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Wenn der Ehrgeiz zur Falle wird

Immer besser, immer schneller, immer effizienter: Wer Arbeit und Leben so strukturiert, stößt irgendwann an seine Grenzen. Vor dem Burnout, nach dem oft nichts mehr geht, kommt oft der Burnon. Warum dieser Zustand ein Problem in der Arbeitswelt werden kann.

Von Annett Kschieschan
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Wenn man vor lauter To-do-Listen das Leben aus dem Blick verliert, ist Gefahr im Verzug. Psychologen treffen in der Arbeitswelt häufiger auf das Burnon-Syndrom.
Wenn man vor lauter To-do-Listen das Leben aus dem Blick verliert, ist Gefahr im Verzug. Psychologen treffen in der Arbeitswelt häufiger auf das Burnon-Syndrom. © AdobeStock

"Muss nur noch kurz die Welt retten. Danach flieg‘ ich zu dir. Noch 148 Mails checken...“. Mehr als zehn Jahre ist es her, dass der deutsche Sänger Tim Bendzko dieses Lied veröffentlichte. Den Begriff „Burnon“ hatte damals noch niemand auf dem Schirm. Aber natürlich gab es sie auch schon 2011, die High Performer, die immer zuverlässig Einsatzbereiten, die, die immer die Extrameile gehen.

Und in welcher Cheftage wünscht man sich nicht Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die für ihre Projekte brennen, die die Welt retten wollen und die 148 ungelesenen Mails im Postfach trotzdem nicht vergessen?

Dass diese Einstellung durchaus problematisch werden kann, wird seit kurzem in der Psychologie diskutiert. Denn zunehmend haben Therapeuten Männer und Frauen vor sich, auf die die Diagnose der Erschöpfungsdepression, also des Burnouts, nicht passt, die aber trotzdem nicht so weitermachen können wie gehabt. Der Psychologe Timo Schiele und der Chefarzt Bert te Wild haben anhand der Symptomatik dafür den Begriff „Burnon“ geprägt.

Kein Ausgleich in der Freizeit

Dieses Weiterbrennen ist demnach oft von besonders hohen Ansprüchen an die eigene Arbeit gekennzeichnet. Die Betroffenen wollen noch besser werden, ein weiteres Projekt schultern, vielleicht schnell noch eine Weiterbildung dranhängen – und merken irgendwann, dass ihnen die Luft ausgeht. Auch, weil die Flamme nicht nur im Job ständig brennt. Nach Erfahrung der Therapeuten werden die Muster aus dem Büro oft auf Freizeit und Sozialleben übertragen. Die Organisation der Urlaubsreise, der Kindergeburtstag, das Kräuterbeet im Garten – alles wird möglichst effizient und zieloptimiert abgearbeitet. Selbst Dinge, die eigentlich Ausgleich und Entspannung schaffen sollen, sind irgendwann nur Punkte auf der nie endenden To-do-Liste. Betroffene wollen nach Aussage des Psychologen Timo Schiele, „weiter funktionieren, weitermachen und versuchen, die Belastungsgrenze immer weiter nach oben zu verschieben.“ Der Burnon sei somit eine Art Vorstufe des Burnouts.

Wer in dieser Phase erkennt, dass er auf einem ungesunden Weg ist, hat die Chance, den totalen Zusammenbruch zu vermeiden. Denn während Burnon-Betroffene oft noch Einiges an Kraft und Motivation haben, geht bei der Erschöpfungsdepression oft gar nichts mehr. Timo Schiele und Bert te Wild haben festgestellt, dass vor allem sehr leistungsorientierte Menschen anfällig dafür sind. Oft kommen Schwierigkeiten in der Abgrenzung dazu. Die Scheu, einen Auftrag auch mal abzulehnen, ist hoch. Nicht unbedingt, weil das finanzielle Folgen haben könnte, sondern weil das Selbstbild des leistungsstarken Problemlösers dadurch angekratzt wird.

Wem es dann ohnehin schon schwerfällt, Arbeit und Freizeit zu trennen – zum Beispiel auch, weil sich im Homeoffice beides leicht vermischt – der ist nach Meinung der Experten burnon-gefährdet.

Wer will, dass gerade auch die besten und engagiertesten Mitarbeiter gesund bleiben und auch jenseits der To-do-Listen echte Freude an der Arbeit behalten, tut demnach gut daran, potenzielle Überlastungen selbst im Blick zu haben. Ein gutes Gesundheitsmanagement im Unternehmen wird zunehmend wichtiger. Nicht zuletzt, weil sich die Zahl der Arbeitsausfälle wegen psychischer Krankheiten sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten vervielfacht hat. Die aktuellen Krisenlagen machen die Situation nicht leichter. Aus den Statistiken der Deutschen Rentenversicherung geht hervor, dass psychische Erkrankungen der häufigste Grund für einen vorzeitigen Renteneintritt sind. Und bei den Krankmeldungen stehen psychische Probleme auf der Ursachenliste neben Herz- Kreislauferkrankungen weit oben. Durchschnittlich fallen Betroffene 37 Tage aus. Denn klar ist auch: Die Rekonvaleszenz dauert bei einer Depression meist deutlich länger als bei einem gebrochenen Bein.

Druckabbau ist auch Chefsache

Nach Meinung der Experten ist der Burnon genauso wenig eine Einbahnstraße wie der Burnout. Im Gegenteil, weil die Betroffenen meist noch handlungsfähig sind, kann therapeutische Unterstützung helfen. Timo Schiele nennt den Achtsamkeitsbegriff, der – sofern nicht in esoterischen Zusammenhängen fehlinterpretiert – durchaus ein Weg aus dem ewigen Feuer sein kann. Die Erkenntnis, auch „Nein“ sagen zu dürfen, ohne weniger wertgeschätzt zu werden, hilft beim Druckabbau. Die bewusste Trennung von Beruf und Privatleben kann ebenfalls nützlich sein. Ebenso wie eine Unternehmenskultur, in der Überstunden und dienstliche Anrufe in der Freizeit Ausnahme und keinesfalls die Regel sind. Dann müssen vielleicht gar nicht alle 148 Mails noch am selben Tag gecheckt werden. Und statt der Welt wird so erst einmal der Spaß an der Arbeit gerettet - und am Rest des Lebens.

"Burnon: Immer kurz vorm Burnout“, Bert te Wild, Timo Schiele, ISBN: 3426278480