fast gar nicht mehr vor“, sagt Geschäftsführer Andreas Kannegießer. Die Wahrscheinlichkeit eines Risses schätzt er heute auf gerade einmal 0,1 Prozent. „Wir produzieren dank des Roboters quasi kaum noch teuren Ausschuss“, so der Geschäftsführer weiter.

Reichlich 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gehören zu seinem Team. Darunter gibt es aktuell auch zwei Auszubildende, eine junge Frau, die bereits im dritten Lehrjahr ist, und einen jungen Mann, der seine Ausbildung gerade erst begonnen hat. Also keine Nachwuchssorgen im Töpferhandwerk? Das möchte Andreas Kannegießer so aber auch nicht stehenlassen. „Es ist heute schon schwer, Nachwuchs und neue Kollegen zu finden. Bald geht einer unserer langjährigen Mitarbeiter in die Rente, es wird nicht so einfach sein, ihn zu ersetzen“, sagt er. Die demografische Entwicklung macht es vor allem den Betrieben im ländlichen Raum schwer.

Mit Ideen durch die Krise

Und nun auch noch Corona. Auch die Kannegießer Keramik Saxonia Feinsteinzeug Manufaktur OHG stand durch die Pandemie plötzlich vor ganz neuen Herausforderungen. „Den größten Teil unserer Waren verkaufen wir über Fachhändler. Die mussten plötzlich schließen und hatten, als die Geschäfte wieder öffnen durften, natürlich volle Regale und keinen Grund, nachzubestellen“, schildert Andreas Kannegießer das Problem. Der Betrieb besann sich auf ein zweites Standbein: die Fliesen-Herstellung. Erst kurz zuvor hatte die Manufaktur das Sortiment der Neuen Privaten Porzellangesellschaft (NPM) Meißen übernommen. Ein passender Großauftrag für die Technische Universität und die Hochschule für Technik und Wirtschaft in Dresden half der Firma durch das erste Corona-Jahr. Für einen Neubau produzierte die Neukircher Manufaktur fast 40.000 historischen Vorbildern nachempfundene Fassadenfliesen. Beteiligt war auch die Töpferei Lehmann, ebenfalls aus Neukirch. Die Zusammenarbeit in der Branche werde künftig noch wichtiger werden, schätzt Andreas Kannegießer ein.

Auch dank dieser, für eine Töpferei alles andere als alltäglichen Aufgabe kam das Unternehmen gut durch die Krise. Ganz ohne Kurzarbeit ging es nicht, aber die ist inzwischen Geschichte, denn das Geschäft mit dem Gebrauchsgeschirr läuft gut. Vielleicht auch, weil viele Menschen durch die Zeit in den Lockdownphasen und den Wechsel ins Homeoffice wieder mehr Wert aufs Selberkochen, auf schönes Geschirr und besondere Tisch-Dekoration legen. Besondere Trends hat Andreas Kannegießer dabei nicht ausgemacht. „Die Leute kaufen das nach, was sie brauchen, oder sie entscheiden sich eben komplett für ein neues Geschirr“, erzählt er. In das Ladengeschäft direkt neben der Manufaktur an der Neukircher Südstraße kommen viele Stammkunden, aber auch immer wieder neue Gesichter. Bis vor kurzem betrieb das Unternehmen sogar noch einen Laden in Berlin. Mehr als zwölf Jahre lang funktionierte das gut. „Aber es ist natürlich auch sehr aufwendig, ein Geschäft in Berlin von hier aus zu führen. Deshalb haben wir eine gute Lösung gefunden. Eine Mitarbeiterin wird den Berliner Laden übernehmen und selbst weiterführen“, sagt Andreas Kannegießer.

Zu tun haben er und sein Team auch in Ostsachsen genug. Und das auch ohne aufwendige Marketingstrategie. Vieles laufe tatsächlich noch über Mundpropaganda, das gilt für Werbung ebenso wie für die Suche nach Mitarbeitern. Großaufträge wie die Produktion der Striezelmarkttassen oder die Fliesenherstellung für die TU tun das Übrige, um den Betrieb im Gespräch zu halten. Der hat eine durchaus beachtliche Tradition und war auch schon früher für Innovationen bekannt. So drehte sich hier die erste mit einem Elektromotor angetriebene Töpferscheibe der Region. Die Manufaktur selbst gibt es schon seit 1824.

Und die Zukunft? Um die ist Andreas Kannegießer trotz der turbulenten letzten Jahre nicht bange. Solange Oberlausitzer Keramik gefragt ist, werden sie sich wohl weiterdrehen - die traditionelle Töpferscheibe und der moderne Roboterarm.

Augenmaß und Kreativität: Sarah Deutschländer gehört zu den Dekor-Spezialisten im Team der Töpferei.
Augenmaß und Kreativität: Sarah Deutschländer gehört zu den Dekor-Spezialisten im Team der Töpferei. © Steffen Unger