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Wenn die Arbeit krank macht

Der Krankenstand steigt. Das liegt nicht nur an den Corona-Nachwirkungen. Oft sind Druck und Arbeitspensum zu hoch. Die Folge können chronische Leiden sein. Unternehmen können ihrerseits gegensteuern.

Von Annett Kschieschan
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Zu viel Arbeit in zu kurzer Zeit, Termindruck und eine schlechte Stimmung im Team können auf lange Sicht krank machen – physisch und psychisch. Oft sind Kopf- oder Magenschmerzen erste Symptome, die auch chronisch werden können.
Zu viel Arbeit in zu kurzer Zeit, Termindruck und eine schlechte Stimmung im Team können auf lange Sicht krank machen – physisch und psychisch. Oft sind Kopf- oder Magenschmerzen erste Symptome, die auch chronisch werden können. © AdobeStock

Jeden Tag Kopfschmerzen – für Henriette Becker ist der Gang ins Büro inzwischen eine Belastung. Spätestens am frühen Nachmittag, das weiß sie, wird dieser diffuse Druck auf den Schläfen beginnen. Danach wird es schwer mit dem konzentrierten Arbeiten. Frank Gelhaar hat ein anderes Problem. Sein Arbeitsweg dauert eine knappe Stunde – eine Strecke wohlgemerkt. Wenn der 50-Jährige auf dem Firmenparkplatz aus dem Auto steigt, meldet sich der Rücken das erste Mal. Abends hat er manchmal durchgehend Schmerzen.

Zwei Beispiele von vielen, denn die Zahl der Menschen, die sich mit chronischen Gesundheitsproblemen auf Arbeit schleppen, steigt – ebenso wie der Krankenstand in vielen Unternehmen. Dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zufolge waren 2022 Beschäftige in Deutschland im Durchschnitt 15 Arbeitstage krank gemeldet, im Jahr davor waren es noch 11,2 Tage. Gleich mehrere Krankenversicherungen vermeldeten in den vergangenen beiden Jahren neue „Rekorde“ bei den Krankmeldungen und konstatierten gleichzeitig, dass offenbar wieder mehr Menschen auch mit Krankheitssymptomen zur Arbeit gehen. Das betrifft sowohl Mitarbeiter, die auf diese Weise munter Grippe- oder Coronaviren im Kollegenkreis verteilen, als auch Menschen wie Henriette Becker und Frank Gelhaar, die fast täglich von Schmerzen geplagt sind und oft gar keinen anderen Ausweg sehen, als sich – zur Not mit Hilfe von Tabletten – durch den Arbeitstag zu quälen,

Stress wirkt nur in kleinen Dosen positiv

Denn gerade bei Kopf- oder Rückenschmerzen sowie bei häufigen Erschöpfungszuständen gibt es oft keine schnelle Lösung, vor allem, wenn Arztbesuche keine klaren Befunde bringen. Depressionen, Burn-out-Syndrom, Bluthochdruck, Herzinfarkt, Diabetes, Autoimmunerkrankungen, Infektanfälligkeit, Erkrankungen des Muskel- und Skelettsystems – die Liste der Leiden, die ganz oder zum Großteil auf Stress zurückgeführt werden können, ist lang und in vielfacher Hinsicht problematisch. Zum einen natürlich für die Betroffenen selbst, die irgendwann jeden Lebensmut verlieren. Zum anderen aber auch für die Unternehmen, die nicht nur mit hohen Krankenständen zu kämpfen, sondern auch immer öfter mit chronisch kranken Mitarbeitern zu tun haben. Und oft genug haben die Arbeitsbedingungen selbst einen hohen Anteil an der Situation. „Eine Prise Stress kann uns also zu Höchstleistungen verleiten, macht uns im ersten Moment belastbarer und schützt uns außerdem vor Erkrankungen, weil das Immunsystem hochfährt. Andauernder Stress konfrontiert unseren Körper aber ständig mit Stresshormonen – der sogenannte ,Kampf- oder Flucht-Modus‘ kann dadurch krank machen“, sagt etwa Diplom-Psychologin Bettina Löhr in einer Auswertung der Krankenkasse AOK zum Thema „Stress als Krankheitsauslöser“.

Wer einen Blick in deutsche – auch sächsische – Büros und Werkhallen wirft, sieht schnell, woran das liegt. Wo Mitarbeiter fehlen – temporär durch Krankheit oder komplett, weil Stellen nicht nachbesetzt werden –, muss der Rest des Teams mehr Arbeit bewältigen. Wo immer mehr Aufträge akquiriert werden, um das Umsatzziel zu schaffen, steigt die Belastung des Einzelnen. Wo nur das Motto „Schneller, höher, weiter“ zählt, bleiben Motivation, Kreativität und am Ende eben oft auch die Gesundheit auf der Strecke. Die körperliche, zunehmend auch die mentale, denn auch die Zahl psychischer Erkrankungen steigt.

Der entscheidende Faktor auch da: Stress. Der hat selten ausschließlich mit dem Arbeitsleben zu tun. Allerdings ist der Beruf durchaus ein wichtiger Punkt dabei. Schließlich verbringen die meisten Menschen den kompletten Tag im Büro, auf der Baustelle oder in der Produktionshalle. Rechnet man den Arbeitsweg dazu, bleibt nicht mehr viel Zeit für Privates. Auch das ist ein Stressfaktor. Der Trend zum Homeoffice wirkt dort ambivalent. Einerseits spart die Arbeit daheim Zeit, Geld und Nerven. Andererseits zeigt die Statistik, dass Heimarbeiter noch stärker dazu tendieren, auch krank zu arbeiten. Hier liegt ein großer Teil der Verantwortung beim Arbeitgeber. Er muss für ein Arbeitsklima sorgen, das möglichst niemanden krank macht. Das Betriebliche Gesundheitsmanagement bietet da viele Ansätze – vom Anti-Stress-Coaching bis zur Rückenschule. Vor allem aber gilt es, enorme Stressfaktoren wie Mobbing, dauerhaft hohe Arbeitsbelastung, Überstunden und einen rauen Umgangston zu vermeiden. Auch äußere Faktoren wie eine hohe Lärmbelastung können in letzter Konsequenz Krankheiten begünstigen.

Vorbeugen und aufmerksam sein

Die Bundesanstalt für Arbeitsmedizin und Arbeitsschutz (Baua), die auch eine Niederlassung in Dresden hat, forscht zu genau diesen Zusammenhängen, etwa wenn es darum geht, die kognitive Leistungsfähigkeit und mentale Beanspruchung bei unterschiedlichen Arbeitsanforderungen zu testen. Die Ergebnisse werden nicht nur regelmäßig publiziert. Es gibt auch konkrete Tipps für Unternehmen sowohl zur Krankheitsprävention als auch zur Wiedereingliederung von Mitarbeitern, die krankheitsbedingt ausgefallen sind. Am Anfang, da sind sich Experten einig, sollte eine angstfreie und offene Kommunikation stehen, die es Beschäftigten möglich macht, über die ständigen Kopf- oder Rückenschmerzen – oder den wachsenden Termindruck – zu sprechen. Manchmal ist das schon der Anfang der Besserung und die Chance, ein chronisches, stressbedingtes Leiden zu vermeiden.